Gerechte Kriege?

Militärbischof hinterfragt Position

Der Titel verblüfft. Ziel ist weder eine Neuauflage der abendländischen Lehre vom bellum iustum noch vertritt Sigurd Rink die vor allem in den USA diskutierte neue „Just War Theory“. Als Militärbischof konstatiert Rink überraschend: „Ich kann und will in diesem Buch keine Antworten geben. Stattdessen möchte ich mich meinen Zweifeln aussetzen, möchte meine Position hinterfragen, mein Gewissen schärfen.“ Einerseits betont Rink seine Unabhängigkeit als Mann der Kirche, andererseits dankt er der Presseabteilung des Verteidigungsministeriums für die „sehr genaue Durchsicht des Manuskripts, einen Faktencheck gleichsam“. Das Buch basiert neben der Verarbeitung einschlägiger Literatur auf Berichten von und Gesprächen mit Militärgeistlichen, Soldaten und Personen des öffentlichen Lebens bei über 130 Truppenbesuchen im In- und Ausland.

In biografischen Reminiszenzen werden ausführlich berufliche Stationen Rinks bis zur Amtseinsetzung als Militärbischof nachgezeichnet. Unter der Überschrift „Ruanda und die Abkehr vom Fundamentalpazifismus“ wird seine Entwicklung zu der Position beschrieben, die er als „relativierter Pazifismus“ bezeichnet: „Die Geschehnisse in Ruanda führten mir vor Augen, dass mein rigoroser Pazifismus eine Lizenz zum Nichtstun und Geschehenlassen noch des größten Unrechts darstellte, einen Freischein für archaische Gewalt letztendlich.“ Inhaltlich bleibt leider stark unterbestimmt, was Pazifismus im besten Sinn unter Einschluss seiner Aktionsformen bedeutet.

Wie ein Reisetagebuch wirken viele Schilderungen: „Afghanistan ist ein zauberhaftes Land, von einer Stille, Kargheit und Erhabenheit (...) In Kabul (...) ein Sonnenaufgang wie eine Offenbarung“ beziehungsweise die Charakterisierung des Leiters der Diakonie im Kosovo als gütigen, tatkräftigen „Bilderbuchgroßvater“.

Man kann das Werk als Militärethik lesen, welche als Leitbild des gerechten Friedens der EKD-Friedensdenkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ aus dem Jahr 2007 mit der Vorrangstellung ziviler Konfliktprävention und der Abkehr von der Lehre vom gerechten Krieg als friedens-ethischer Orientierungsrahmen dient. Wie die Denkschrift bejaht auch Rink im Extremfall den Einsatz „rechtserhaltender Gewalt“, doch er warnt selbstkritisch: „Es ist die Crux eines nicht mehr bedingungslosen Pazifismus, der unter äußersten Umständen, als Ultima Ratio rechtserhaltende militärische Gewalt akzeptiert, dass er dazu neigt, seine Kriterien und seine Kritikfähigkeit abschleifen zu lassen.“ Rink konzediert: „Wer militärische Gewalt einsetzt, begeht einen eklatanten Zivilisationsbruch, macht sich schuldig.“ Obwohl Rink ankündigt, keine Antworten zu geben, bewertet er ethische und politische Entscheidungen zu einzelnen Militäreinsätzen wie zum Beispiel zum Engagement der Bundeswehr in Mali, wogegen aus „ethischer Perspektive nichts einzuwenden“ sei. Oder: Die Seenotrettung von Flüchtlingen durch die Bundeswehr im Mittelmeer stuft Rink als friedensethisch „völlig unproblematischen Einsatz“ ein.

Darüber hinaus dient Rinks Beitrag als Übersetzungshilfe für Bundeswehr-Terminologie und „Militär-Erklärbuch“: Die UN-Mission in Mali beschreibt er zum Beispiel als „gefährlichsten oder, wie es im Militärdeutsch heißt, ‚robustesten‘ Auslandseinsatz der Bundeswehr“.

Grenzwertig wirkt es, wenn ein Bischof von eigentlich als vertraulich geltenden Seelsorgegesprächen berichtet.

Vieles, was man in den ersten drei Kapiteln des Buches liest, wurde von anderen bereits beschrieben. Eine Stärke des Buches zeigt sich im vierten Kapitel zum Thema „Zukunftsfragen“, in welchem sich Rink zu bisher weniger breit diskutierten Fragen äußert. Kritisch weist er auf die ethischen und juristischen Herausforderungen durch unbemannte Kampfdrohnen hin.

Die Dehumanisierung des Krieges sei bereits im Gange, da die USA inzwischen mehr Drohnenbediener als Jetpiloten ausbildeten. Gemäß Rink sehen Militärexperten die Zukunft des Krieges in autonomen, mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Waffensystemen, die selbständig feindliche Ziele auswählen und über Kampfmaßnahmen entscheiden. Angesichts aktueller Herausforderungen fordert Rink analog zum Ethikrat für Medizin die Einrichtung einer interdisziplinären Ethikkommission für militärische Fragen. Diesem sollten neben Militärexperten auch Persönlichkeiten des zivilen Lebens, Philosophen, Theologen, Psychologen, Informatiker, Ökonomen und Bürgervertreter angehören.

Wirbt hier ein Militärbischof nach zwei Seiten hin um Zustimmung? Soldaten stellt er sich als sie und ihre Bereitschaft zur Schuldübernahme achtenden Kirchenvertreter eines „relativierten Pazifismus“ dar, der im Extremfall militärische Gewalt bejaht; Pastoren offenbart er seine Herkunft aus pazifistischen Kreisen. Zweifellos sind dialogbereite Menschen hilfreich, die sich in beiden „Welten“ bewegen. In seiner Biographie verbindet Rink sie. Wäre es dann nicht konsequent, wenn er sie auch institutionell verbinden würde? Bisher hatte jeder Militärbischof gleichzeitig ein kirchenleitendes Amt in einer Landeskirche. Rink ist der erste, der nur Militärbischof ist. Er begründet seine Hauptamtlichkeit mit der veränderten Weltlage, in der die Bundeswehr zur „Berufsarmee“ wurde. Kann man in einem Buch verbinden, was institutionell getrennt wurde?“


 

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