Alle drei Frauen trugen Pink an diesem besonderen Tag in der Kirche. Maya hatte ein leuchtend pinkes Kleid angezogen. Sie ist für die großen Auftritte zuständig und bringt den Glamour ins Leben der beiden anderen. Das Kleid hatte sie selbst geschneidert für diesen Anlass. Für Katja hatte sie ein pinkes Haarband aus demselben Stoff gemacht. Katja ist die beste Zuhörerin, die man sich vorstellen kann und hat für die andern beiden immer ein offenes Ohr. Wiebke hatte sich pinke Strähnen gefärbt. Sie ist die geduldigste von allen dreien und hat so ein großes Herz, dass Maya und Katja oft nur staunen können.
Die drei Frauen verbindet so viel mehr als die Farbe Pink. Die Liebe verbindet sie. Sie teilen ihr Leben zu dritt. Vor wenigen Wochen saßen sie vor mir in der Kasseler Martinskirche, um diese Liebe segnen zu lassen. „Einfach heiraten“ hieß die Aktion, bei der so viele Kirchen ihre Türen weit öffneten für Menschen, die sich trauen lassen oder ihre Liebe segnen lassen wollten. Maja, Katja und Wiebke wollten das auch. Zwei Wochen zuvor waren sie einer illustren Runde von Menschen im Talar und einer Braut mit 18 Lagen Tüll in der Innenstadt begegnet. Die Gruppe war als Junggesellenabschied mit Bauchladen in Kassel unterwegs, um Werbung für „Einfach heiraten“ zu machen. Bei dieser Begegnung ahnten sie vielleicht, dass an diesem Tag in der Kasseler Martinskirche ein herzlich weiter Raum ist, wo auch Platz ist für ihr gemeinsames Leben zu dritt.
Geprägt von Paarlogik
Im Kreis der Vorbereitenden hatten wir uns vorher damit auseinandergesetzt, wie das wäre, wenn polyamor lebende Menschen kommen an diesem Tag. Trotzdem schien mir diese Möglichkeit so wenig wahrscheinlich, dass ich mich nicht explizit als Liturgin darauf vorbereitet hatte. Und plötzlich saß ich da im Kirchenraum mit den drei Frauen. Genau genommen saß ich nicht nur mit ihnen dort, sondern da war auch noch Paul. Das Gespräch lief schon etwa fünfeinhalb Minuten, bis ich verstand, dass Paul nicht Teil der polyamoren Beziehung ist, sondern einfach ein guter Freund, den die drei gebeten hatten, ihren besonderen Moment auf Fotos festzuhalten.
Diese kleine Verunsicherung, die uns alle fünf einen Moment zum Schmunzeln brachte, sollte nicht die einzige bleiben an diesem Nachmittag. Ich spürte, dass meine Art, das Kasualgespräch zu führen, zutiefst von einer binären Paarlogik geprägt ist. Mit meinen Fragen habe ich immer wieder auf Zweierkonstellationen inmitten dieser Dreier-Liebe den Fokus gelegt. Ich merkte, dass ich aus dieser Logik kaum herauskam und spürte gleichzeitig, dass ich diesen Menschen, so wie sie da vor mir saßen, damit kaum ganz gerecht werden konnte. Dass ich trotzdem Einiges von Ihrem gemeinsamen Leben erfahren habe, lag daran, dass die drei so gesprächig waren und mich ein Stück weit mit in ihr gemeinsames Leben genommen haben und mir etwas von dem zeigten, was ihnen daran wertvoll ist.
