Den guten Kampf gekämpft

Zum Tod von Papst Franziskus, der die römisch-katholische Kirche zwölf Jahre lang gut geführt hat. Trotz allem
Papst Franziskus, Ostersonntag 2020
Papst Franziskus, Ostersonntag, 20. April 2025.

Es ist ihm nicht alles gelungen, aber Jorge Mario Bergoglio hat als Papst Franziskus die römisch-katholische Weltkirche doch erneuert: Der reaktionäre Ballast seiner Vorgänger wurde über Bord geworfen. Der Kirche Roms hat Franziskus Chancen und Möglichkeiten für die Zukunft eröffnet. Das ist nicht wenig und wird bleiben.

Er selbst hat nicht damit gerechnet, so alt zu werden. Kurz nach Beginn seiner Amtszeit als Papst im März 2013 hat Jorge Mario Bergoglio, der sich nach der Wahl Franziskus nannte, erklärt, er gehe davon aus, dass sein Pontifikat ein ziemlich kurzes sein werde. Er lag falsch - wie in so vielen Dingen, die er in der weißen Soutane öffentlich prognostizierte. Immerhin zwölf Jahre hat er die katholische Weltkirche geleitet, was in der Kirchengeschichte nicht besonders kurz ist. Und Franziskus wurde einer der ältesten Päpste, die in den rund 2.000 Jahren der ältesten Weltinstitution zu verzeichnen waren. Erst mit 88 Jahren ist er nun gestorben. Aber hat Papst Franziskus seine Zeit auf dem Stuhl Petri mit einer in seiner Kirche einzigartigen Machtfülle auch gut genutzt?

Die Bilanz fällt sehr durchmischt aus, und das liegt vor allem daran, dass sich an ihn gerade am Anfang, als Bergoglio die Gläubigen nach dem Konklave auf der Papstloggia über dem Petersplatz in Rom mit einem schlichten „Buona Sera“, also: „Guten Abend“ begrüßte, so viele große Erwartungen knüpften. Denn das war ein ganz neuer Ton, den Papst Franziskus von Beginn an anschlug: Da war der von ihm gewählte Name „Franziskus“, mit dem er sich in die Tradition des Heiligen Franziskus aus dem 13. Jahrhundert stellte, der mit und für die Armen lebte. Da war der bescheidene Lebensstil im Gästehaus des Vatikans, in der Kantine in der Schlange stehend wie alle Angestellte des Heiligen Stuhls. Und schließlich war da der Verzicht auf jeden Pomp und Prunk, mit dem noch sein Vorgänger, der deutsche Papst Benedikt XVI., immer wieder die Herrlichkeit der Kirche Roms zu versinnbildlichen suchte. Als sei diese Zeit nicht schon lange, lange (und Gott sei Dank!) vorbei!

Aber es ging nicht nur um Äußerliches und Stilfragen. Papst Franziskus flogen in den ersten Jahren seines Pontifikats gerade die Herzen der liberalen und vielleicht sogar linken Katholikinnen und Katholiken entgegen, weil er öffentlich eine ganze andere Kirche propagierte: Es war im Kern eine arme Kirche für die Armen der Welt vor allem im Süden des Globus. Das war wirklich etwas Neues, vorausgedacht vor allem von der Theologie der Befreiung in Südamerika seit den 1950er- und 1960er-Jahren, und es war ein radikaler Bruch mit der globalen Kirchenpolitik, wie sie die Vorgänger von Franziskus, namentlich Johannes Paul II und eben Benedikt XVI, ungefähr 35 Jahre von oben herab exekutiert hatten. Hinzu kamen zumindest starke Andeutungen von Franziskus, dass es zukünftig in der hierarchischen römisch-katholischen Kirche demokratischer zugehen könnte. Und dass vielleicht auch Frauen zu Priestern geweiht werden könnten, was wahrscheinlich eine noch viel größere Revolution bedeutet hätte.

Keine größeren Umbrüche

Doch je länger das Pontifikat von Franziskus dauerte, umso klarer wurde: Der Argentinier auf dem Papstthron wird die großen Umbrüche nicht wagen, auch wenn er verbal manches in den Raum der Möglichkeit stellte. Die Kirche wurde nicht demokratischer unter ihm. Es gab zwar nun mehr Synoden auch mit Laien- und Frauenbeteiligung. Aber die dort gefallenen Beschlüsse blieben nach dem Beschluss des Papstes Franziskus eben nur Empfehlungen an ihn, mehr nicht. Es gab unter seiner Leitung die Empfehlung der so genannten Amazonas-Synode, dass in Zukunft unter bestimmten Bedingungen auch verheiratete Männer zum Priesteramt zugelassen werden sollten – aber der Papst übernahm diesen klugen Rat am Ende und nach langer Bedenkzeit eben nicht. Immerhin, ein paar Frauen lotste er in die Führungsebene der Weltkirche, aber ob davon etwas bleiben wird nach Franziskus, wird sich zeigen. Sicher ist das nicht.

