Nächstenliebe und Nüchternheit

EKD-Synode in Würzburg: Zwei Impulse zum Schwerpunktthema Migration
Die Politikwissenschaftlerin Petra Bendel, Frau mit halblangen blonden Haaren, bei ihrem Vortrag vor der Synode
Foto: epd-bild/Heike Lyding
Wissenschaftliche Expertise während der EKD-Synodaltagung in Würzburg liefert Petra Bendel, Politikwissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Dem heiß diskutierten Thema Migration hat sich die EKD-Synode am Dienstag in Würzburg gewidmet. In den Impulsvorträgen wurde vor der Aufweichung menschenrechtlicher Standards gewarnt und auf die Bedeutung des Asylrechts hingewiesen. Doch die Ausführungen stießen nicht nur auf Zustimmung unter den Synodalen.

Als die EKD-Synodalen im vergangenen Jahr das Schwerpunktthema für die diesjährige Synodaltagung festlegten, konnten sie nicht ahnen, in welch turbulenten Zeiten sie mit dem Thema „Migration, Flucht und Menschenrechte“ am Tag ihrer Debatte in Würzburg geraten würden. An dem Tag, an dem in Berlin  der 23. Februar als Termin für die Neuwahlen zum Bundestag festgelegt wurde.

Sicher, Ton und Rhetorik haben sich in der Debatte über Migration und Asyl schon in den vergangenen Jahren verschärft; populistische Hetze, die Menschen stereotypisiert, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch droht das Thema während des kurzen Bundeswahlkampfs die Schlagzeilen zu dominieren und weiter zu polarisieren. Wie gelingt da eine Versachlichung der Debatte? Wie kann Migrationspolitik gestaltet werden? Und was kann die evangelische Kirche dazu beitragen? Dabei hilft wissenschaftliche Expertise, die während der Synodaltagung in Würzburg die Politikwissenschaftlerin Petra Bendel liefert. Sie leitet an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration (MFI).

Überforderte Kommunen?

Die Politikberaterin unterstreicht zunächst die Sorge, dass die Rechte von Schutzsuchenden zusehends in Frage und sogar das individuelle Recht auf Asyl zur Disposition stellt wird. Auch auf europäischer Ebene neigt sich die Waagschale mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ganz klar zuungunsten der Flüchtlingsrechte, so Bendel. 

„Bewusst normativ, nämlich an den Menschenrechten orientiert, und bewusst empirisch, nämlich auf Fakten basiert“ will die Wissenschaftlerin aufzeigen, wie Menschenrechte in Migrations- und Flüchtlingspolitik zu erodieren beginnen: über eine Gefährdung der Rechte von Kindern, mangelnde Verfahrensgarantien im Grenzverfahren und eine drohende Zurückweisung von Menschen in Länder, in denen ihnen Folter, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Soweit die europäische Perspektive. 

Für Deutschland schaut die Wissenschaftlerin auf die aktuelle Debatte um die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Ihr Blick auf die Zahlen zeigt: Der Stand der Asylgesuche ist weiter rückläufig und „mitnichten höher als 2016“. Und was das Argument zur Überforderung der rund 10.000 Kommunen in Deutschland angeht,  zitiert sie eine unlängst durchgeführte Kurzerhebung nach der „knapp 60 Prozent der befragten Kommunen im vergangenen Jahr die Lage als „herausfordernd, aber (noch) machbar beschrieben; 40 Prozent berichten hingegen von einer „Überlastung“ beziehungsweise sehen sich „im Notfallmodus“. In einer neuerlichen Befragung der Universität Hildesheim unter 800 Kommunen ging diese Einschätzung im laufenden Jahr noch deutlich zurück: 25 Prozent der Kommunen in Westdeutschland – und übrigens nur acht Prozent in Ostdeutschland – konstatieren einen Notfallmodus. Soweit die Zahlen.

