pro und contra

Kopftuchverbot für Grundschülerinnen?

Alice Schwarzer
Foto: Flitner
Friedrich Schweitzer
Foto: Jörg Winter

Das seit Jahrzehnten umstrittene Kopftuch hat nun auch deutsche Grundschulen erreicht: Sollte es dort ein Kopftuchverbot geben, weil muslimische Schülerinnen das Kopftuch wohl eher nicht freiwillig überziehen? Ja, sagt die bekannte Feministin und Publizistin Alice  Schwarzer. Nein, meint Friedrich Schweitzer, der seit 1995 den Lehrstuhl für Praktische  Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen inne hat.

Endlich Sonne und Wind im Haar

Unterm Kopftuch stecken ideologische Provokation und Offensive der islamistischen Ideologen

alice schwarzer

Das Kopftuch-Verbot für Grundschülerinnen wäre positiv, da sehr viele Gründe dafür sprechen, vor allem der Schutz der Mädchen. Wir reden hier von Grundschülerinnen und nicht von Frauen, deren Gründe, selbst in Ländern, die sie nicht dazu zwingen, Kopftuch zu tragen, vielfältig sind: vom Glauben, über eine Identitätssuche oder die Demonstration, eine „anständige Muslimin“ zu sein, bis hin zum Druck der Familie oder der Community. Für Letztere müssen Haar und Körper der Frau bedeckt sein, weil diese „haram“ seien, sündig. Eine nicht verhüllte Frau sei eine Provokation für jeden Mann. Denn er sei bei deren Anblick nicht mehr Herr seiner Sinne. Einmal abgesehen von dem sexistischen Männerbild, das mit der Kopftuchpflicht für Frauen verbunden ist – der Mann als enthemmtes Tier beim Anblick eines Weibchens –, ist natürlich auch dieses Frauenbild beklemmend: Die Frau als sexuelles Objekt, das nur verhüllt gesellschaftsfähig ist. Doch hier reden wir ja gar nicht von Frauen. Wir reden von Mädchen, die maximal zehn oder zwölf Jahre alt sind. Und diese Mädchen sollen sich nun nicht nur unter der Knute islamisch beherrschter Länder, wie Iran oder Afghanistan, sondern auch in den westlichen Demokratien verhüllen? Wer entscheidet das? Doch nicht die Kinder selbst, sondern ihre Familien. Und was für Familien sind das? Es sind im besten Falle orthodoxe, schriftgläubige Muslime, die glauben, „Allah“ wolle es so. Im schlechteren Falle sind es ideologisch Verhetzte, für die das Kopftuch als Symbol für ein bestimmtes Weltbild steht: Ein Weltbild der Geschlechterapartheid, nach der weibliche Menschen sich fundamental unterscheiden von männlichen; ein Weltbild, in dem Muslime grundlegend anders sind als Nicht-Muslime und „Ungläubige“ verachtenswert. Sagen wir es offen: Das Kopftuch stigmatisiert diese Mädchen als die „Anderen“, schränkt sie in ihren Bewegungen ein und schadet ihrer Gesundheit durch den Lichtmangel auf der Haut. Hinzu kommt, dass mit dem Kopftuch in der Regel viel mehr einhergeht: kein außerschulischer Kontakt zu nicht-muslimischen Kindern, kein Schwimmunterricht ohne Burkini, keine Schulausflüge, kein Sexual-kundeunterricht et cetera. Wie kann es überhaupt sein, dass wir in unserer Demokratie, wo alle die gleichen Chancen haben sollen, so etwas zulassen?! Eine staatlich verordnete kopftuchfreie Schule, über die nicht länger diskutiert werden kann, wäre darum eine große Chance für die kleinen Mädchen aus repressiven Familien. Sie könnten wenigstens stundenweise am Tag frei sein, müssten sich nicht mehr für ihren Körper schämen und könnten sich so frei bewegen wie alle anderen Kinder. Die nicht Kopftuch-tragenden Musliminnen würden endlich nicht mehr als „Schlampen“ oder „Huren“ beschimpft. Und die kleinen Musliminnen könnten das Glück kennenlernen, den Wind in ihrem Haar und die Sonne auf ihrer Haut zu spüren – und sich eines Tages frei entscheiden. Nicht zuletzt bliebe es den eh schon hart überlasteten LehrerInnen erspart, ständig zermürbende Konflikte zu führen mit islamistisch verhetzten Eltern, von denen manche Mütter inzwischen sogar schon vollverschleiert auf Schulhöfen auftauchen – und Kinder schreiend vor Angst vor diesen gesichtslosen Wesen weglaufen. Unter dem Kopftuch stecken ja nicht nur die Haare, sondern steckt eine ideologische Provokation und Offensive der islamistischen Ideologen. Sie rauben uns seit Jahren viel Zeit und Nerven, vor allem den Lehrerinnen und Lehrer. Und sie rauben den Kindern die Freiheit.

