Tödliche Temperaturen
Europa erlebte in diesem Sommer seine schlimmste Waldbrandsaison. Mehr als eine Million Hektar Wald brannten – eine direkte Folge des Klimawandels. Hitze wird auch in Deutschland zur tödlichen Gefahr, vor allem in den Städten. Dennoch fehlt es vielerorts an Schutzmaßnahmen und politischer Priorität. Der Journalist Nick Reimer beschreibt die Lage.
Es war der Sommer der großen Brände: Wochenlang immer wieder Bilder von kämpfenden Feuerwehrleuten auf den Bildschirmen in Spanien, Portugal, Frankreich oder Griechenland. Nach Daten des europäischen Waldbrand-Informationssystems EFFIS erlebte Europa 2025 seine bisher schlimmste Waldbrandsaison: Mehr als eine Million Hektar Fläche sind in der EU bis Anfang September verbrannt, so viele wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2006.
Das ist eine Folge der Klimaerhitzung: Die heißen, trockenen und windigen Bedingungen, die in diesem Sommer die tödlichen Waldbrände in Spanien und Portugal befeuerten, treten heute vierzigmal häufiger als im vorindustriellen Klima auf. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung der „World Weather Attribution“, einem Zusammenschluss von renommierten Forschungsinstituten aus verschiedenen Ländern. Der Studie zufolge war die Feuer verursachende Hitzewelle wegen des Klimawandels zweihundertmal wahrscheinlicher und bereits drei Grad wärmer. In einer Welt ohne den Klimawandel wären ähnliche Hitzewellen weniger als alle 2 500 Jahre zu erwarten. Mit einer Globalerwärmung von bislang durchschnittlich 1,3 Grad sind solche Ereignisse nun aber alle 13 Jahre wahrscheinlich.
In Deutschland war der Sommer 2025 von zwei markanten Hitzewellen geprägt und durch „eine wechselhafte, teils relativ kühle und ausgesprochen nasse Juli-Phase“, wie der Deutsche Wetterdienst urteilt. Trotz des vielen Regens registriert die EFFIS-Statistik aber auch hierzulande einen neuen Waldbrandrekord: 5 350 Hektar brannten. Das ist fast zehnmal so viel wie im langjährigen Mittel. Die höchste Temperatur wurde Anfang Juli in Andernach am Mittelrhein in Rheinland-Pfalz gemessen: 39,3 Grad.
Wüstentage und Tropennächte
Grundsätzlich ist durch den Klimawandel die Anzahl der „Heißen Tage“ von mehr als 30 Grad seit 1951 in Deutschland um 170 Prozent gewachsen. Um die Entwicklung besser beschreiben zu können, führten die Meteorologen in den 2010er-Jahren den Begriff „Wüstentag“ ein – Tage mit mehr als 35 Grad. Ihre Anzahl verdoppelte sich bereits. Auch die Zahl der „Tropischen Nächte“ steigt rasant: Die Temperatur fällt dann nicht unter 20 Grad, was dem menschlichen Körper zusetzt, weil er sich dann vom Hitzestress nicht mehr erholen kann. Zudem steigen die Temperaturen auf immer neue Höchstwerte: 2019 wurden in Duisburg 41,2 Grad gemessen, 2022 knackte Hamburg die 40-Grad-Marke. Bei der Hitzewelle Anfang Juli dieses Jahres wurden Rekorde mit 39,2 Grad auch in Demker, Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt), mit 39,1 Grad im bayerischen Kitzingen oder mit 38,9 Grad in Saarbücken-Burbach registriert.
Und das ist erst der Anfang: Selbst bei einem sofortigen Stopp aller weltweiten Treibhausgas-Emissionen werden Hitzewellen in Europa künftig häufiger, wie eine Studie der Universität Hamburg gerade zum Ergebnis hatte. Der Deutsche Wetterdienst beschreibt die Entwicklung bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts anschaulich: In Köln wird dann ein Klima herrschen wie heute in San Marino, in Hamburg eines wie im spanischen Pamplona, Berlin wird dann so werden wie heute Toulouse, München wie Mailand.
Menschen in Städten sind von dieser Entwicklung stärker betroffen als die auf dem Land. Im urbanen Beton bilden sich Wärmeinseln: Hitze staut sich im Straßenbelag und in den Gebäuden.