Und die Synoden: Vom Vatikan klein gemacht wurde der Synodale Weg in Deutschland, bei dem die von Franziskus propagierte Synodalität oder schlicht etwas mehr Mitbestimmung in der Kirche auf der Ebene einer Nationalkirche einmal klug und demokratisch durchgespielt wurde. Aber dann die Enttäuschung aus Rom: So war das alles nicht gemeint, ließ Franziskus durch die Blume verkünden, und manchmal geschah das noch nicht mal durch die Blume, sondern bürokratisch, hierarchisch und kalt. Die Frage der Frauenordination wurde unter Franziskus in interne Arbeitsgruppen von Kirchenhistorikern und Dogmatikern abgeschoben, obwohl der frühkirchliche Befund allen halbwegs kirchengeschichtlich Bewanderten klar ist: Mindestens Diakoninnen hat es viele Jahrzehnte in den Anfängen der Kirche gegeben. Man könnte also, wenn man wollte. Aber Franziskus wollte nicht.

Wie gesagt, Franziskus hat durchgesetzt, dass es nun ein paar Frauen an wichtigen Positionen im Vatikan gibt. Aber die Weihe, die bleibt Frauen mit meist abenteuerlichen Begründungen verwehrt, und nur mit ihr könnten sie wirklich in die höchsten Posten der Weltkirche gelangen, bis zum Papstamt natürlich auch. (Und eines Tages wird dies auch passieren, so meine Prognose – die Frage ist, ob die katholische Kirche dann überhaupt noch eine Rolle spielt.) Auch von einer demokratischeren Verfassung ist die römisch-katholische Kirche noch weit entfernt. Die Kirche blieb auch unter Franziskus ein Club der Bischöfe. Das ist kirchengeschichtlich und theologisch nicht ganz abwegig, aber eben auch nur eine Form, in der die Kirche Jesu Christi römisch-katholischer Färbung aufgebaut werden kann. Eine synodale Kirche ist ein besserer Weg, das zeigt die Kirchengeschichte. Aber dann muss die Synodalität mit allen Konsequenzen auch ernst genommen werden. Man hatte nicht den Eindruck, dass Papst Franziskus das wirklich wollte.

Ernsthafte Aufarbeitung begonnen

Gleichwohl sollte man fair sein mit Papst Franziskus. Denn einiges hat er in seinen zwölf Jahren als Pontifex Maximus schon erreicht, einiges wird bleiben. Dazu gehört, dass er die stickige Luft der Reaktion unter Johannes Paul II und Benedikt XVI. aus dem Vatikan vertrieben hat: Es wird am Tiber wieder offener nachgedacht, besser zugehört und ehrlicher gesprochen. Neuerungen sind möglich und nicht mehr des Teufels. Das ist viel wert, denn eine Generation lang, von 1978 bis 2013 war das ganz anders und ganz schrecklich. Nicht zuletzt der Missbrauchsskandal, dessen Aufklärung die Kirche zurecht in den letzten etwa 25 Jahren so erschüttert hat, konnte nur in diesem Klima der Vertuschung und Verleugnung durch das Heer der Reaktion in der Kirche über Jahrzehnte so ungestraft sein Unwesen treiben. Auch Papst Franziskus ist es zu verdanken, dass hier eine ernsthafte Aufarbeitung zumindest begonnen hat. Und zwar weltweit, und auch wenn viele Nationalkirchen gerade im Süden der Welt diese Verbrechen an Kindern, Jugendlichen und Frauen nach wie vor verleugnen und vertuschen wollen.

Bleiben wird von Franziskus weiterhin sicherlich seine Enzyklika „Laudato si“, mit der er die Umwelt- und Klimakatastrophe als ein Topthema der internationalen Politik vor zehn Jahren deutlich und ziemlich früh in Erinnerung rief. Immer wieder war in vielen seiner Erklärungen und Schriften ebenfalls die globale Gerechtigkeit, die Solidarität mit den Ärmsten der Welt, ja ein Perspektivwechsel von unten nach oben, vom Süden in den Norden in größter Klarheit und Dringlichkeit zu vermelden. Auch dies ist ein bleibendes, wertvolles Erbe des Papstes „vom Ende der Welt“, wie er sich kurz nach seiner Wahl selbst beschrieb.

