Heiland und Tod

Neu: Gottfried Kellers Ursula

Wenn die Religionen sich wenden, so ist es, wie wenn die Berge sich auftun; zwischen den großen Zauberschlangen, Golddrachen und Kristallgeistern des menschlichen Gemütes, die ans Licht steigen, fahren alle hässlichen Tazzelwürmer und das Heer der Ratten und Mäuse hervor.“ So beginnt Gottfried Kellers Erzählung Ursula, die zur Zeit Zwinglis in Zürich und dem umgebenden Oberland spielt.

Es ist das Jahr 1523. Der Reisläufer Hansli Gyr kehrt aus Italien zurück, wo er und andere damals als Söldner begehrte Schweizer kämpften. Nun will er die Ursula vom Nachbarhof heiraten. Doch die Welt zu Hause hat sich rasant verändert und tut es weiter: In Kirche und Staate soll nur das Evangelium Richtschnur sein, in Disputationen wird um Wahrheit gestritten. Durch das Land geht ein Riss, der Rom Treue und Reformatorische trennt, aber auch jene selbst. Denn der Geist weht, wo er will, besonders im Oberland, wo der radikale Flügel der Reformation viele Anhänger hat: Leute, die sich keinerlei Ordnung mehr beugen wollen, Gott in sich und dessen Reich ganz nahe spüren – die später „Täufer“ Genannten und auch von Zwingli blutig Verfolgten. Ursulas Familie gehört dazu. Den Hans erwartet sie bei ihm im Haus, leutselig bereit zur freien, nicht erst von der Kirche sanktionierten Liebe. Doch der will bei der Ordnung bleiben. So verfehlen sie sich, treffen sich bis ins Jahr 1531, in dem Zwingli auf dem Schlachtfeld fällt, aber immer mal wieder. Keller sympathisiert deutlich mit Zwingli, und Hans zeichnet er als aufrechte „Versinnbildlichung des Volksgeistes“, Reformation und Ordnung zugeneigt. Schlechter kommen die „Schwärmer“ weg, denen er unlautere Motive unterstellt oder sie überzeichnet. Die Erzählung bleibt eine lohnende Reise in jene Zeit: Herzens- und Glaubensleidenschaften treffen ruppig aufeinander, Wahrheitsfuror und Machtwillen führen der Historie die Feder, und Leute wie die vor Trübsinn in Wahn gefallene Ursula kommen unter die Räder.

Die Erzählung erschien erstmals 1877 als Teil seiner Züricher Novellen. Aus Anlass von „500 Jahren Reformation in Zürich“ und dem 200. Geburtstag Gottfried Kellers (1819 – 1890) legt der Galiani Verlag die Ursula nun als schöne Einzelausgabe mit bedrucktem Einband, dreiseitigen Farbschnitt und Spezialpapier vor. Sie hat es verdient. Der Clou sind jedoch die Illustrationen des Zürcher Comiczeichners und Malers Hannes Binder, der bereits mit seinen Arbeiten zu den Romanen von Friedrich Glauser viel Furore machte. Auch hier arbeitet Binder mit der für ihn typischen Schabkarton-Technik und zeigt erneut, dass Illustrationen nicht bloß bildlich doppeln, sondern „ein Fenster in die Textfläche öffnen“. Anders gesagt: Sie gewähren Einstiege – bei Binder gern auch mit surrealistischen Akzenten. Da schimmert am Nachthimmel über der Stadt das Konterfei des Reformators, und davor schwebt ein gehörnter Geist, dessen Schweifende einen Apfel schält. Der begegnete zuvor schon bei den Schwärmern, die Gott sogar im Apfel sahen. Und ein allegorischer Teppich mit dem Heiland und dem Tod darauf, den Hans vor dem Bildersturm rettete und der Ursula schenkte, wird, obwohl in diesem Fall ganz nah am Text, stilles Sinnbild dafür, was das Leben ausmacht. Eines dieser Fenster, durch die man gerne steigt – und die sich einprägen. Ursula trägt ihn als Bündel mit sich herum.


 

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