Fulminant

Eine Geschlechtergeschichte

"Solange es Christen gibt, entscheidet nicht die Inkarnation über das Geschlecht Christi, sondern das Begehren derer, die an ihn glauben.“ Mit diesem Satz endet Anselm Schuberts Buch Christus (m/w/d) – was diese Aussage vom Neuen Testament bis in die Gegenwart im Einzelnen bedeutet, entfaltet er zuvor auf fast 300 Seiten und lässt noch über 100 Seiten Fußnoten, Quellen- und Literaturhinweise sowie ein Register folgen. Die umfangreichen Belege sind bezeichnend für den umfassenden, hervorragend informierten Überblick über die Frage nach dem Geschlecht Jesu Christi, wobei der Professor für Neuere Kirchengeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg sogar diese Frage selbst fein begrifflich ausdifferenziert und darauf hinweist, dass er sich vor allem auf das körperliche Geschlecht konzentriert.

Schuberts Buch macht bewusst, wie selten feministische Theologien, aber auch kritische Männlichkeitsforschung und queere Theologien nach wie vor ernsthaft rezipiert und in ihrer Bedeutung gewürdigt werden. Schubert gelingt dies, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern indem er einen fulminanten historischen Durchgang wagt, der verdeutlicht, welchen historischen Wandlungen verschiedene Vorstellungen von Geschlecht in den vergangenen 2 000 Jahren unterworfen waren und sind. Diese in ihren Anliegen ernst zu nehmen und zugleich als zeitgebunden zu identifizieren, ist keine Selbstverständlichkeit. Das Hauptverdienst von Schuberts Buch ist es, die sich wandelnden Vorstellungen auf Jesus Christus zu beziehen, die zentrale Figur des Christentums, von deren Deutung jahrhundertelang die Hoffnung auf Erlösung abhängig war und für Christ:innen bis heute ist. Hierbei handelt es sich um keine einfache Spurensuche, da Geschlechterfragen bis ins 20. Jahrhundert hinein zwar stetig, aber selten explizit verhandelt wurden. Die Rekon­struktion des äußerst komplexen Diskurses gelingt Schubert, indem er zum einen die Positionen der aus seiner Sicht wichtigsten Vertreter:innen referiert und einordnet und zum anderen chronologisch vorgeht und die Charakteristika der historischen Epochen zutreffend benennt.

So bieten die Titel der vier Hauptkapitel einen guten Überblick, der jeweils kenntnisreich belegt und differenziert wird: „Überwindung: Die eine Männlichkeit Christi in der Antike“, „Leibhaftiges Heil: Die zwei Identitäten Christi im Mittelalter“, „Verschweigen und Beschwören: Die drei Geschlechter Christi in der Frühen Neuzeit“ und „Natur und Dekonstruktion: Die vielen Männlichkeiten Jesu in der Moderne“. Wer sich schnell einen Überblick verschaffen möchte, lese nach der Einleitung zunächst den Epilog – und genieße dann in Ruhe den exzellenten Hauptteil dieses Buchs, der als Zusammenschau eindeutig eine Forschungslücke schließt.

Lediglich zwei kritische Anmeldungen seien am Ende gestattet: Als römisch-katholische Theologin fehlt mir der Hinweis auf den großen Einfluss von Hans-Urs von Balthasar (1905–1988) und seine enge Verknüpfung der hierarchischen binären Geschlechterordnung mit dem Erlösungsgeschehen, die als Argumentationslinie seit Papst Johannes Paul II. bis in die aktuellen rigiden Aussagen des Vatikans zu Geschlechterthemen – und damit immer zur Frage nach Frauen in allen Ämtern der römisch-katholischen Kirche – nachgewiesen werden kann. Und ein zweites: Feministinnen haben Butler keineswegs bekämpft, wie Schubert verallgemeinert, sondern die meisten von ihnen haben die von ihr angeregte Dekonstruktion des binären Geschlechtercodes akzeptiert und selbst mit betrieben, obwohl sich auch der christliche Feminismus dadurch auf den ersten Blick der eigenen Grundlagen beraubte. Diese Selbstdekonstruktion hat die US-amerikanische Theologin Catherine Keller allerdings zu Recht als Stärke feministischer Theologien identifiziert, da sie „kein Zeichen für einen (postfeministischen) Zusammenbruch ist, sondern für (transfeministisches) Selbstvertrauen“. Wie produktiv sie für Menschen aller Geschlechter sein kann, zeigt Schuberts Buch auf eindrucksvolle Weise.

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