Die Stimme des Südens der Welt ist in der römisch-katholischen Kirche durch Franziskus viel wichtiger geworden. Und das gilt nicht zuletzt für das Kardinalskollegium, das den neuen Papst wählen wird. Die Übermacht des globalen Nordens auch in der Kirche ist dank Franziskus endlich gebrochen, und das ist eine gute Nachricht sowohl für die Weltkirche wie für die Welt als Ganzes. Denn es gibt wohl kaum eine Organisation auf diesem Planeten, die eine solche Machtfülle an soft power hat, inspiriert durch die so menschliche und barmherzige Botschaft des Jesus von Nazareth. Dazu gehört auch, dass Franziskus in der weltweiten Ökumene mit den anderen Kirchen des Globus und im interreligiösen Dialog einiges erreicht hat. Wenn die Kirchen und Religionsgemeinschaften heute häufiger mit einer Stimme für mehr Menschlichkeit werben, so ist dies auch ein Verdienst von Papst Franziskus. Die Zeit eines „Außerhalb der Kirche (Roms) ist kein Heil“ ist auch dank des nun verstorbenen Papstes endgültig vorbei.

Neues Schisma verhindert 

Schließlich hat Franziskus die römisch-katholische Weltkirche mit ihren rund 1,4 Milliarden Gläubigen zusammengehalten. Das ist eine der Hauptaufgaben eines jeden Papstes, fast so etwas wie die wesentliche Jobbeschreibung: Diener der Einheit zu sein, um es traditionell zu sagen. Dass ihm dies gelungen in einer Zeit, da jede große Institution von Weltrang, ja jedes Land und leider auch die Demokratien des Westens innerlich zerrissen sind, ist kein geringes Verdienst. Ein neues Schisma in der Kirche trotz dieser polarisierenden Zeiten verhindert zu haben, das ist schon etwas.

Zugleich hat Franziskus die Reaktionäre in der katholischen Kirche für einige Jahre weitgehend entmachtet, zumindest ziemlich zurechtgestutzt. Es rollten viele dieser engstirnigen Köpfe, nicht zuletzt in der Kurie selbst. Auch ihr liebstes Spielzeug, die alte Messe in Latein, ein zuverlässiger Marker angeblicher Rechtgläubigkeit, wurde ihnen entrissen. Papst Franziskus wurde zwar nicht der anfangs so ersehnte Champion der Linken und Liberalen in der Kirche, leider nicht. Aber die innerkirchlichen Rechten und Ewiggestrigen, die immer mehr im Schlepptau des weltweiten Rechtspopulismus hängen, haben unter Franziskus auch ihr Fett abbekommen. Auch dies war ein hartes Gerangel, in sich Franziskus tapfer geworfen hat, bis zum Schluss. Und in diesem andauernden kulturellen Kampf wird er fehlen.

Franziskus hat im Laufe seiner zwölf Jahre als Papst, das sei nicht vergessen, vor allem zwischen Tür und Angel, man muss es so klar sagen: viel Quatsch erzählt. Seine Äußerungen etwa über Frauen, über Geschlechterrollen, über die Familie, über Genderfragen, über Erziehung und leider auch über Schwangerschaftsabbrüche sollten möglichst schnell im Orkus der Kirchengeschichte verschwinden. Aber es wäre nicht fair und würde diesem alten, herzlichen und wohlmeinenden Mann aus Südamerika nicht gerecht, versuchte man, ihn nur im heißen Dampf dieser meist undurchdachten Äußerungen zu erkennen und zu beurteilen. Franziskus war immer mehr, wollte immer mehr und hat auch mehr erreicht als das, was in schnellen, kurzen Überschriften zu vermelden war.

Ein letztes Mal „Urbi et orbi“

Nun ist Jorge Mario Bergoglio, der als Papst Franziskus die Welt so fasziniert und bewegt hat, gestorben. Am Ende kam es doch überraschend, weil er gerade wieder nach langem Klinikaufenthalt auf dem Weg der Besserung zu sein schien. Ein letztes Mal gestern „urbi et orbi“ – das hat wohl niemand erwartet. Ein Tod einen Tag nach Ostern, am Tag der Auferstehung. Wollte er es so? Wie auch immer, dieser Segen für die Stadt Rom und die ganze Welt war eine letzte große Geste am Ende seines Pontifikats wie am Anfang, wieder vor Tausenden und wieder auf dem Petersplatz, der die Welt und die Stadt am Tiber zu umarmen scheint. Auch das hat Größe, so traurig es ist.

Das Schönste und Passendste, was über Papst Franziskus zu sagen ist, hat der Apostel Paulus in dem ihm zugeschriebenen zweiten Brief an Timotheus über sich selbst als eine Art Lebensbilanz vor knapp 2.000 Jahren geschrieben: Wie Paulus hat Franziskus hat den Lauf vollendet, den guten Kampf gekämpft und den Glauben behalten. Paulus sagt damit weder, dass man als Sieger ins Ziel laufen sollte, noch dass man den Kampf gewinnen muss. Aber man sollte beides versucht haben. Und vor allem sollte man den Glauben behalten, die Treue bewahrt haben. Das ist vom frommen und demütigen Jorge Mario Bergoglio mit Sicherheit anzunehmen. So mag ihm der Herr ein gnädiger Richter sein.

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