Kleine Partitur für große Katastrophen

Eine Performance zwischen planetaren Grenzen und politischer Rhetorik
Zitronen neben einem Glas mit Wasser
Foto: Erwin Lorenzen / pixelio.de
Zitronensaft und ein Glas Wasser gehören zu den Requisiten für diese Performance

Es sind nur wenige Gegenstände nötig für diese kleine Aufführung: ein Glas Wasser, Salz, Zitrone, ein Zettel mit den Zahlen 1 bis 9, ein Ventilator, ein Kohlestift, eine Stromrechnung und ein Strohhalm. Mehr braucht es nicht, um die Diskrepanz zwischen dem zu verdeutlichen, was binnen zweier Tage geschah.

Das ist der Bühnenaufbau: Auf der einen Seite die Nachricht vom Dienstag vergangener Woche – Donald Trumps Rede vor der UN-Vollversammlung. Auf der anderen Seite die Nachricht vom Mittwoch – der Deutschlandfunk meldet: Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schlägt Alarm, sieben von neun planetaren Belastungsgrenzen sind überschritten – zum ersten Mal überschreitet auch die chemische Zusammensetzung der Meere die sichere Grenze (Planetary Health Check 2025). Laut Report zeigen durch den sinkenden pH-Wert der Ozeane „Meeresorganismen bereits Schalenschäden, besonders in polaren und küstennahen Regionen“. 

Sie sitzen dazwischen.

Was folgt, ist der Versuch, den eigenen Zynismus angesichts dieser Gleichzeitigkeit in eine kleine Performance zu verwandeln. Dazwischen: Auszüge aus Trumps UN-Rede vom 23. September 2025.

Szene 1: Das sauer werdende Meer

Stelle ein Glas Wasser auf den Tisch, gib eine Prise Salz hinein. Nenne es „Meer". Tropfe langsam Zitrone ins Wasser.

[Pause. Das Wasser wird trüb.]

Szene 2: Sieben von neun

Zähle leise von 1 bis 9. Nenne dabei: Klimawandel, Verlust der Biosphären-Integrität, Landnutzungswandel, Veränderung der Süßwassersysteme, Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe, Einbringung neuartiger Substanzen, Ozeanversauerung – [Pause] – Aerosolbelastung, Ozonabbau.

Streiche auf einem Blatt Papier die ersten sieben Ziffern durch.

[Das Durchgestrichene liegen lassen, sichtbar. Zwei Ziffern bleiben.]

Szene 3: Wind funktioniert nicht

Nimm einen Ventilator, schalte ihn für exakt 3 Sekunden an, dann aus. Sage: „Wind funktioniert nicht.“ Warte 3 Sekunden.

Höre: "We're getting rid of the falsely named renewables. By the way, they're a joke. They don't work. They're too expensive. They're not strong enough to fire up the plants that you need to make your country great. The wind doesn't blow, those big windmills are so pathetic and so bad."

Szene 4: Herzen malen, Verträge streichen

Lege einen Zettel in die Mitte. Schreibe Paris darauf und streiche das Wort mit einem Kohlestift durch. Reibe mit dem Kohlestift ein kleines Herz auf das Blatt. Sprich freundlich: „clean, beautiful coal."

Höre: "That's why in America I withdrew from the fake Paris climate accord. [...] Clean, I call it clean, beautiful coal. You can do things today with coal that you couldn't have done 10 years ago, 15 years."

Lege das Herz unter das Glas mit dem sauer werdenden Wasser.

Szene 5: Die Stromrechnung

Halte eine Stromrechnung gegen das Licht. Schreie: „Verantwortlich für 175.000 Hitzetote in Europa!"

Höre: "Europe loses more than 175,000 people to heat deaths each year because the cost is so expensive they can't turn on an air conditioner. [...] All in the name of pretending to stop the global warming hoax."

Warte auf Resonanz. Stille oder Applaus?

Szene 6: Das Ende der Performance

Blase mit einem Strohhalm ins Glas, bis es deutlich blubbert, aber nicht überläuft. Höre auf. Warte, bis die Oberfläche still ist.

Umkehr(bar)

Die biblische Rede von der Schöpfung kennt das Motiv der Grenze. „Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!", heißt es in Hiob 38,11 über das Meer. Natürliche Grenzen sind in dieser Sicht nicht Beschränkung, sondern Ermöglichung von Leben. Sie schaffen Ordnung, in der Leben gedeihen kann.

Johan Rockström vom Potsdam-Institut formuliert es nüchtern: „Mehr als drei Viertel der lebenswichtigen Erdsystem-Funktionen befinden sich nicht mehr im sicheren Bereich." Das ist keine Partitur, sondern Befund.

Die biblische Tradition kennt neben der Grenze auch das Motiv der Umkehr – und genau davon sprechen auch die Wissenschaftler. Der Deutschlandfunk zitierte die Forscher: Die Entwicklung sei noch umkehrbar. Das zeigten Beispiele wie die Erholung der Ozonschicht nach dem Montrealer Protokoll. Umkehr – hebräisch teschuva – meint mehr als nur Verhaltensänderung. Sie meint Richtungsänderung des ganzen Menschen, der ganzen Gesellschaft.

Stille.

 

Die Partitur ist kostenfrei für alle, die sie nachspielen möchten. Applaus optional, Umkehr erwünscht.

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

 Dr. Constantin Gröhn ist wissenschaftlicher Referent für Theologie und Wirtschaftsethik beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche und Pastor der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland.

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