Mutige Menschen

Opposition in der DDR

Peter Wensierski, Jahrgang 1954, war 1979 der jüngste westliche Korrespondent in der DDR. Wegen seiner kritischen Berichterstattung musste er 1986 die Tätigkeit im „realen Sozialismus“ beenden, jedoch nicht im Westen. Das Thema hat ihn auch nach der deutschen Einheit nicht losgelassen. Seine jüngste Studie präsentiert die Geschichte eines Untergrundverlages und einer -zeitschrift in einer schwungvollen Form, vielleicht etwas dramatisierend.

Die Herausgeber von Samisdat-Zeitschriften hatten es in einer Diktatur wie der DDR schwer. Mit den Worten des sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski: „Man schreibt selbst, man redigiert selbst, man zensiert selbst, verlegt selbst, man verteilt selbst und sitzt auch selbst die Strafe dafür ab.“ Dazu ist es bei Stephan Bickhardt und Ludwig Mehlhorn, den Verantwortlichen des Periodikums, nicht gekommen. Stephan Bickhardt, der gerade sein Theologiestudium beendet hatte, war wohl der spriritus rector des Unternehmens. Ihm gelang es, seinen älteren Freund Ludwig Mehlhorn, einen widerspenstigen Mathematiker, wie Bickhardt jahrelang für die „Aktion Sühnezeichen“ tätig, von der Herausgabe der radix-blätter zu überzeugen.

Wensierskis Studie schildet nun die Schwierigkeiten eines derartigen Kraftaktes, angefangen vom Erhalt einer Druckmaschine – sie kam dank der Hilfe der Grünen aus dem Westen –, von der Beschaffung der Papiervorräte – eine katholische Druckerei zeigte sich großzügig- und vom Ausbaldowern eines Druckortes, ein kleiner Raum hinter dem Schlafzimmer von Bickhardts Eltern, zwei Theologen. Die Staatssicherheit konnte das Versteck niemals ausfindig machen. Insgesamt erschienen zwölf Hefte mit 159 Beiträgen auf 1 148 Seiten, verfasst von 136 Autoren, die unter ihren Namen schrieben.

Die Themen der Hefte erfährt der Leser zwar, aber leider präsentiert Wensierski lediglich kurze Auszüge, nicht zwei, drei vollständige Texte. Dann wäre die verständliche Vorsicht der Beteiligten gut erkennbar gewesen. Als aufrührerischer Text, der den Anstoß für die Wahldebatte liefert, gilt der Beitrag „Neues Handeln“, in dem es heißt: „Öffentlicher politscher Dialog und Demokratisierung bedingen einander. Nur durch Demokratisierung und Offenheit lassen sich die humanistischen Ziele des Sozialismus verwirklichen.“ Tatsächlich wäre bei „Demokratisierung und Offenheit“ Sozialismus keineswegs verwirklicht worden, wie das weitere Geschehen ja auch belegt hat.

Wenn Wensierski die radix-Blätter als „Kursbücher des Ostens“ apostrophiert, so ist diese Parallele wohl übertrieben, denn die Resonanz blieb angesichts der schwierigen Umstände doch eher gering. Bickhardt und Mehlhorn gehörten im Oktober 1989 zu den führenden Köpfen der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“, die sich mit anderen Gruppierungen zum Bündnis 90 zusammenschloss, ohne jedoch eine große Wirkung zu entfalten.

Ilko-Sascha Kowalczuk, Herausgeber eines Bandes mit gesammelten Samisdat-Texten aus der ddr, rühmt in seinem Vorwort die Gründer solcher Blätter, die oft den Schutz der Kirchen suchten. Und Peter Wensierski erwähnt im Nachwort die Courage der Beteiligten, denen er das erste Mal 1988 im Zusammenhang mit einer Recherche für das Fernsehen begegnet war. Ohne die evangelische Kirche wäre der Umbruch in der DDR so nicht möglich gewesen.

Dreißig Jahre danach erinnert die Studie, die eindrucksvolle Faksimiles und Fotos enthält, höchst anschaulich an das mutige Unterfangen junger Leute, die ihres Erfolges keinesfalls sicher sein konnten. Bickhardt ist heute Polizeiseelsorger, Mehlhorn, der sich besonders um die deutsch-polnische Aussöhnung verdient gemacht hatte, verstarb 2001.


 

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