Bemerkenswert

Christentum in der Gesellschaft

Detlef Pollack/ Volkhard Krech/ Olaf Müller/ Markus Hero (Hg.): Handbuch Religionssoziologie.
Springer VS, Wiesbaden 2018,
1067 Seiten, Euro 139,–.

Dass Handbücher nicht unbedingt handlich sein müssen, um dennoch nützlich zu sein, beweist das neue Handbuch Religionssoziologie. Mit über eintausend Seiten und stolzen zwei Kilogramm Gewicht eignet es sich weniger für die Westentasche und mehr für den geräumigen Schreibtisch. Dafür allerdings bekommt man den gegenwärtigen Stand der Religionssoziologie umfassend und strukturiert dargeboten.

Was aber zeichnet dieses Buch – abgesehen von seiner schieren Größe – aus? Das erste, was ins Auge fällt, ist das Fehlen alter Bekannter: Die soziologischen Klassiker von Max Weber über Ernst Troeltsch, Émile Durkheim bis zu Georg Simmel und anderen tauchen – zumindest auf Ebene der Gliederung – nicht auf. Gewiss hat man sich ohne die Last der Geschichte ein weiteres Kilo an Gewicht gespart. Doch wird man den Verzicht auch programmatisch lesen dürfen, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens traut sich die Religionssoziologie offenkundig zu, im Selbstbewusstsein ihrer gewachsenen Gegenwartsrelevanz die historisch-hermeneutische Rückversicherung des eigenen Faches vorerst hintanzustellen – zumal die religionssoziologischen Klassiker ja anderorts schon intensiv bearbeitet sind. Und zweitens zeigt sich über das gesamte Buch hinweg ein ausgeprägter Wille zur Konkretion, der sich auf eine wachsende Zahl empirischer Studien stützen kann. Die Empirie wird dabei durchaus mit verschiedenen – auch klassischen – Theorien in Verbindung gebracht, doch gewinnt sie ein stärkeres Eigenrecht.

Diese zweifache Ausrichtung spiegelt sich dann auch in der Gliederung: Auf zwei einleitende Artikel zum Religionsbegriff folgt zunächst ein vergleichsweise knapper und eklektischer Abschnitt zu Theorien, auf den man konsequenterweise wohl hätte verzichten können. Hilfreich sind die Überblicke zur empirischen Forschungsmethodik. Wirklich aufschlussreich – und in dieser breiten Zusammenstellung auch einzigartig – wird das Handbuch aber dadurch, dass es gerade nicht nach (Theorie-)Ansätzen, sondern nach Themen gegliedert ist. So findet man fünfzehn Artikel zu Leitbegriffen wie Säkularisierung oder Sakralisierung, Pluralisierung oder Individualisierung sowie zu elementaren Sozialformen wie Gemeinschaft, Organisation, Bewegung, Milieu, Event, Markt – übrigens nicht mehr zur Institution. Daran schließen weitere fünfzehn Artikel an, welche die Wechselwirkung zwischen Religion und Gesellschaft thematisieren: Unter Stichworten wie Religion und Politik, Religion und Wirtschaft, Religion und Recht, Religion und Kunst, Medien, Bildung, Migration und vieles weitere mehr entfaltet sich so ein eindrückliches Panorama der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion im 21. Jahrhundert.

Hinter diesem eher thematischen als theoretischen Aufriss steht nicht zuletzt die Überzeugung – so die Herausgeber im Vorwort –, dass Religion in der Gesellschaft nicht nur Spielball, sondern selbst Mitspieler ist, dass mithin Religion nicht nur durch andere gesellschaftliche Prozesse erklärt werden kann, sondern zugleich als selbstständiger Faktor die Gesellschaft prägt. Die gewachsene Bedeutung der Religion und die neuerliche Einsicht in ihre gesellschaftliche Prägekraft ist einer der Gründe für den Aufschwung der Religionssoziologie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und damit einer der wichtigsten Hintergründe für die Entstehung dieses Handbuchs. Es ist zugleich eine bemerkenswerte Sicht der Dinge auch für all diejenigen, die an der Zukunft von Kirche und Christentum in dieser Gesellschaft interessiert sind.

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