Mit Bibel und Grundgesetz

Über den Stolz auf die Demokratie und ihre Verteidigung gegen braunes Gedankengut
Foto: Harald Oppitz

„Nach Hitler – Die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.“ Eine Ausstellung im Haus der Geschichte, die ich gerade besucht habe. Die Auseinandersetzung mit Transgenerationaler Traumaweitergabe habe ich für die Ausbildung künftiger Pfarrpersonen als festen Bestandteil in mein Curriculum integriert. Wie wirken sich die Traumata des Terrorregimes der Nationalsozialisten und des 2. Weltkriegs auf die Kinder- und Enkelgeneration aus? Tatsächlich spielt das in vielen Seelsorgebegegnungen eine Rolle, und auch manche Vikar*innen entdecken Folgen in ihrem eigenen Leben, obgleich sie schon der 4. Generation nach dem Krieg angehören. 

Besonders beeindruckt hat mich in der Ausstellung die Geschichte einer Hitlerbüste der Bildhauerin Hedwig Maria Ley. Ley hatte 1932 die erste von Hitler autorisierte Büste angefertigt, die vielfach kopiert wurde. Nach dem Krieg hat Ley eine dieser Büsten in ihrem Garten vergraben. 1967 entdeckt ein Gärtner bei Arbeiten in Leys Garten den Hitlerkopf, die Künstlerin schenkt sie dem Mann, der den bronzenen Hitler bei sich zuhause auf den Kaminsims stellt. Heute kann man den Kopf in der Ausstellung besichtigen.

Vergraben, aber nicht vermodert

Für mich ist die Geschichte dieser Büste wie ein Symbol für die Auseinandersetzung vieler Deutscher mit der NS-Vergangenheit und dem gefährlichen Potential rechten Gedankenguts. Vergraben, aber weder vergessen noch vermodert, jederzeit kann es ausgegraben und im privaten Rahmen präsentiert werden, ohne dass sich jemand groß aufregt. Unbelehrt ist Ley 1978 gestorben. Wer mag, kann für 4.800 Euro gerade eine von Ley geschaffene Büste von Gottfried Daimler erwerben. In der Information des Händlers wird ganz offen auf das nationalsozialistisch-künstlerische Wirken von Ley hingewiesen. Offenbar ist der Händler der Ansicht, dass dies dem Verkauf eher nutzt als schadet. 

Auch damit setzen wir uns in der Seelsorgeausbildung auseinander: Wie begegnen wir Menschen, die offen eine menschenverachtende politische Meinung vertreten? Was kann eine Vikarin sagen, wenn beim Geburtstagsbesuch nationalsozialistische Memorabilien auf dem Kaminsims stehen?

Im Stresemann-Haus

Übernachtet habe ich in Bonn übrigens im Gustav-Stresemann-Haus, das auch einen Hotelbetrieb hat. Auf dem Zimmer gab´s keine Bibel, dafür aber das Deutsche Grundgesetz. Mit einem Vorwort von Frank-Walter Steinmeier, also immerhin ein evangelischer Akzent. Übrigens war Gustav Stresemann auch evangelisch. Seine evangelische Witwe musste mit den Kindern aus Nazideutschland in die USA emigrieren, da sie eine jüdische Herkunft hatte – für die Stresemann Zeit seines Lebens immer wieder angefeindet wurde. Auch der Antisemitismus ist in vielen Familien lediglich vergraben, nicht aber überwunden worden. Gerade wird wieder fleißig ausgegraben. Ein Skandal! 

Ein Grundgesetz statt der Bibel? Ich finde, man kann in beiden Werken mit Gewinn lesen, um sich gegen braunes Gedankengut zu wappnen. Nach Ausstellungsbesuch und Hotelübernachtung habe ich überrascht festgestellt: Ich war stolz. Stolz auf unsere Demokratie. Auf Menschen, die sich mit Kopf, Herz und Kräften dafür einsetzen, dass in unserem Land immer noch die Menschenrechte gelten. Stolz auf ein Deutschland, das eine Wiedervereinigung geschafft hat und in dem man sich, immer noch, auf den Rechtsstaat verlassen kann, trotz aller Leute, die ihre rechte Gesinnung nur vergraben, nicht aber verarbeitet haben und seltsame Büsten ausstellen oder kaufen. 

Die Ausstellung „Nach Hitler“ kann man sich noch bis zum 25.1.2025 im Bonner Haus der Geschichte anschauen. Die Dauerausstellung wird gerade komplett neu gestaltet und im Dezember eröffnet. Dann steht ein nächster Besuch in Bonn an. Und eine Übernachtung mit Grundgesetz. Die Bibel bringe ich halt selbst mit.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.

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