Achtung, Ansteckungsgefahr!
Als ich junger Erwachsener war, haben wir Briefwechsel manchmal mit Angabe der Bibelstelle 3. Johannes 13+14 beendet. Was da steht? „Ich hätte dir viel zu schreiben; aber ich will es nicht mit Tinte und Feder an dich schreiben. Ich hoffe aber, dich bald zu sehen; dann wollen wir mündlich miteinander reden.“ Ziemlich analog also, die biblischen Zeiten damals. Zum Ausdruck wird dabei die freundschaftliche Beziehung von Sender und Empfänger gebracht, das heißt das Miteinander-in-Kontakt-Sein, Einander-wichtig-Sein, Sich-aufeinander-Freuen und das Anteil-aneinander-Geben und -Nehmen.
In Zeiten, in denen in Gesellschaft, Politik und den sozialen Medien unterschiedliche Kommunikationsstile anzutreffen sind, wo aufgeheizte Debatten, Cancel-Culture sowie populistische Äußerungen vorkommen – bis hin zur „Diskursvulnerabilität“ (Frauke Rostalski), kann gefragt werden, wie Kommunikation und Beziehungen verlaufen beziehungsweise gepflegt werden. Wie sieht es aus mit dem sozialen Kitt in den Familien, in der Gesellschaft und in der Kirche? Gelingende Kommunikation kann aus meiner Sicht als systemrelevant für den Zusammenhalt in der Gesellschaft angesehen werden. Misslingende Kommunikation kann demgegenüber eine Gefährdung für Beziehungen im privaten wie im öffentlichen Bereich darstellen. Sei es aufgrund von Unklarheiten und Missverständnissen oder offenen Zwistigkeiten und Zerwürfnissen.
Wie können die Unfallgefahren im Miteinander minimiert werden, so dass aus einer gelingenden Kommunikation ein verbindliches und wertschätzendes Miteinander erwächst? Worauf könnte es dabei ankommen? Angefangen vom Einander-Zuhören und Ausreden-Lassen, Interesse am Anderen beziehungsweise an der Sichtweise des Anderen haben, den Anderen verstehen (wollen), kompromissbereit sein, Rücksicht nehmen, kann dazu auch zählen, mal ein Dankeschön auszusprechen, neben kritisch-konstruktivem Feedback auch positives Feedback zu geben, zu loben, das Gemeinsame und Verbindende hervorzuheben, Gaben und Stärken anderer wertzuschätzen, um einige Beispiele zu nennen. Unter Druck, bei Schwierigkeiten und Krisen, zeichnet sich eine entsprechende Kommunikations- und Beziehungskultur dadurch aus, dass mit den Problemen im Rahmen der Möglichkeiten offen und transparent umgegangen wird.
Gesellschaftlich gesehen, haben derzeit verschiedene Angebote und Möglichkeiten der physischen und psychischen Selbstfürsorge (zum Beispiel Entspannungsverfahren) und Selbstoptimierung (zum Beispiel Körperbild) eine gewisse Priorität; welchen Stellenwert wird im Vergleich dazu der Förderung einer positiven Gesprächs- und Beziehungskultur beigemessen?
Könnte das Miteinander im kirchlichen Kontext beziehungsweise in der Gemeinschaft der Gläubigen ein Beispiel für gelingende Kommunikation und ein wertschätzendes Miteinander sein? So dass es mit „Ansteckungsgefahr“ in die Gesellschaft ausstrahlt und auch Einfluss auf gesellschaftliche Debatten hat? Wo im gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext von Transformationsprozessen die Rede ist, wie etwa im Buch des katholischen Theologen Jan Loffeld Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt, wird damit aus meiner Sicht auch das Miteinander von ChristInnen und der Kirchen untereinander angefragt. Kirchliche Kommunikation als Best-Practice-Modell gelingender Kommunikation? Die vielleicht sogar einen neuen Megatrend begründet?
Sicherlich wäre das ein langer Weg der kleinen Schritte. Die Überlegungen an dieser Stelle sind dabei als motivierender Impuls gedacht, ohne die konkreten Situationen vor Ort, personellen Ressourcen et cetera berücksichtigen zu können. Wo und wie können im kirchlichen Kontext Möglichkeiten der Kontaktaufnahme geschaffen oder intensiviert werden, um als Grundlage für eine weitere Beziehung zu dienen? Wie kann ein gegenseitiges Kennenlernen intensiviert werden? Wo können Kirchengemeinden voneinander lernen? Dazu kommen die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung. Auch bezüglich des Themas der Einsamkeit besonders von Alleinstehenden, das mittlerweile eine gesellschaftliche Relevanz erreicht hat, könnte damit ein Angebot geschaffen werden. Wobei die kirchlichen Angebote neben der sozialen Vernetzung ja auch die Möglichkeiten bieten, dass Menschen mit dem Wort Gottes in Berührung kommen, was dann nochmal eine ganz eigene Wirkung entfalten kann …
Abschließend noch ein Beispiel von Krisenmanagement aus biblisch-analoger Zeit im Sinne von aktiver Anteilnahme und freundschaftlicher Verbundenheit. Hiob 2,11: „Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war“ – taten sie was? Da dachten sie, so schlimm könne das gar nicht sein? Da waren sie mit sich selbst beschäftigt und kamen weiter ihren Alltagspflichten nach? Nein, sondern: „Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie …“
Daniel Reichwald
Daniel Reichwald ist Psychologe. Er arbeitet mit drogenabhängigen Straftätern im Maßregelvollzug.