Nur kurze Zeit nach dem Ende des Konklaves hat Stefan von Kempis eine der ersten Monografien über den neuen Papst vorgelegt. Der Autor ist Redaktionsleiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Ihm selbst ist bewusst, dass es sich dabei lediglich um eine erste Annäherung handeln kann.
Ausgehend von der „Balkonszene“, dem erstmaligen Auftreten Leos XIV. auf der Loggia des Petersdomes, fasst von Kempis die globalen Reaktionen auf die Papstwahl zusammen. Bereits diese Zusammenstellung lässt die Vielschichtigkeit der Erwartungen erkennbar werden, die dem neuen Pontifex in seiner Amtszeit begegnen werden. Durchgehend bewahrt der Autor eine weltkirchliche Perspektive, ohne die deutschsprachige Leserschaft aus dem Blick zu verlieren.
Besonders lesenswert sind die sich anschließenden biografischen Ausführungen, die den Weg von Robert Francis Prevost von seiner katholischen Sozialisation in den USA über seine mehrfachen Aufenthalte in Peru und Rom bis zu seiner Wahl zum Papst nachzeichnen. Es wird deutlich, dass man bei Prevost nicht von einer lateinamerikanischen Phase sprechen kann, sondern vielmehr von einem kontinuierlichen Wechsel zwischen regionaler Verantwortung in Lateinamerika und globalen Aufgaben im Kontext seiner Promotion, der Leitung des Augustinerordens und der Berufung zum Präfekten des Bischofsdikasteriums. Gerade sein Wirken als peruanischer Ortsbischof lässt Rückschlüsse auf manche inhaltliche Position zu: So setzte er Frauen auf Leitungsstellen in der Katholischen Universität und bei der Caritas und förderte Seelsorgeteams, die aus Laien bestanden.
An einigen Stellen wünschte man sich bei der Schilderung des Lebensweges Prevosts allerdings ein paar zusätzliche Hintergründe. Etwa zu den Spannungen innerhalb des US-amerikanischen Katholizismus, zum Hintergrund von Prevosts ausgeprägter Marienfrömmigkeit und zu seiner theologischen Prägung durch die augustinische Tradition. Eine schmerzliche Leerstelle der Biografie liegt bei den Vorwürfen zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in seiner Bischofszeit im peruanischen Chiclayo vor. Statt lediglich auf die Einschätzung des jesuitischen Missbrauchsexperten Hans Zollner zu verweisen, wäre zumindest eine präzisere Schilderung der gegen Prevost angeführten Vorwürfe angemessen gewesen.
Deutlich konkreter und umfassender lesen sich hingegen die Analysen der ersten Ansprachen und Handlungen Leos nach dessen Wahl. Die zentrale These, dass Leo eher auf die etablierten vatikanischen Institutionen als auf die Wirkung einer persönlichen Ausstrahlung setzt, wird gut begründet. Hier zeigt sich besonders der Kontrast zu Leos Vorgänger Franziskus. Die Ausführungen zu dessen Pontifikat und zu den Spekulationen im Vorfeld des Konklaves sind lesenswert, stehen aber unverknüpft neben den vorangegangenen Kapiteln. Erst im abschließenden Teil „Baustellen“ wird das Erbe seiner Vorgänger anhand zahlreicher Themen wie die vatikanischen Finanzen oder die kirchliche Willkommenskultur präzise geschildert und mit möglichen Handlungsoptionen für Leo verbunden.
Obwohl mit heißer Feder geschrieben, ist die „erste Annäherung“, die von Kempis vorlegt, in weiten Teilen leicht verständlich und besonders im Hinblick auf ihre ersten Kapitel lesenswert. Ein paar Tage mehr Zeit für die Redaktion hätten dem Buch im Blick auf Struktur und inhaltliche Tiefe allerdings nicht geschadet.