
Vor einer Woche schrieb der Nürnberger Theologe Ralf Frisch eine glossenartige, großteils recht vernichtende Kritik des Designs des neuen Evangelischen Gesangbuchs, das auf dem Kirchentag präsentiert wurde. EKD-Oberkirchenrat Karl Friedrich Ulrichs, einer der Verantwortlichen, nimmt Frischs Fehdehandschuh lustvoll auf. Er hofft, dass das künftige Gesangbuch spätestens, wenn es 2028 erscheint, auch seine Kritiker begeistert oder diese zumindest lernen „manierlich zu diskutieren“.
Als Clemens J. Setz seinen Erzählungsband „Der Trost runder Dinge“ (2019) schrieb, konnte er nicht wissen, dass ein Nürnberger Theologe diesen – den Trost, nicht den Band – einst nötig haben sollte. Ralf Frisch hat, um seinem Ruf als – je nach theologischer Gestimmtheit der Lesenden - Edel- oder Sudelfeder des theologischen Feuilletons gerecht zu werden, dem neuen, genauer: in statu nascendi befindlichen Evangelischen Gesangbuch und hier genauer: dem Design des Einbands einige ungeordnete sch(m)ale, nämlich assoziationsreiche, aber gedankenarme Ausführungen gewidmet („Symbol des Etwasismus?“).
Von der hier unternommenen Erwiderung gilt: difficile est satiram non scribere[1], wie der Ostfriese sagt – nicht einfach, ernst dabei zu bleiben –, um dann doch ernst im Ton zu antworten und in der Sache sachlich eben; dies schon deshalb, weil der gemeine Ostfriese nicht so lustig ist wie der Franke. (Mit dieser unnötigen landsmannschaftlichen Sottise soll übrigens nur gezeigt werden, dass nicht alles geschrieben werden muss, was einer im Angesichte seines Laptops für geistreich hält. So könnte man immer weiterschreiben, hieße das nicht, in die künftig so zu nennende „Ralf-Frisch-Falle“ zu tappen.)
Nun also zur Sache und zum Trost runder Dinge und zum künftigen Gesangbuch und seiner Einbandgestaltung und dem bunten Rund.
1.Fehlt das Kreuz?
Die Kritik entzündet sich bei Frisch an einer Fehlanzeige, die, sieht man genauer hin und denkt man länger nach, gar keine ist. Dem neuen Gesangbuch fehle das Kreuz, das sträflicher Weise nicht als dessen Logo gewählt sei. Doch in der evangelischen Gesangbuchgeschichte finden sich nur ausnahmsweise Kreuze auf Einbänden. Und das mit guten Gründen: Die Markierung eines in Kirchen ausliegenden Buches mittels Kreuz als christlich ist einigermaßen abundant. Um dafür wie Frisch eine lebensweltliche Parallele beizubringen: Bei aller Gestaltungsfreude hat die Welt noch keinen Fußball mit aufgedruckten Fuß-Stilisierungen gesehen, weil der im Anstoßkreis liegende runde Gegenstand durch seinen Kontext ausreichend markiert und entsprechend sofort nach dem Pfiff Objekt der vierundvierzig mitspielenden Füße ist. (Zuzugeben ist allerdings, dass dieses Argument schwächer ausfällt, bedenkt man, was Frisch allerdings gar nicht anspricht: Das Nicht-Kreuz-Logo wird auch die knapp viermal so umfangreiche digitale Form des Gesangbuchs zieren; hier wäre ein Kreuz möglicherweise hilfreich.) Zudem würde das Kreuz auf dem Einband zur Bildmarke degradiert werden – ein Gedanke, der dem ausgewiesenen Barth-Kenner Frisch doch einleuchten wird. Die ästhetischen Risiken einer Bildmarken-Verwendung des Kreuzes sieht man allenthalben bei landeskirchlichen Logos, wo sich schwungvoll-elegante und pointilistisch variierte Kreuze finden.
2. Das bunte Rund
Das Logo des neuen Gesangbuchs ist ein Kreis aus sechs Segmenten in drei Farben von zwei Farbwerten mit einem freien Segment etwa bei 1 Uhr, sähe man im Kreis das Ziffernblatt einer Uhr. Dass – wie von Frisch nicht ohne Ironie angemerkt – die Kirche der Zukunft „bunt“ ist, gilt unbestritten und erfreulicherweise für die Diversifizierung der Gottesdienstkultur und damit auch des gottesdienstlichen Singens. Da wird es nicht zuletzt mit dem neuen Gesangbuch in der Tat bunt zugehen – und weil ja nach 1. Petrus 4,10 Gottes Gnade bunt ist, geht das denn auch in bester geistlicher Ordnung.
