Für die Evangelische Kirche A. B. – „Augsburgischen Bekenntnisses“, also die lutherische Kirche – in Österreich ist es ein großer Schritt. Laut Beschluss einer Sondersynode, die am 9. März 2019 in Wien tagte, gibt es künftig öffentliche Dank- und Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare, die nach staatlichem Recht die Ehe eingegangen sind. Bisher waren Segnungen nur im seelsorglichen Rahmen zulässig. Anders die Reformierten: Schon seit 1999 gibt es in der Evangelischen Kirche H. B. – „Helvetischen Bekenntnisses“ – öffentliche Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare.

Damals gab es in Österreich noch nicht einmal eingetragene Partnerschaften. Seither hat sich in der Alpenrepublik viel getan. Seit dem 1. Januar 2019 gibt es in Österreich die „Ehe für alle“, gleichzeitig aber die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft für heterosexuelle wie homosexuelle Paare, also gewissermaßen eine „Ehe light“. Möglich wurde dies nicht durch einen Beschluss des österreichischen Parlaments, sondern durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 2017. Dieser kam zu dem Ergebnis, die bisherige Regelung, welche die Ehe nur Mann und Frau, die eingetragene Partnerschaft hingegen ausschließlich für gleichgeschlechtliche Paare vorsah, sei gleichheits- und somit verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber wurde ein Jahr Zeit eingeräumt, um eine verfassungskonforme Lösung zu finden.

Tiefgreifender Dissens

Die wenige Wochen später angelobte Bundesregierung von övp und fpö konnte sich jedoch auf keine Alternative verständigen. Also trat, wie vom Verfassungsgerichtshof festgesetzt, mit Jahresbeginn 2019 die jetzige Regelung in Kraft. Für die reformierte Kirche kein ernsthaftes Problem, da man ja ohnehin schon öffentliche Segnungsgottesdienste für Gleichgeschlechtliche eingeführt hatte. Sie heißen nun künftig Trauung, so dass gegenüber der Amtshandlung für heterosexuelle Paare kein Unterschied mehr besteht.

In der lutherischen Kirche liegen die Dinge ein wenig komplizierter, weil in Sachen homosexueller Lebensgemeinschaften ein tiefgreifender Dissens besteht. Im Prinzip hätte man alles beim Alten lassen können, sind die Kirchen in liturgischen Fragen doch unabhängig von staatlichen Vorgaben. 2007 hatte die Synode in einem Positionspapier festgestellt, die kirchliche Trauung bleibe „jenen Paaren vorbehalten, die eine rechtsgültige Zivilehe geschlossen haben“. Mit der „Ehe für alle“ hatte damals jedoch niemand gerechnet. Daher musste die Synode nun aktiv werden, sollte nicht automatisch die „Trauung für alle“ Realität werden.

Noch 2007 hatte die Kirche erklärt: „Staatliches Eherecht und ein christliches Bild von Partnerschaft, Ehe und Familie weisen Überschneidungen auf, müssen inhaltlich aber nicht deckungsgleich sein. In Geschichte und Gegenwart hat es immer wieder Bereiche gegeben, in denen die diesbezüglichen Leitbilder von Staat und Kirche zueinander in Spannung geraten sind. Erst, wo beides miteinander nicht mehr in Einklang zu bringen wäre, würde das in letzter Konsequenz die Notwendigkeit einer Abkoppelung der evangelisch-kirchlichen Ehedefinition von der Zivilehe nach bürgerlichem Recht nach sich ziehen. Dazu besteht zur Zeit aber kein Anlass.“ Wie schnell sich die Zeiten ändern können, zeigte zehn Jahre später das Urteil des Verfassungsgerichts.