Ich halte darum ein Kopftuchverbot in der Grundschule für dringend nötig und selbstverständlich. Es sollte erweitert werden auf ein Kopftuchverbot unter 18 Jahren und in allen staatlichen Institutionen.

hinweis

Alice Schwarzer schreibt seit 1979 über das Problem des politisierten Islam, hat drei Bücher dazu herausgegeben (darunter 2016 „Der Schock – die Silvesternacht von Köln“) und verfasste die Reportage „Meine algerische Familie“.


 

Lernanlässe nicht verhindern!

Durch ein Kopftuchverbot könnten manche Kinder noch mehr in die Isolation geraten

friedrich schweitzer

Ein Kopftuchverbot für Grundschülerinnen wäre negativ, da die absehbaren abträglichen Folgen die möglichen positiven bei weitem überwiegen. Das gilt auch dann, wenn man – wie ich selbst – das Tragen von Kopftüchern bei Grundschülerinnen keineswegs befürwortet.

Wie alle gesetzlichen Kopftuchverbote würde auch ein solches Verbot gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Eine einzelne Gruppe würde herausgegriffen, während alle anderen Besonderheiten religiöser und nicht-religiöser Art in der Bekleidung hingenommen werden. Über eine Schul-uniform für alle kann man diskutieren, aber Deutschland hat sich dafür nie wirklich erwärmen können. Und die heute mitunter beobachtbaren Versuche, Hotpants, bauchfrei oder Schlabberhose in der Schule zu verbieten, führen bekanntlich nicht allzu weit. Wo die Bekleidung bei den Erwachsenen zu einer institutionell immer weniger kontrollierten Entscheidung geworden ist – am Arbeitsplatz kaum weniger als in der Freizeit –, da lassen sich auch Vorschriften für Kinder und Jugendliche immer weniger plausibel machen. Ein Kopftuchverbot würde aber auch mögliche Lernanlässe verhindern, für die kopftuchtragenden Kinder wie für alle anderen. Wo religiöse Symbole aus der Schule verbannt sind, da gibt es auch keinen Anlass, darüber zu sprechen. Auch nicht mit den Eltern, deren Entscheidung zumeist hinter einer solchen Bekleidung stehen dürfte. Elternarbeit lebt von Kommunikation, während gesetzliche Verbote Kommunikation überflüssig machen. Deshalb verbinden sie sich auch mit der Gefahr einer institutionellen Entfremdung zwischen Schule und Eltern, die dann keine Chance mehr hätten, ihr Anliegen auch nur zu begründen. Das Kopftuchtragen wird damit zu einer reinen Privatangelegenheit in der Freizeit, wodurch die Kopftuch tragenden Kinder vielleicht noch mehr in eine Isolation geraten. Auch eine schulisch-pädagogische Begleitung wäre dann nicht mehr möglich. Nicht leicht zu entscheiden bleibt auch, in welchem Sinne ein solches Verbot gegen die Religionsfreiheit verstoßen würde.

Gewiss: Der Koran schreibt das Kopftuch für Grundschülerinnen nicht vor, aber gilt die Religionsfreiheit nur für das, was in den großen Heiligen Schriften steht, oder kann sie auch dafür in Anspruch genommen werden, was religiöse Menschen für sich allein oder in bestimmten Gruppen glauben? Ob sich religiöse Normen im Islam nur im Rekurs auf den Koran (oder auf die Bibel) begründen lassen, können Gerichte jedenfalls nicht ohne weiteres entscheiden wollen. Je stärker sich Religion – nicht nur im Islam – individualisiert darstellt, desto mehr muss auch über den Schutz individueller religiöser Überzeugungen nachgedacht werden. Religionsfreiheit gilt gerade für jeden einzelnen Menschen.

Und schließlich: Das Verbot träfe allemal nur das Symbol und nicht die eigentlich gemeinte Haltung. Symbole kann man wirksam aus der Öffentlichkeit verbannen, Haltungen hingegen sind weit schwerer zu verändern. Pädagogisch motivierte und reflektierte Formen der Kommunikation dürften hier aber auf jeden Fall mehr bewirken als eine gesetzliche Regelung, die innerlich abgelehnt wird. Und ist eigentlich mit Sicherheit bekannt, welche Haltungen sich bei Eltern oder auch Kindern mit dem Kopftuch verbinden? Wäre es nicht erforderlich, hier zuerst genauer nachzufragen, um nicht einfach Vorurteilen zu folgen?

Solange das Kopftuch für Grundschülerinnen erlaubt bleibt, kann man Eltern aus gutem Grund mit der Frage konfrontieren: „Warum machen Sie das? Ist das gut für Ihr Kind?“ Wo es kein Kopftuch mehr geben darf, da gibt es auch keinen Raum für solche Fragen mehr. Das wäre schade, gerade um der Kinder willen, um deren Wohl es doch aller Erziehung an erster Stelle gehen muss.


 

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Foto: Jörg Winter

Friedrich Schweitzer

Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen.


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