„Er hat alle Erwartungen übertroffen“

In einem berüchtigten Elendsviertel der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires feiern die Armen Papst Franziskus
Abschied
Foto: Gerhard Dilger

Den verstorbenen Papst Franziskus kennen hier viele persönlich. Als Erzbischof von Buenos Aires war Jorge Mario Bergoglio immer wieder mit dem Bus nach „Villa 21-24“ gekommen. Es ist eines der bekanntesten Armenviertel im Süden der argentinischen Hauptstadt. Trauer mischt sich hier mit dem Stolz, Papst Franziskus gut gekannt zu haben.

Die Pfarrkirche der Jungfrau der Wunder von Caacupé ist brechend voll. Dutzende Frauen beten voller Inbrunst den Rosenkranz, dann werden Tische hin- und hergerückt und die Schiebetür zur Gemeindehalle nebenan geöffnet. Lorenzo de Vedia, ein prominenter Armenpriester aus Buenos Aires, hat sein weißes Ornat angelegt und lädt die draußen Stehenden nach vorne. Schließlich ist der Altar umringt von Gläubigen. Es ist, als wäre das gesamte Viertel gekommen, um sich von Papst Franziskus zu verabschieden.

Die Menschen trauern, beten und singen, sie feiern aus ganzem Herzen das Leben von Jorge Mario Bergoglio, anderthalb Stunden lang. „Franziskus schaut uns vom Himmel aus zu“, ruft Padre Toto, wie sie ihn hier nennen, „er bleibt unser Verbündeter, er weiß, dass wir seinen Weg weitergehen“. Und er erinnert daran, wie Franziskus 2013 in Brasilien die Jugend der Welt aufgerufen hat, aufzustehen, auf die Straße zu gehen und sich einzumischen, „damit die Kirche keine Nichtregierungsorganisation wird“.

Vor der Essensausgabe
Foto: Gerhard Dilger

Essensausgabe in „Villa 21-24", einem Armenviertel in Buenos Aires

Olga
Foto: Gerhard Dilger

Olga López zeigt das Bild des damaligen Bischofs Jorge Mario Bergoglio, des späteren Papstes Franziskus, beim rituellen Waschen der Füße ihres Sohnes.

Seine Predigt ist eine einzige Hommage an Franziskus, der „seine Mission als Papst mit angezogenen Stiefeln“ beendet habe. „Uns schmerzt, dass er von uns gegangen ist“, sagt der Endfünfziger, „zugleich sind wir froh, dass Jesus ihn an Ostern im Himmel begrüßt hat.“ Nun sei es an allen, die Lehren von Franziskus umzusetzen, die in dessen Worten, Gesten, Taten, Enzykliken und Predigten festgehalten sind.

Den Papst kennen hier viele persönlich. Als Erzbischof von Buenos Aires war er immer wieder mit dem Bus nach „Villa 21-24“ gekommen, eines der berühmt-berüchtigten Armenviertel im Süden der argentinischen Hauptstadt. Hier wohnen vor allem Migrant:innen aus Paraguay und ihre Kinder. Die Jungfrau aus Caacupé, einem Vorort der Hauptstadt Asunción, verehren viele von ihnen.

Olga López kam als junges Mädchen nach Buenos Aires. Heute hat sie die zerknitterte Doppelseite eines Magazins mitgebracht. Auf dem Farbfoto wäscht Bergoglio ihrem Sohn die Füße. Die Frau erzählt, wie der Bischof die damaligen Gemeindepriester bei der Gründung eines Heims unterstützte, in dem ihr junger Sohn von der Crack-Abhängigkeit geheilt wurde. Gleichzeitig organisierten sie Nähkurse für die Mütter der betreuten Jugendlichen.

Auch heute wird das Viertel durch die Kirchengemeinde mit ihrer Schule zusammengehalten. Vier Frauen organisieren jeden Tag die Essensausgabe für die Bedürftigsten. Es gibt Hühnerschnitzel mit Reis, einem Brötchen und einem Apfel. Vor dem schlichten Haus unweit der Jungfrauenkirche hat sich eine Schlange gebildet. „Wir bekommen genau mit, wie die Armut zugenommen hat“, sagt Fabiana de la Fuente, „viele Leute lassen einfach eine Mahlzeit ausfallen.“ Auch mehr Arbeitslosigkeit und Drogenhandel gebe es, seitdem der ultrarechte Präsident Javier Milei im Amt sei, berichten die Frauen.

