Die Reformationsforschung verdankt Thomas Kaufmann einige gewichtige Bücher, aus denen man viel lernen kann, auch wenn man seine aus der Zeit gefallene Überbetonung der Bedeutung Luthers und der Reformation nicht teilt. Das Buch aber, das er nun vorgelegt hat, ist schlicht missglückt, und das von der ersten bis zur letzten Seite.
Das ist umso überraschender, als „Luther als Publizist“ das Grundthema seiner Forschungen, genau genommen schon der seines Lehrers Bernd Moeller, ist, dessen feinziselierten Ansatz Kaufmann breit und detailreich ausgeschrieben hat. Nun will er „auch manche studentischen Leser“ und Leserinnen hierfür finden. Ob Kaufmanns fremdwortreicher Nominalstil diesem Ziel gute Dienste leistet, sei dahingestellt. Gerade für diese Leserschaft wäre das Ausbügeln kleinerer Schlampigkeiten, wie der, dass die Jahre „zwischen 1475 und 1490“ als Zeit der Kindheit des 1483 geborenen Martin Luther eingeführt werden, jedenfalls hilfreich gewesen.
Wirklich erstaunlich ist allerdings, dass die dünne argumentative Grundlage mancher vollmundigen Aussagen in diesem Buch nicht mehr rhetorisch verschleiert werden kann, sondern offen an die Oberfläche tritt: Kaufmann führt zwei Zitate aus dem Testament Martin Luthers an, in denen dieser seine Person als „offentlich“ bezeichnet. Dass dieses Wort gewiss nicht auf Publizieren im modernen Sinne eingeengt werden kann, ist heute historisches Gemeingut – und sollte spätestens im unmittelbaren Kontext auffallen, in dem Luther von seinem Bekenntnis „ym himel, aüff erden, aüch ynn der helle“ spricht (WA.B 9,573), bekanntlich nicht alles unbedingt Orte mit reicher Druckerpresse. Davon ungerührt, folgert Kaufmann, dass man nicht über verschiedene gegenwärtig die Reformationsforschung belebende Zugänge wie Mystik-, Körper- oder Emotionsstudien Luthers Selbstverständnis erfasse, „sondern“ durch „das Publizieren“. Das ist so meinungsstark wie argumentationsschwach.
Dabei wird die Aufmerksamkeit auf die Publizistik nicht einmal stringent durchgehalten: Die Bedeutung der Katechismen hebt der Autor immer wieder hervor, eine eigene Behandlung erfahren sie nicht. Bilder werden durch die Überschrift „typographische Porträts“ mühsam mit dem Thema verbunden, obwohl es sich oft bloß um „Bildchen“ handelte, „die Luther selbst mit Unterschriften versandte“, von den späteren Großporträts ganz zu schweigen – das könnte zu interessanten Reflexionen über unterschiedliche Medialitäten führen. Die findet man hier nicht.
Dafür liest man lebhafte Schilderungen zur Leipziger Disputation oder zum Reichstag zu Worms, die als Vorlage für eher verquälte Darstellungen der Publizistik im Umfeld dienen. Und da, wo sich dann nun wirklich alles in Büchern abspielt, wird die Abhandlung vollends dürftig. Die erregende Phase 1518/19, als sich Erbauungsschriftstellerei und Kirchenkritik in Luther verschränkten und diese Mischung aus Alt und Neu sein „Berühmtwerden“ (Bernd Moeller) heraufführten, bleibt blass. Eine nette Pointe ist es allerdings, dass Kaufmann in diesem Zuge unter „Frömmigkeitsrevolutionen“ vor allem die beiden Editionen der spätmittelalterlichen mystischen Theologia Deutsch behandelt. Man könnte fast meinen, er wolle ganz subtil die Hohlheit der permanenten Neuheitsrhetorik in der Reformationsgeschichte zeigen. Dass weit später die ungeheure publizistische Dynamik des Abendmahlsstreits zwischen Zürich und Wittenberg auf zwei Seiten, die zu einem Viertel aus Lutherzitaten aus der Endphase der Debatte bestehen, zusammengeschnurrt wird, ist eine weitere Merkwürdigkeit dieses Buches.
Die größte ist allerdings, dass Thomas Kaufmann verkündet, mit diesem Band den „‚eigentlichen‘ Luther darzustellen“, ja, dessen „Wesensnatur“. Der Historiker wird zum Essenzialisten – und noch dazu zu einem schlechten. Ist es wirklich das, was bleibt, wenn Kaufmann zwei Jahrzehnte seiner Forschung „rekapituliert“?
Volker Leppin
Volker Leppin (geboren 1966) ist Professor für Kirchengeschichte in Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen beim Mittelalter, der Reformationszeit und der Aufklärung, in den Themen Scholastik und Mystik und bei der Person und Theologie Martin Luthers.