Das bedroht besonders Menschen ohne festen Wohnsitz: Beispielsweise gab es für diese Bevölkerungsgruppe – immerhin mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland – während der Hitzewelle Anfang Juli kaum eine Möglichkeit, sich abzukühlen. Henny Annette Grewe vom Public Health Zentrum Fulda fordert deshalb einen „Hitzebus“, der solche Menschen an einen kühlenden Ort bringt, „analog zum Kältebus im Winter“. Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ verlangt vom Bund einen Hitzeschutzfonds, um Hilfe für die Betroffenen gezielt fördern zu können. Auch geöffnete Kirchen können im Sommer zu „Kühlen Orten“ werden. Die EKD und die Diakonie Deutschland hatten auch in diesem Jahr dazu aufgerufen, die Gebäude an Hitzetagen zu öffnen, um Schutz, Schatten und zwischenmenschliche Zuwendung anzubieten (siehe dazu auch den Kommentar auf Seite 22).
Tatsächlich ist Hitze in Deutschland mittlerweile lebensgefährlicher als der Straßenverkehr. Nach Daten des Robert-Koch-Instituts sind hierzulande in den vergangenen beiden Jahren jeweils 3 000 Menschen an Hitzebelastung umgekommen, im Straßenverkehr jeweils etwa 2 800. Doch während jedes Jahr Milliarden Euro in die Verkehrssicherheit investiert werden, wurde überhaupt erst jetzt in Deutschland ein exaktes Verfahren entwickelt, um die Anzahl der Toten durch Hitze belastbar erfassen zu können. Denn auf dem Totenschein steht in der Regel nicht „Hitze“ als Ursache, wenngleich es Hitze war, die zu „Organversagen“, „Herzinsuffizienz“ oder „Kreislaufkollaps“ führte. „Es fehlt das Problembewusstsein“, urteilt Henny Annette Grewe. Zwar sei 2003 das „Jahr der Sichtweitung“ gewesen, „damals kamen in Mittel- und Westeuropa etwa 70 000 Menschen durch eine Hitzewelle um“, so die Professorin. Anders als andere Länder hätte Deutschland aber bislang kaum wirksame Konsequenzen gezogen.
Dabei ist Hitze auf verschiedene Weise lebensgefährlich. „27 Wege, auf denen dich eine Hitzewelle töten kann“, lautete der Titel eines vielbeachteten Aufsatzes von US-Medizinern aus dem Jahr 2017.
Zwar seien Kranke, Alte und Kinder besonders verletzlich, erklärte Hauptautor Camilo Mora von der University of Hawaii. Aber bei großer Hitze sei jeder in Gefahr. „Der Mensch ist anfälliger für Hitze, als die meisten Leute denken.“ Denn: Wir Menschen sind Wärmemaschinen, der menschliche Stoffwechsel produziert Energie. Um die Kerntemperatur stabil zu halten, muss diese hinaus aus dem Körper. Ab 30 Grad Umgebungstemperatur geht das nur durch Schwitzen. Nötig sind dafür ein funktionierendes Herz-Kreislauf-System, eine gesunde Lunge, gut arbeitende Nieren und genug Flüssigkeit. Durch Schwitzen kann ein Mensch pro Stunde einen Liter Flüssigkeit verlieren, trinkt er nicht schnell genug nach, reagiert der Körper mit quälendem Durstgefühl. Passiert weiter nichts, wird das Blut dicker, das Gehirn nicht mehr genügend durchblutet, es kommt zu Schwindel, unsicherem Gang, Sprachstörungen. Bei anhaltendem Wassermangel versagen irgendwann die Nieren, sie können den Körper nicht mehr entgiften. Der Tod ist dann unausweichlich.
Risiko für Frühgeburten
Keiner sollte sich vor Hitze sicher wähnen, auch die Superfitten nicht. Bei der Weltmeisterschaft der Leichtathleten 2019 in Katar kollabierten nacheinander 28 Marathonläuferinnen, mehr als ein Drittel des gesamten Starterfeldes – es herrschten zwar „nur“ 32,7 Grad Celsius, das allerdings bei 73,3 Prozent Luftfeuchte. Im Hitzesommer 2018 berichteten Ärzte aus deutschen Krankenhäusern, dass immer wieder Jogger eingeliefert wurden, die die Wärme unter- oder sich selbst überschätzt hatten. Hitze erhöht zudem das Risiko von Frühgeburten, wie unter anderem Untersuchungen aus Belgien zeigen. Findet eine Krankenhaus-OP an einem warmen Tag statt, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sich hinterher die Operationswunde entzündet. Eine groß angelegte Untersuchung von Daten aus Frankfurt/Main ergab: In heißen Sommern liegt die Zahl von Rettungswagen-Einsätzen um bis zu 17 Prozent über dem Normalwert.