Viele Verunsicherungen
Nachdem wir das Gespräch beendeten hatten, brachte ich sie in die Nähe der Chorkirche, die sie sich für ihren Segen ausgesucht hatten. Dort fand gerade noch eine Trauung statt, so dass mir noch ein wenig Zeit blieb in der Kirchenbank zu sitzen und zu überlegen, wie etwa die kleine Ansprache gleich lauten könnte. Plötzlich fiel mir siedend heiß ein, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich den Segen mit den drei Frauen gestalten sollte. Wer reicht da nun gleich eigentlich wem die Hand? Schnell ging ich zu ihnen uns schlug ihnen vor, wie es sein könnte. Vielleicht alle Hände im Wechsel übereinander legen. „Probiert doch mal aus“, sagte ich „und spürt mal, wie sich das für Euch anfühlt.“ Sie wollten sich lieber im Kreis an den Händen halten und die Hände dann zusammen in die Mitte halten zum Segen. So fühlte es sich gut an. So sollte es sein.
Diese ganze Reihe von kleinen und größeren Verunsicherungen auf dem Weg hin zu dieser Feier sind mir noch nachgegangen in den vergangenen Wochen. Diese Kasualie brauchte im Grunde eine ganz eigene Form der Ritualkompetenz, die ich in diesem Augenblick zumindest nicht in dem Maße hatte, wie ich es mir gewünscht hätte. Mir ist nochmal sehr deutlich geworden, dass wirklich sensibel mit den Lebensentwürfen von Menschen umzugehen weitaus mehr bedeutet als sich ein Schild mit der Aufschrift „Offen für Vielfalt“ an die Tür zu hängen. Und wenn ich es auch nicht gern zugebe, ist mir bewusst geworden, dass ich selber viel stärker in den Vorstellungswelten klassischer Beziehungsmuster verhaftet bin als ich es gern wäre.
Leuchtende Augenpaare
Als wir uns im Vorbereitungsteam gefragt haben, wie wir mit polyamor lebenden Menschen umgehen an diesem Tag, haben wir im Grunde das getan, was in unserer kirchlichen Institution zutiefst eingespielt ist. Wir haben nach „Zulassung“ gefragt. Wen lassen wir zu für ein kirchliches Ritual? Für welche Menschen eröffnen wir Räume, in denen Segen spürbar werden kann, und welche Menschen müssen vielleicht draußen bleiben. Denkbar wäre ja auch, zunächst einmal danach zu fragen, wonach diese Menschen sich genau sehnen, wenn sie in den Kirchenraum kommen, wer sie eigentlich sind und was sie brauchen könnten. Als Kirche wirklich offen für die plurale Vielfalt unterschiedlicher Lebenskonzepte zu sein, bedeutet nicht in erster Linie „zuzulassen“, es bedeutet, sich wirklich und bereitwillig auf die individuelle Lebenswirklichkeit von Menschen einzulassen und ihr mit neugierigem Interesse zu begegnen. Ich bin sicher, dass wir perspektivisch nur dann weiter Segensräume eröffnen können, wenn wir unsere Rituale nicht von einer regelnden Amtslogik her denken, sondern von den Menschen her mit denen wir feiern.
Als Maya, Katja und Wiebke an diesem Tag am Altar standen, hat mich sehr beeindruckt, wie sicher die drei Frauen wirkten, dass sie hier heute genau richtig sind, trotz all der Verunsicherungen ihrer Pfarrerin. Ich sprach von der Leidenschaft für die Poesie, welche die drei miteinander teilen. Davon, dass sie einander jeden Tag neue Horizonte eröffnen, denn so hatten sie es mir gesagt. Ein Wort aus dem 1. Korintherbrief hatten sie sich ausgesucht, das ihre Feier begleiten sollte. „Die Liebe hört niemals auf.“ Denn die drei sind sich sicher, dass die Liebe nicht weniger wird, wenn man sie teilt, sondern mehr. Den Song „Fields of Gold“ hatten sie sich ausgesucht und als der live für sie gespielt wurde, leuchteten ihre 3 Augenpaare. Viel Segen war da spürbar bei dieser Feier in der Chorkirche. Am Ende lässt der Geist sich eben weniger schnell verunsichern als eine Liturgin, sondern er ist da, wo Menschen in Liebe zusammen und füreinander da sind. Gott sei Dank.
Katharina Scholl
Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.