Bedauerlicherweise wird in der Kritik der Zusammenhang mit dem den Aufbau des Gesangbuchs bestimmenden Motiv der Zeit gar nicht erkannt; dieses in den Kommissionen und Gremien ausführlich und sorgfältig und mit Berücksichtigung von möglicher Kritik und von Alternativen diskutierte Motiv ist auch deshalb für ein Gesangbuch passend, weil Gesang wie die Musik überhaupt die Kunstform der Zeit ist (während die bildende Kunst den Raum deutet und gestaltet). Zwar verläuft die Zeit linear, aber wir erleben sie doch auch in Kreisen, etwa im Jahreslauf. Das Logo bietet darum auch eine Anspielung auf den Jahreskreis und auf eine analoge Uhr. Es gibt kleine Unterbrechungen und eine Lücke, die schmerzlich sein kann oder verheißungsvoll. Das kann man alles kritisieren – nachdem man es verstanden hat (und, um seriös zu argumentieren, weitere Aspekte wie den der graphisch zu gewährleistenden Barrierefreiheit [durch leicht erkennbare Formen und Farben und lesbaren Symbolgehalt] bedenkt.
Assoziationen sind wie Gedanken überhaupt frei; sie können aber auch Unfug sein, etwa wenn der Quattro-Stagioni-Gourmand in den sechs Segmenten – mit der (soeben verspeisten) Lücke sind es sieben – eine angeschnittene Pizza assoziiert. Wie die Pizza eine Arme-Leute-Essen war, ist diese Bemerkung eine (bestenfalls als Gag gemeinte) Kritik für Arme. Das gilt auch für die etwas feixende Bemerkung dazu, dass der Kreis „nach oben rechts offen“ sei.
3. Theologische Defizite?
Ernster zu diskutieren ist der der Kritik zugrunde liegende Vorwurf, mit dem Logo werde wieder einmal das Evangelische verunklart. Ein bunter Kreis passe eher zu einem interreligiösen Projekt, ja hier drohe evangelischer Glaube „mit dem Kosmischen zu verschmelzen, dessen unendliche Sphären und Kreisläufe offenbar das knorrige und kantige, alle humanistischen Illusionen vor den Kopf stoßende Kreuz sanft ablösen sollen.“ Und das sei „eine Kapitulation … – und zwar die Kapitulation einer Kirche, die mit dem Kreuz keinen Blumentopf mehr zu gewinnen können meint und daher glaubt, mit anschmiegsamen Rundungen weniger zu irritieren als mit allzu sichtbarer … und allzu verstörender Christozentrik.“ Und nach dieser Wendung zu allgemeiner Kritik an evangelischer Kirche geht es munter in der Suada weiter: Es werde (von übelgesinnten oder theologisch armseligen Kirchenfunktionären?) eine „Bildstrategie christentumstranszendierender universaler Anschlussfähigkeit verfolgt. Man meint wirklich, das Gesangbuch einer neuen, nachchristlichen Religion vor sich zu haben.“
Diesen Eindruck werden indes nur des Lesens Unkundige gewinnen, steht doch unter dem Kreis „Evangelisches Gesangbuch“. An der Missachtung des Verwendungs- und Wahrnehmungszusammenhangs krankt die aufgeregte Kritik; für ein Logo sind aber Pragmatik und Kontext entscheidend. Die Kritik am Logo des neuen Evangelischen Gesangbuchs schuldet sich denn auch ganz der notorischen Skepsis des Kritikers gegenüber den evangelischen Kirchen in Deutschland. Besonders bei deren Gemeinschaft, der EKD, zeige sich – nun eben auch beim gewählten Logo des neuen Gesangbuchs – eine eklatante Unbestimmtheit und Unschärfe in der Lehre, der durch „Sozial- und Politromantik der Zwischenmenschlichkeit“ mehr schlecht als recht aufgeholfen werde. Und um EKD und EG noch eines auf die Mütze zu geben, wird das kreisrunde, bunte Logo als Symbol für Sonne und Sonnengott ausgemacht, womit wieder einmal bewiesen wäre, dass der evangelischen Kirchen der biblische Gott abhandengekommen sei – eine abwegige Assoziation, die dann skandalisiert wird. Was als Beleg daherkommt, ist tatsächlich eine Denunziation, die schon bald durch Kenntnis der gewählten Lieder und Texte Lügen gestraft werden wird. Möglich oder – ach! – wahrscheinlich ist aber wohl, dass dann die eine oder andere Entscheidung zur Liedauswahl sogleich wieder als willkommener Anlass genommen wird, zur Feder und zur Klinge zu greifen und über jedem „fehlenden“ – genauer: nicht gedruckten, aber in gleicher Qualität digital greifbaren – Choral (Martin Luther! Paul Gerhardt! Jochen Klepper!) Zeter und Mordio zu schreien und den Verrat am Evangelium und am Evangelischen auszurufen.
