„Im Strom der Zeit“

Interview mit Konrad Klek zum Melodienwettbewerb beim Paul-Gerhardt-Preis 2025
Geh aus, mein Herz
Foto: Paul-Gerhardt-Gesellschaft

Seit einigen Tagen können Melodien beim Wettbewerb um den Paul-Gerhardt-Preis eingereicht werden, bei dem neue Weisen zu den Texten des berühmten Lieddichters („Geh aus, mein Herz“) gesucht werden. Konrad Klek ist Universitätsmusikdirektor in Erlangen und seit 2015 Präsident der Paul-Gerhardt-Gesellschaft, die den Wettbewerb konzipiert hat. Über Sinn und Zweck dieser besonderen Competition hat zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick mit Konrad Klek gesprochen, der Vorsitzender der Jury ist.

zeitzeichen: Herr Professor Klek, die geistlichen Lieder von Paul Gerhardt gehören auch heute noch zu den beliebtesten im Evangelischen Gesangbuch. Warum suchen Sie jetzt mit einem Wettbewerb nach neuen Melodien? Sind die alten nicht gut genug?

Konrad Klek: Die Melodiezuweisung bei den Paul-Gerhardt-Liedern war in der Vergangenheit nie fix. Da gab es immer wieder Klangwechsel und neue Arrangements als Zeichen einer lebendigen Gerhardt-Rezeption. „Befiehl du deine Wege“ etwa wird erst seit 1950 überall mit der uns vertrauten Melodie gesungen, die es so zu Gerhardts Lebzeiten noch gar nicht gab. Und der Hit „Geh aus, mein Herz“ setzte sich mit der populären Melodie, die ein Gütersloher Lehrerorganist vor knapp 200 Jahren in Abwandlung eines Volksliedes erfand, erst seit 1993 im Gesangbuch durch. Gerhardts Liedtexte sind so gut und vieldimensional, dass sie im Lauf der Zeit immer wieder in neue Klanggewänder schlüpfen, weil sie die Menschen wieder anders ansprechen. Unser Erleben heute und unsere Singpraxis wandeln sich sehr stark. Da ist es wichtig, Gerhardts Liedtexte in den Strom der Zeit mit hineinzunehmen. Außerdem wollen wir musikschöpferisch Tätige animieren, sich mit den wunderbaren Gerhardt-Liedern zu befassen und ihr Potenzial als religiöse Sprache neu auszuloten. 

Dann gleich nochmal zum heute fraglos beliebtesten Lied von Paul Gerhardt „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ (EG 503). Die volkstümliche Melodie, die jetzt im Gesangbuch steht, garantiert doch den Erfolg. Wäre da eine Alternative überhaupt sinnvoll ? 

Konrad Klek: Als gebürtiger Württemberger bin ich da parteiisch. Ich bin mit einer aus der Schweiz stammenden, sehr erhebenden Melodie zu dem Lied aufgewachsen, die mancherorts sogar Kultstatus hat (zum Beispiel bei einem Volksfest in Göppingen) und als Alternative weiter im württembergischen Gesangbuch steht. Ich kann mich nie damit abfinden, dass bei der sonst verbreiteten Hit-Fassung der Appell zum „Freude suchen“ melodisch ein Abschwung ist und die Schlusszeile wiederholt wird, wie es eben bei weltlichen Volksliedern typisch ist, ob das bei den 15 Strophen jeweils passt oder nicht. Für die theologisch anspruchsvolle zweite Liedhälfte ist der ganze Tonfall einfach zu banal. Das ist eine echte Herausforderung, hier eine Alternative zu finden, die ähnlich „niederschwellig“ zum Mitsingen ist, aber dem Lied besser gerecht wird.

Sie rufen mit dem Wettbewerb gezielt dazu auf, auch die heute unbekannteren Lieder Paul Gerhardts zu berücksichtigen, also die, die nicht im Gesangbuch stehen. Wo findet man denn die?

Konrad Klek: Die VELKD hat zu diesem Wettbewerb eine Datenbank mit allen 140 Liedtexten Gerhardts bereitgestellt. In diesem Liederschatz zu stöbern, lohnt sich. Wir rezipieren zum Beispiel von den 27 Psalmliedern Gerhardts meist nur „Du meine Seele, singe“ (EG 302). Da finden sich sehr ansprechende Übertragungen etwa von Psalm 23 und Psalm 116. Auch als „Lebenskunst“-Experte wäre Gerhardt neu zu entdecken: „Geduld ist euch vonnöten …“ Schließlich gibt es auch ein Lied zum Westfälischen Frieden 1648, das heute ganz neu spricht und bei den Gedenkfeiern zum Kriegsende 1945 bestens passt: „Gott Lob! Nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort.“ 

Was ist das Besondere an den Texten Paul Gerhardts? Warum erfreuen sich einige von ihnen weiterhin so großer Beliebtheit?