Es sind nicht nur die Änderungen im staatlichen Eherecht, welche die Kirchen auch in Österreich herausfordern, ihr Verständnis von Ehe und Familie zu klären. Veränderte Lebensentwürfe, neue Formen von Partnerschaft und Familie, aber auch die gravierenden Auswirkungen der Reproduktionsmedizin auf Elternschaft und Familienkonstellationen lassen sich mit traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie nicht mehr problemlos zur Deckung bringen. Gegen die Ehe von gleichgeschlechtlichen Partnern wird gern ins Feld geführt, sie könnten keine gemeinsamen Kinder bekommen. Das österreichische Verfassungsgericht hat diesen Einwand nicht gelten lassen. Seit 2015 sind nämlich in Österreich Eizell- und Samenspende auch für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt, konkret allerdings nur für lesbische Paare, da die Leihmutterschaft weiterhin verboten ist. Gleichgeschlechtliche Paare haben inzwischen auch ein gemeinsames Adoptionsrecht. Mit der neulutherischen Lehre von der Ehe als natürlicher Schöpfungsordnung ist dieser Rechtslage und ihren lebenspraktischen Folgen nicht mehr beizukommen.

Etwas voreilig ist freilich Horst Gorskis pauschale Behauptung, als Schlüssel zu einer normativen Ordnung sei Schöpfungstheologie überhaupt „obsolet geworden“ (vergleiche zz 1/2019). Recht hat er mit seiner Kritik, bei der „Standardbehauptung“, etwas sei eine „gute Gabe Gottes“, handele es sich um eine theologisch unzureichend reflektierte „Art ‚Säkularisat‘“der traditionellen Lehre von den Schöpfungsordnungen.

Herkömmlicherweise werden bei der Trauung 1. Mose 1,27–28a.31 und Matthäus 19,4–6 verlesen. Jesus zitiert in dieser Perikope 1. Mose 1,27 in Verbindung mit 1. Mose 2,24. Nun handelt 1. Mose 2,18–24 nach heutigem exegetischem Urteil nicht von der Ehe als Institution, sondern vom Drang der Geschlechter zueinander, ohne gleich an die Fortpflanzung zu denken. Allerdings rückt Jesus das Wort in den Zusammenhang mit der Scheidungsfrage. Er setzt es also eindeutig zur
Institution der Ehe in Beziehung. Welches Gewicht dieser Umstand hat, zeigt sich daran, dass Paulus Jesu Scheidungswort in 1. Korinther 7,10 als authentisches Herrenwort zitiert. Es gehört offenbar zur gesicherten Jesusüberlieferung.

Mittelbar bringt Jesus nach neutestamentlicher Überlieferung also die Ehe mit Gottes Schöpfungshandeln in Verbindung. Ob im Einzelfall zwei Ehepartner tatsächlich, um mit Jesus zu sprechen, von Gott zusammengefügt worden sind (Matthäus 19,6), ist allerdings keineswegs ausgemacht. Wo dies aber geschieht und geglaubt wird, ist darin das Handeln des Schöpfers zu sehen – in der Sprache der klassischen Dogmatik: sein Erhaltungshandeln oder seine creatio continua.

Die herkömmlichen Traufragen und Trauversprechen enthalten mehr als das Versprechen lebenslanger Treue, lautet die Frage doch, ob man den Ehepartner aus Gottes Hand nehmen beziehungsweise als von Gott anvertraut lieben und ehren und ihm bis zum Tod die Treue halten will. Wer diese Frage bejaht, legt damit ein Bekenntnis ab. Er trifft die Glaubensaussage, dass ihm der Ehepartner nicht durch glückliche Umstände, sondern von Gott zugeführt worden ist. Damit aber bekennen die Ehepartner implizit, in diesem Widerfahrnis das Schöpfungshandeln Gottes im persönlichen Leben zu erkennen. Wie Luther in seiner Auslegung des Apostolikums das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer existentiell auslegt – „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“ – so ist auch die Bejahung der Frage, ob man den Ehepartner als von Gott anvertraut begreift, ein existentielles Bekenntnis zu Gottes vor-sehendem Handeln – in der Sprache der klassischen Dogmatik: seine providentia.

Gegenüber der vormodernen Tradition ist der Einsicht in die Dynamik der Schöpfung Rechnung zu tragen, sind doch Schöpfung und Evolution theologisch aufeinander zu beziehen. Das gilt aber nicht nur für die biologische, sondern auch für die kulturelle Evolution. Institutionen sind nicht unmittelbar auf Gott zurückzuführen, sondern – wie schon der Göttinger Systematiker Ernst Wolf (1902 –1971) argumentiert hat – als menschliche Antwort auf Gottes Gebot zu verstehen. Der Schöpfung ist das Erfordernis von Institutionalität eingezeichnet, die konkrete Ausgestaltung in Form von Institutionen liegt aber in der Verantwortung des Menschen.