Schutz von Schwächeren

Daraus ergibt sich: Wer das Völker- und EU-Recht und das deutsche Grundgesetz ernst nimmt und wer zu den dahinter liegenden Normen des Schutzes von Schwächeren eintritt, muss nach Meinung Petra Bendels an anderen Stellen ansetzen als daran, das Asyl abzuschaffen. Wie zum Beispiel mit stärkerer Unterstützung der Erstaufnahmestaaten, mit „sauberen Aufnahmedaten“, adäquater Unterbringung und Versorgung, damit sich Menschen aktiv integrieren. „Wer verhindern will, dass Zuwanderung von Rechtsextremisten instrumentalisiert wird, der muss klarstellen, dass ein großer Teil der Ängstedebatte gar nicht mit Migration zu tun hat, sondern vielmehr mit Wohnungsbau- und Gesundheitspolitik, mit Zugang zu Bildung und zu Arbeit für alle“, sagt die Wissenschaftlerin vor der Synode.

Und auch sie unterstreicht das schützenswerte Asylrecht in Deutschland vor dem Hintergrund der Verfolgung von Juden, Minderheiten und politisch Engagierten. Denn es war der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, der schon in seinem Grußwort zur Eröffnung der EKD-Synodaltagung mahnte: „Hätte es in den 1930er-Jahren ein Land mit einem solchen Asylrecht gegeben, wie es heute in der Bundesrepublik Deutschland kennt, dann wären nicht sechs Millionen Juden zum Opfer des Menschheitsverbrechens der Schoa geworden.“

Einen zweiten Impuls, eine vielmehr theologische Reaktion, liefert an diesem Nachmittag Johann Hinrich Claussen, EKD-Kulturbeauftragter. Er macht deutlich: „Heimatverlust und Heimatsuche prägen auch die Geschichte des Protestantismus, weshalb er sich von Beginn an migrationsdiakonisch engagiert hat – mit Nächstenliebe und Nüchternheit.“ Und er erinnert an die Flucht vor religiöser Verfolgung im 16., 17. und 18. Jahrhundert, die Landflucht und Massenauswanderung im 19. Jahrhundert, die Vertreibungen im 20. Jahrhundert, die Flucht aus der DDR, die Wirtschafts- und Bürgerkriegszuwanderungen bis heute. Das heißt: „Unser Engagement, Migration menschenwürdig zu gestalten, ist also keine Moralmode, wie gelegentlich behauptet wird, sondern eine unserer kirchlich-diakonischen Hauptaufgaben seit jeher – eine lange Geschichte der Nächstenliebe und Nüchternheit.“

Kein Krisenphänomen

Doch was bedeutet das für die aktuelle Frage um das Thema Asyl? Nach Claussen ist sie „der Prüfstein dafür, ob wir bereit sind, uns in der Migrationspolitik an humane Standards zu halten“. Er benennt die Aufgaben der evangelischen Kirche: zum einen die Erinnerung an den Wert geltender Grundrechte, zum anderen der Stimme der Vernunft Gehör zu verschaffen. Denn: Es gebe eine etablierte, erkenntnisreiche Migrationswissenschaft, nur werden deren Ergebnisse zu wenig beachtet. Als eine Stimme der Vernunft und eine Anwältin der Sachlichkeit könne die evangelische Kirche gemeinsam mit anderen darauf aufmerksam machen, dass Migrationen an sich kein Krisenphänomen ist. 

Dass diese Ausführungen im Plenum nicht nur auf Zustimmung stoßen, macht die erste synodale Wortmeldung deutlich. So begrüßt zwar der rheinische Synodale und CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe die Erinnerung an die normativen Grundlagen der Debatte mit Artikel eins des Grundgesetzes, wonach alle Menschen die gleiche Würde haben, unabhängig von ihrem Rechtsstatus. Aber er macht keinen Hehl daraus, dass es ihm zunehmend schwerfalle, den Beschlüssen des Kirchenparlaments und der Analyse der Vorträge zu folgen. Er halte es nicht für richtig, das Hauptproblem in der Wucht einer rechten Welle zu sehen. Sondern: „Die Wucht der größten Fluchtbewegung nach 1945 ist eine riesige Herausforderung, nicht nur die Wucht falscher Narrative und dumpfer Propaganda.“ Gröhes Forderung: „Wir müssen dafür sorgen, dass Humanität und Ordnung zusammengegangen werden.“ In diesem Zusammenhang verweist er auf Abschiebung für schwere Straftaten, aber auch als ultima ratio für Menschen ohne Bleiberecht.

Wie sagte schon die Würzburger Pfarrerin Anna Bamberger im Eröffnungsgottesdienst: „Hilf uns, dass wir nicht nur hören, was uns selbst gefällt.“

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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