Konrad Klek: Wir hatten jetzt auf dem Kirchentag in Hannover als Paul-Gerhardt-Gesellschaft einen Stand beim Zentrum Kirchenmusik. Da habe ich immer wieder erlebt, wie in dem Moment die Augen zu leuchten beginnen, wo jemand realisiert: Hier geht es um Paul Gerhardt. Das ist ein Phänomen, das letztlich nicht zu erklären ist. Ist es die emotionale Tiefe, die seelsorgerliche Sensibilität, der Bilderreichtum, die stets sich durchsetzende Hoffnungsperspektive oder einfach die sprachliche Kunst, wie sie Gerhardt beherrscht? Nicht unwesentlich ist natürlich auch die zentrale Stellung einiger Liedstrophen in Bach-Klassikern wie Weihnachtsoratorium und Matthäuspassion. So lange Bach gefragt ist, bleibt Gerhardt auf dem Schirm, wenn nicht bei uns, dann in den Niederlanden („All of Bach“) oder in Japan (Bach Collegium von Masaaki Suzuki) oder auf dem großartigen Internetportal der J.S. Bach-Stiftung in St. Gallen. 

Wie funktioniert genau der Wettbewerb? Muss man nur eine Melodie auf einen Text von Paul Gerhardt schicken und das reicht?

Konrad Klek: Also, die „Performance“ der Melodie sollte schon klar sein, und dazu gehört eben seit Gerhardts Zeiten die Harmonie (damals Generalbass, heute meist Gitarrengriffe). Ein instrumentaler Begleitsatz, ein Arrangement, oder auch ein mehrstimmiger Vokalsatz erhöhen sicher die Chancen auf den Preis. Wir sind stilistisch völlig offen. Etwas ganz Neues wäre, dass bei den vielstrophigen Liedern die Melodie sich ändert, um die inhaltliche Dynamik im Text zu unterstreichen. 

Darf jeder und jede mitmachen? 

Konrad Klek: Gewiss doch! Wir brauchen kein musikalisches Abschlusszeugnis, sondern nur eine Datei mit Noten und Liedtext, auf der kein Personenname steht, denn die Bewertung erfolgt natürlich absolut anonym. Damit entfallen auch bereits irgendwo verbreitete Kompositionen. Die Jury interessiert sich nur für die Qualität und die Praktikabilität der eingereichten Liedfassungen. Als Anreiz mag dienen, dass wir die Preise und gegebenenfalls auch weitere Einsendungen im Frühsommer 2026 öffentlichkeitswirksam vorstellen wollen, möglichst an Gerhardts Wirkungsstätte in Berlin, und uns dann auch um Publikationsformate bemühen. 

Die Fragen stellte Reinhard Mawick 

 

Weitere Information zum Paul-Gerhardt-Wettbewerb:

Im nächsten Jahr wird besonders an Paul Gerhardt gedacht, denn der 27. Mai 2026 ist sein 350. Todestag.  Aus diesem Anlass hat die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) in Zusammenarbeit mit der Paul-Gerhardt-Gesellschaft e.V. und den evangelischen Magazinen chrismon und zeitzeichen einen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben. Schirmherrin ist die bekannte Theologin und langjährige chrismon- und zeitzeichen-Herausgeberin Margot Käßmann.

Den Vorsitz der fünfköpfigen Jury hat Konrad Klek, Universitätsmusikdirektor in Erlangen und Präsident der Paul-Gerhardt-Gesellschaft. Gesucht werden neue Melodien für die Lieder des wohl bekanntesten evangelischen Liederdichters, und zwar nicht nur für namentlich ausgelobte vier Evergreens und die 26 Lieder Gerhardts, die heute im Evangelischen Gesangbuch stehen, sondern für alle der 140 überlieferten geistlichen Lieder Paul Gerhardts. 

Die Teilnahme lohnt sich: Der 1. Preis ist mit 3000 Euro prämiert, der 2. und 3. Preis mit 2000 und 1000 Euro. Einsendeschluss ist der Reformationstag, 31. Oktober 2025. Es ist das zweite Mal, dass die VELKD einen Paul-Gerhardt-Preis auslobt. Im Jahr 2007 wurden anlässlich des 400. Geburtstages neue geistliche Gedichte und wissenschaftliche Arbeiten zu Paul Gerhardt gesucht. Alle weiteren Infos finden Sie hier.                                     

 

 

 

 

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