Ein Symbol

Christen in Gaza

Seit dem 7. Oktober 2023 ist „Gaza“ ein Symbolbegriff – für den Terror der Hamas und ihre ungeheure Aggression gegenüber jüdischen Israelis und für das große Leiden der Palästinenser:innen und das Unrecht, das ihnen geschieht.

Wenn Orte zu Symbolen werden, werden die Menschen, die dort leben, und die Geschichte, Kultur und Vielfalt eines solchen Ortes oft vergessen. So ist es ein großes Verdienst von Georg Röwekamp, in seinem Band den Fokus auf einen Aspekt Gazas zu lenken, der nur wenigen Leser:innen vertraut sein dürfte: die Geschichte und Gegenwart der Christen in der Region Gaza.

Der katholische Theologe Röwekamp stellt nüchtern und doch fesselnd vor, wie sich dieser Landstrich insgesamt seit den fassbaren Anfängen im 14. vorchristlichen Jahrhundert entwickelt hat, um ab dem zweiten Kapitel titelgerecht darzustellen, wie sich Christen dort ansiedelten und seitdem dort leben.

Die im Buch ausführlich dargestellte Auseinandersetzung zwischen den frühen Christen und den „Altgläubigen“ in Gaza führt bildhaft vor Augen, wie das Christentum in der Region Fuß fasste, sich lange mit anderen religiösen Bindungen arrangierte, dagegen agitierte, oder auch verfolgt wurde. Eusebius, der als einer der ersten über die Christen der Region Gaza berichtet, erzählt von dem Märtyrer Timotheus, der im Jahr 304 unter Kaiser Diokletian hingerichtet wurde, und von den Verfolgungen unter Kaiser Maximinus Daia, der im südlichen Ostjordanland 39 Christen an einem Tag köpfen ließ. Der christliche Historiker Hieronymus, der eine Heiligenvita des Mönchs Hilarion von Gaza verfasst hat, beschreibt, wie bei einem Wagenrennen das Gespann eines Christen den Wagenführer eines Marnas-Verehrers besiegt und damit zeigt: Die lokale Gottheit Marnas wird von Christus besiegt.

Gaza hat viel zu erzählen: vom anhebenden Mönchtum, wie es Hilarion prominent repräsentiert; von den frühchristlichen Auseinandersetzungen um die angemessene Darstellung des Heilswirkens Christi, also den Streit um das Bekenntnis von Chalcedon im fünften Jahrhundert, bei dem die Geistlichen Gazas eine wichtige Rolle spielten; von den paganen, christlichen, muslimischen, jüdischen Einflüssen, deren Spuren bis zum Gaza-Krieg zu entdecken waren; von den religiösen Pilgern des Mittelalters und den Missionaren des 19. Jahrhunderts, die den Landstrich als Fluchtort der Familie Jesu entdeckten und neu prägten.

Die Darstellung der vielfältigen Geschichte der Region wird gerahmt von der kriegerischen Gegenwart: Der lateinische Patriarch von Jerusalem Pierbattista Kardinal Pizzaballa eröffnet das Buch mit einem Grußwort. Er dankt darin den heutigen Christen von Gaza für ihre Hoffnung und ihr Bekenntnis zur Gewaltfreiheit. Das Buch endet mit einem Epilog, in dem theologisch eindringlich und mit Rückgriff auf die auch in Gaza verortete Simson-Geschichte das tragische Widerspiel von Gewalt und Friedenssehnsucht sensibel reflektiert wird. Der katholische Autor nimmt hier mit ökumenischer Weite Stimmen der lutherischen Christen wie den Bischof Ibrahim Azar, den katholischen Jesuitenpater David Neuhaus und den Dichter Muin Bseiso (1926–1984) auf, die gemeinsam den Blick auf einen kommenden Frieden richten, der aktuell nicht sichtbar und auch nicht einfach „machbar“ ist.

In dem kurzen Band kann manches nicht ausführlich zur Sprache kommen. Wer etwa eine differenzierte Präsentation der politischen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah Anfang des 21. Jahrhunderts in Gaza und die Rolle der Christen in diesem innerpalästinensischen Konflikt sucht, dürfte enttäuscht werden.

Insgesamt ist bemerkenswert, wie viel der Band an Einsicht vermittelt. Das „Symbol“ Gaza wird zu einem Ort mit vielfältiger Geschichte und lebendiger Gegenwart.

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