Wohlfahrt statt Wachstum

Einen Feiertag streichen für die Konjunktur? Eine schlechte Idee
Foto: Rolf Zöllner

Seit zwei Jahren steckt Deutschland in der Rezession. Deshalb zählt mehr Wirtschaftswachstum zu den Hauptzielen, die die schwarz-rote Regierungskoalition verfolgt. Bundeskanzler Friedrich Merz und andere Spitzenpolitiker verordnen Deutschlands schwacher Konjunktur dazu eine Arbeitstherapie. Ein beliebtes Element, das dabei gerne von Wirtschaftsverbänden und ihnen nahestehenden Instituten empfohlen wird: Streicht einen Feiertag, zum Beispiel den Pfingstmontag. Denn jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt. 

Beispiel Buß- und Bettag

Echt jetzt? Immerhin: Um bis zu 8,6 Milliarden Euro könnte es wachsen, wenn wir einen Feiertag streichen, heißt es. Klingt viel. Aber: Deutschland hat auch im Rezessionsjahr 2024 ein Bruttosozialprodukt von etwa 4,5 Billionen Euro erwirtschaftet. Mit durchgearbeitetem Pfingstmontag wären es dann 0,0086 Billionen Euro mehr. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass der Pfingstmontag oft für Kurzurlaube oder Ausflüge genutzt wird, was Gastronomie und Tourismus freut. Zudem ist Erholung wichtig für die mentale und körperliche Widerstandsfähigkeit, was entsprechend die Gesundheitskassen entlastet. Und wenn wir uns dann noch in Erinnerung rufen, dass einst der Buß- und Bettag als bundesweiter Feiertag abgeschafft wurde, um die stets unterfinanzierte Pflegeversicherung zu finanzieren, wachsen die Zweifel an solchen Vorschlägen.

Es geht um die allseits beliebte Erzählung: Wir Deutschen sind ein bisschen faul geworden und müssen ran an den Work-Life-Balance-Speck an unserem Wohlstandsbauch. Aber diese Diagnose ist falsch. Zwar liegt Deutschland mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit aller Arbeitnehmer:innen von 34,7 Stunden etwas unter dem europäischen Durchschnitt, was aber vor allem an der hohen Quote von Teilzeitbeschäftigten liegt. Vollzeitbeschäftigte arbeiten gut 40 Stunden pro Woche, insgesamt liegt die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden auf historisch hohem Niveau. Hinzu kommt: In unserem Land wurden im vergangenen Jahr etwa 1,2 Milliarden Überstunden gemacht, die Hälfte davon unbezahlt. Eine Regierung ist schlecht beraten, wenn sie ihrem Volk angesichts dieser Zahlen Faulheit unterstellt. 

Wir waren schon mal klüger

Wir haben das Thema auch schon mal klüger diskutiert. Als weniger Wochenarbeitszeit als Ausdruck von gesellschaftlichem Fortschritt galt. Oder als angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 und der immer sichtbarer werdenden Folgen des Klimawandels in vielen Regierungszentralen die Frage gestellt wurde, ob die Wachstumsrate als entscheidende Ziffer zur Bewertung einer Volkswirtschaft ausreicht. Konzepte wie das „Bruttonationalglück“ in Bhutan sind sicher nicht einfach auf andere Länder übertragbar, und die Suche nach einem einzelnen Wohlfahrtsindex, nach dem damals ernsthaft gesucht wurde, brachte kein nachhaltiges Ergebnis.

Aber die Fragen bleiben: Wie und wo kann Wohlstand wachsen ohne Wohlfahrt zu kosten? Brauchen wir in einer gesättigten Gesellschaft tatsächlich noch immerwährendes Wachstum? Können wir unsere Sozialsysteme nicht auch anders organisieren? Über solche Fragen nachzudenken dürfte langfristig lohnender sein, als platte Forderungen zu stellen. Vielleicht könnten wir den nächsten Feiertag dazu nutzen.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

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