4. Unerwarteter Trost
Am Ende ist Frisch seiner eigenen Polemik überdrüssig – sie ödet einen in der Tat in ihrer Erwartbarkeit an – und mit nur ein bisschen Benevolenz anstelle des bisher kultivierten Generalverdachts gelingt eine angemessene Interpretation, die „die leere Mitte und die offene Durchbrochenheit des Logos“ wahrnimmt und im inkriminierten Logo einen Hinweis auf „den kommenden Gott, mit dem selbst in den innersten Kreisen der Kirche zunehmend weniger zu rechnen scheinen. Auf den auferstandenen Christus, der mitten unter die Seinen tritt und ihnen die Angst vor der Irrelevanz und der Bedeutungslosigkeit nimmt.“
Natürlich kommt auch diese wohlwollende Sicht auf das Logo nicht ohne pauschale Kritik an der EKD mit ihren vermeintlichen „Gottvergessenheit“ aus und erweist sich damit als vergiftetes Lob, wenn Frisch im Konjunktiv erwägt, ob „das neue Logo in Gestalt der ungestalteten Mitte und in Gestalt des fehlenden Kreissegments … derjenigen letzten Wirklichkeit einen Platz freihält, die gottessensiblere Gemüter im Raum der öffentlichen Theologie der EKD so oft schmerzlich vermissen?“
5. Manierlich diskutieren
Und schließlich nochmals zum Anfang und zu einer abschließenden grundsätzlichen Bemerkung: In den Kirchen wird zurecht der nicht seltene ungehörige, ruppige, verletzende Ton in digitaler Kommunikation moniert; hate speech lehnen wir ab. Und dann muss man einen solchen unmäßigen Angriff lesen. „Man“ sind auch die etwa achtzig ehrenamtlich im Gesangbuchprozess Engagierten, die ihre musikalische, literarische, hymnologische, theologische Expertise in intensive, in der Sache gelegentlich streitige, aber (fast) immer kollegiale Diskussionen einbringen; sie werden durch einen solchen Angriff verletzt.
Interessiert den Autor die Wirkung seiner harschen Worte? Und zum „man“ gehören die, die auf das neue Gesangbuch warten und mit ihm singen und musizieren werden; ihnen wird die überaus berechtigte Vorfreude genommen, von der wir in vielen Gesprächen auf dem Gesangbuchstand im EKD-Forum beim Kirchentag jüngst viel gespürt haben. Für deren Arbeit am Gesangbuch, für deren Weg zum und mit dem neuen Gesangbuch wäre es hilfreich, wenn künftige Kritik klar, aber wertschätzend und damit sozusagen in den freundlichen Farbwerten des Gesangbuchs selbst geäußert würde. Dass der Kritiker diese als psychedelisch wahrnimmt, lässt auf Irenik hoffen und darauf, dass er den unerwarteten „Trost runder Dinge“ doch noch erfährt.
[1] Ein vom römischen Satirendichter Juvenal (um 60 – nach 127 n. Chr) herrührendes Wort, zu Deutsch etwa "Hier keine Satire zu schreiben, ist schwer" (nämlich bei Beobachtung irgendeiner anfallenden Verkehrtheit oder Torheit).
Karl Friedrich Ulrichs
Oberkirchenrat Dr. Karl Friedrich Ulrichs ist Referent für Gottesdienst und Kirchenmusik bei EKD und UEK und arbeitet in der Steuerungsgruppe des Gesangbuchprojekts mit.