Österreichs evangelische Kirchen haben die „Trauung für alle“ nicht etwa nur als Frage der Lebensordnung, sondern als Bekenntnisfrage eingestuft. Schließlich geht es nicht allein darum, ob man einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft aus guten theologischen Gründen einen öffentlichen Segen erteilen darf. Sondern es geht auch um die Frage, ob eine solche Partnerschaft durch einen öffentlichen Segnungsgottesdienst einschließlich Traufragen als Ehe nach evangelischem Verständnis anerkannt werden darf, ob diese Schlussfolgerung mit den reformatorischen Bekenntnisschriften in Einklang zu bringen ist und, falls dem nicht so sein sollte, ob ein solches Abrücken von den Bekenntnisschriften biblisch-theologisch begründet werden kann oder nicht.

Kein breiter Konsens

Die reformierte Kirche tut sich in dieser Frage leichter als die lutherische, weil die Bekenntnisschriften nach reformierten Verständnis beständig zu prüfen sind, „und wenn etwas der Verbesserung bedürftig gefunden wird, dass es mit allgemeiner Zustimmung und auf Befehl der Kirche, worauf es abgefasst ist, verbessert oder erklärt werde“, wie bei Zacharias Ursinus (1534–1583), dem Verfasser des Heidelberger Katechismus, zu lesen ist.

Doch auch den lutherischen Kirchen ist der Gedanke der Bekenntnisfortbildung nicht fremd, bei der das Bekenntnis nicht geändert, aber neu gelesen und interpretiert wird. Den grundlegenden Aussagen der reformatorischen Bekenntnisse über die Ehe von Mann und Frau wird nichts genommen, wenn sie nun in analoger Weise auch auf gleichgeschlechtliche Paare übertragen werden.

Während die reformierte Synode einstimmig die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare eingeführt hat, ließ sich in der lutherischen Kirche auf der inhaltlichen Ebene kein breiter Konsens erreichen. Wohl aber fand eine Opt-in-Lösung die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Sie überlässt die endgültige Entscheidung für die Einführung öffentlicher Segnungsgottesdienste den örtlichen Gemeinden und achtet auch den möglichen Gewissensvorbehalt von Pfarrerinnen und Pfarrern. So soll und wird es gelingen, trotz gegensätzlicher Standpunkte die Einheit der evangelischen Kirche zu wahren.

Beim Thema „Trauung für alle“ traten die auch sonst bestehenden Spannungen zwischen konservativen und evangelikalen Kreisen auf der einen und liberalen Kräften auf der anderen Seite zutage. Der Konflikt wirkte trotz des gefundenen Kompromisses im Mai bei der Wahl des neuen lutherischen Bischofs nach. Erst im vorletzten von 13 möglichen Wahlgängen erhielt Michael Chalupka, vormaliger Direktor der Diakonie Österreich und politisch eher links der Mitte angesiedelt, die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Der innerkirchliche Richtungsstreit dreht sich keineswegs nur um Fragen der Sexualethik, sondern um unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis von Glaube und Politik und der Rolle der Kirche in der Gesellschaft.

Voraussetzung der kirchlichen Trauung bleibt die Zivilehe. Während aber die reformierte Kirche auch eingetragene Partnerschaften im öffentlichen Gottesdienst segnen will, lässt die lutherische Kirche solche Segnungen nur im seelsorglichen Rahmen zu. Dafür sprechen theologische und ethische Gründe. Wer, wie der österreichische Justizminister Josef Moser, die eingetragene Partnerschaft gegenüber der Ehe als „modernere Variante der Partnerschaft“ auffasst, deutet erstere nicht nach dem Vorbild der Ehe, sondern letztere nach dem Modell der eingetragenen Partnerschaft, die leichter als eine Ehe getrennt werden kann. Die „Ehe light“ führt keineswegs zur Stärkung der Institution Ehe, sondern zu ihrer Aushöhlung. Das aber ist nicht im biblischen Sinne.

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