Die vier Frauen
Foto: Gerhard Dilger

Vier Frauen der Kirchengemeinde organisieren jeden Tag die Essensausgabe für die Bedürftigsten.

Padre Toto und Padre Jesús
Foto: Gerhard Dilger

Der bekannte Armenpriester Lorenzo de Vedia, genannt Padre Toto, neben seinem jüngeren Mitbruder Jesús Carides.

Umso wichtiger sind die Musikkurse und andere Aktivitäten des „Clubs“, die Padre Toto und sein junger Kollege Jesús Carides mit den aktiven Laien von Caacupé organisieren. „Wir setzten auf Kapelle, Schule und Club, damit die Jugendlichen nicht auf der Straße, im Gefängnis oder auf dem Friedhof landen“, erklärt Padre Jesús, nachdem er für die Schüler:innen der angrenzenden Pfarrschule eine Gedenkmesse für den Papst abgehalten hat.

Der Endzwanziger ist im Viertel Bajo Flores groß geworden und hat Bergoglio, der ganz in der Nähe wohnte, immer wieder als Jugendlicher erlebt. „Als Erzbischof war er ganz nah an den Leuten und hat den Armen die Botschaft von Jesus Christus verkündet“, sagt er, „und als Papst war er ein Netzwerker, ein Brückenbauer, ein Mensch, der sich immer für den Frieden eingesetzt hat.“ Von ihm und anderen Priestern der Armenviertel, den „curas villeros“, habe er gelernt, auf die „organisierte Gemeinschaft“ zu setzen.

Der Gottesdienst
Foto: Gerhard Dilger

„Franziskus hat jene Kirche geschaffen, von der wir lange geträumt hatten - eine Kirche als wagemutige Verteidigerin der Armen“, sagt Padre Toto.

Beten für Franziskus
Foto: Gerhard Dilger

Die Anteilnahme beim Gottesdienst in Gedenken an Papst Franziskus ist groß.

Noch mehr schwärmt Toto de Vedia über Franziskus: „Er war ein außergewöhnlicher Mensch, ein engagierter Priester, ein brillanter Bischof und ein Papst, der aller Erwartungen übertroffen hat“, sagt der dynamische, stets gut gelaunte Kirchenmann, nachdem er sein Fahrrad weggeräumt hat. „Franziskus hat jene Kirche geschaffen, von der wir lange geträumt hatten, aber von der wir lange glaubten, sie würde nie existieren - eine Kirche als wagemutige Verteidigerin der Armen“.

Als Papst habe er neue Wege geöffnet, betont de Vedia, aber die katholische Kirche „hat nun einmal ihre Geschichte, und sie ändert sich nur sehr langsam, das geht nicht per Dekret.“ Franziskus habe alles dafür getan, dass der Zölibat eines Tages abgeschafft werden kann, davon ist er überzeugt. Etliche seiner Landsleute hätten ihre Probleme mit dem argentinischen Papst gehabt: „Viele, die seine Wahl begrüßt haben, mochten ihn nicht mehr so, als sie gesehen haben, welchen Kurs er eingeschlagen hat. Aber mit der Zeit werden sie ihn besser verstehen.“

Um neun Uhr abends ist die Messe zu Ehren von Franziskus zu Ende. Wenige Kilometer weiter erstrahlt das Konterfei des Papstes auf dem Obelisken von Buenos Aires, zusammen mit einem seiner Lieblingssätze: „Betet für mich.“

Viva Francisco
Foto: Gerhard Dilger

Die Menschen trauern, beten und singen. Sie feiern aus ganzem Herzen das Leben von Jorge Mario Bergoglio.

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Gerhard Dilger

Gerhard Dilger ist freier Journalist in Buenos Aires und Paris. Er berichtete seit 1999 aus Brasilien für taz, epd und viele andere mehr – und hat oft erlebt, wie wichtig die Kirchen für den ökosozialen Wandel sind.

 

 

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