Besonders gefährdet sind Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Demenz, niedrigem Blutdruck oder schwachem Kreislaufsystem. Überraschenderweise sind auch Babys und Kleinkinder besonders gefährdet, wie Expertin Henny Annette Grewe erklärt: „Säuglinge und Kleinkinder haben, bezogen auf die Körpermasse, im Vergleich zu Erwachsenen eine größere Körperoberfläche, kühlen demnach bei niedrigen Umgebungstemperaturen schneller aus, werden bei hohen Umgebungstemperaturen aber auch schneller erhitzt.“
„Im Prinzip ist bekannt, was zu tun ist“, sagt die Professorin: Menschen, die gebrechlich, ohne Hilfe oder ohne Orientierung seien, „beispielsweise durch Demenz“, müssten betreut werden, etwa mit genügend Flüssigkeit. „Zudem müssen bei Hitze viele Medikamente anders dosiert werden.“ Wer bettlägerig ist, kann – ganz profan – über jenen Teil der Körperfläche, der auf der Matratze liegt, keine Hitze abführen. Auch leben alte Menschen nicht selten allein, und soziale Isolation hat sich in vielen Studien als besonderer Risikofaktor bei Hitze herausgestellt.
Service per Telefon
In Frankreich können sich Alte und chronisch Kranke registrieren lassen, damit man sich während einer Hitzewelle um sie kümmert. In Deutschland gebe es so etwas nur punktuell, sagt Grewe, beispielsweise betrieben Kassel und Köln einen Telefonservice für hitzegefährdete Menschen. „Menschen, die in überhitzten Wohnungen leben müssen, sollten zumindest stundenweise an kühlen Orten Erholung finden können.“ Das alles sei enorm personal- und damit kostenintensiv. „Zwar gibt es mittlerweile in vielen Kommunen Hitzenotfallpläne, oft fehlt es aber im Ernstfall am Geld.“ Denn der Bund kann den Kommunen wegen der föderalen Strukturen die Hitzevorsorge nicht vorschreiben. Das können nur die Bundesländer. Die aber sehen immer noch keine Priorität im Schutz vor dem Hitzetod.
Umbau der Städte
Doch auch beim Umbau der Städte gebe es noch viel zu tun, erklärt Grewe. „Wir brauchen mehr Grün, vor allem in dicht versiegelten Gebieten, denn Bäume kühlen ihre Umgebung um mehrere Grad. Wir brauchen Frischluftschneisen, die die Städte mit kühlerer Luft von außen versorgen. Wir brauchen eine andere Architektur, es wird noch viel zu oft mit den Erfahrungen der kalten Winter gebaut, statt sich an den heißer werdenden Sommern zu orientieren.“
Was einleuchtend klingt, ist in der Praxis oft schwer umzusetzen. Zum Beispiel Stadtbäume: Eingezwängt zwischen Beton und Autos, eingenebelt von Abgasen und angepinkelt von Hunden ist ihr Überleben ohnehin schon schwieriger als das ihrer Artgenossen auf dem Land. Und nun kommen durch den Klimawandel Hitze- und Dürreperioden und oft neue Krankheiten und Schädlinge hinzu. Mehr als 3 600
Stadtbäume büßte allein der Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg in den Hitzesommern 2018 und 2019 ein, viermal mehr als in normalen Jahren. Natürlich kann man Bäume nachpflanzen – doch welche? Klassische Arten wie Ahorn oder Winterlinde haben an vielen Standorten keine Zukunft. Einige Kommunen versuchen es zum Beispiel mit hitzeresistenten Arten wie nordafrikanischen Zürgelbäumen, mongolischen Linden oder Trompetenbäumen aus dem Südosten der USA. Doch die Stadtbäume der Zukunft müssen nicht nur mit Hitze und Trockenheit klarkommen, sondern auch mit extremem Frost. Denn auch der wird uns in Zukunft als Folge des Klimawandels immer wieder heimsuchen, wenn auch nicht so oft wie in der Vergangenheit.
Literatur
Nick Reimer/Toralf Staudt: Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird. Kiepenheuer & Witsch, Frankfurt /Main 2021, 384 Seiten, Euro 18,–.
Nick Reimer
Nick Reimer ist Journalist und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Umwelt- und Klimaschutz. Er lebt in Berlin.