Anfang ohne Ende?
Mit der Tagung der lutherischen Kirchen im Raum der VELKD begann in Würzburg gestern die verbundene Synodaltagung von EKD, UEK und VELKD. Ein Gottesdienst ohne Predigt und mit einer berühmten Melodie, ein Bischofsbericht über Ökumene und gesellschaftliche Ressentiments und ansonsten: Keine besonderen Vorkommnisse und große Harmonie.
Land der Hoffnung und des Ruhms, / Mutter der Freien, / Wie sollen wir dich preisen, / die wir von dir geboren sind? / Weiter, immer weiter sollen deine Grenzen gezogen werden; / Gott, der dich mächtig gemacht hat, er mache dich noch mächtiger![1] – so beginnt das berühmte „Land of Hope and glory“, und so begann auch die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) am gestrigen Freitag. Jedenfalls ein bisschen, denn das erste Lied des Eröffnungsgottesdienst der 5. Tagung der 13. VELKD-Generalsynode hatte sich die berühmte Melodie des ersten der fünf Pomp-and-Circumstance-Märsche von Edward Elgar ausgeliehen, so dass diese nationalreligiös-trunkenen Worte zumindest während des Orgelvorspiels in den Sinn kamen.
Und: Geht die VELKD auf Expansionskurs weltweit? Nein, nein, denn gesungen (im grummelnd-tiefen G-Dur) wurde gestern in der dem Tagungsort Maritim-Hotel nahegelegenen katholischen Pfarrkirche St. Gertraud ein Text , der dem englischen Original entgegengesetzter nicht hätte sein könnte: Pilger sind wir Menschen, suchen Gottes Wort / unerfüllte Sehnsucht / treibt uns fort und fort / Wer hört unsere Bitte, / wer will bei uns sein? /: Komm in unsere Mitte, / Herr tritt bei uns ein. Insofern kein Grund zu Panik, zumal auch in der Predigt keinerlei imperialistische Töne á la „Pomp and Circumstance“ zu hören waren, denn: Es gab gar keine Predigt, dafür aber eine mit schönen Bibeltexten und (großteils unbekannten, schönen) Liedern gepflasterte Hinführung zum feierlichen Abendmahl – sehr ansprechend gestaltet von der Vizepräsidentin der Generalsynode, Pröpstin Martina Helmer-Pham Xuan aus Königslutter und der Generalsynodalen Gianna von Crailsheim aus München.
Lutherische Generalsynode ohne Eröffnungspredigt? Warum nicht, denn kluge Reden Vorträge und Predigten werden in den kommenden Tagen sowohl auf der Generalsynode als auch in der am Sonntag beginnenden 5.Tagung der 13.Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) noch genug gehalten werden.
Die erste Rede des alljährlichen synodalen Maritim-Marathons ist traditionell der Bericht des Leitenden Bischofs der VELKD. Ralf Meister begann sein sechstes Mal mit ein paar „Szenen“ respektive Reiseberichte „aus der Ökumene“, Eindrücken von der Georgienreise der VELKD-Kirchenleitung im Mai und ein Verweis auf die Diskussionen bei der Vollversammlung der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) in Sibiu/Hermannstadt Ende August/Anfang September.
GEKE: Unterschiedliche Kontexte
Meister trug es nicht vor, aber im schriftlichen Teil seines Berichts war dazu folgendes zu lesen: „Die Diskussion um den Studientext „Gender, Sexualität, Ehe und Familie“ hat gezeigt, wie herausfordernd es ist, in internationalen kirchlichen Gemeinschaften konsensfähige Aussagen zum Thema Sexualität und Genderfragen zu finden. Sehr deutlich sind die unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte zu spüren, aber auch theologische und frömmigkeitsspezifische Prägungen sind unterschiedlich. Die Vollversammlung hat zweierlei gezeigt: Sie hat ein Beispiel dafür gegeben, wie es gelingen kann, angesichts von Widersprüchen die Perspektive anderer Meinungen zu achten und als Gemeinschaft von Kirchen zusammenzubleiben. Sie hat aber auch gezeigt, dass für die Kirchen-bünde weiterhin eine Herausforderung darin besteht, mit Konflikten ehrlich und streitbar umzugehen, ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen.“ Soweit der Bericht, oder diplomatisch ausgedrückt: Es gibt noch viel zu tun, aber we’ll never give up …
Die Stimmung des Leitenden Bischofs ist, wie bei so vielen dieser Tage, nicht ungetrübt: „Der Mittwochmorgen war ein ernüchternd-schlechter Tagesanfang“, hub Meister an, und fuhr mit Blick auf die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten fort: „Wie können mehr als siebzig Millionen Menschen einem krankhaften Narzissten und Straftäter, einem fortwährend lügenden Menschen die Verantwortung für eine Demokratie übertragen? Seine Antwort: „Weil sie vorrangig ihre eigene Lebensperspektive, das eigene bessere Wohlergehen über alles stellen – gegen die Achtung der Menschenwürde, die Sicherung demokratischer Grundpfeiler und gegen eine globale Verantwortung für die Abwendung bedrohlicher Klimaszenarien.“
Nichts Neues unter der Sonne? Diagnostiziert Meister die moderne Variante der klassischen Ursünde, nämlich dass der Mensch ein homo incurvatus in se ipsum, also ein in sich selbst verkrümmter Mensch ist, der innerlich „Me first!“ ruft? Vielleicht. Aber der Leitende Bischof hängte es dann in seinem Bericht an der modernen Kategorie des Ressentiments auf. Eine Kategorie, die einst Friedrich Nietzsche in ihrem modernen, rein negativen Sinn in den deutschen Sprach- und Denkraum einführte. Meister zitiert aber auch die zeitgenössische die französischen Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury (*1974), die das moderne Ressentiment als „charakteristische(n) Bitterkeit einer vom Kauen ausgelutschten Speise“ beschreibe. Dieses Ressentiment aber, so Meister, sei keine Bosheit der Betreffenden, die sich dessen bedienen, sondern es sei ja in der Tat nicht schwer, Menschen zu finden, „die sich Jahrzehnte benachteiligt und enttäuscht von unerfüllten Versprechen sehen“ und die dann in einer gesellschaftlichen Debatte, die alle möglichen Repressionen und Ausgrenzungen thematisiert, „ausgerechnet ihr Schicksal nicht wahrgenommen" sehen. Dies müsse man ernst nehmen, denn: „Es ist ihre begründete Weltsicht.“
„Symbole für Status und Gruppenzugehörigkeit“
Aber wie nun damit umgehen? Es müsse, so Meister weiter, „die kritische Frage erlaubt sein, ob wir als Kirchen mit unseren Verlautbarungen und Verkündigungen dieser Einsicht immer gerecht geworden sind oder ob wir umgekehrt Ressentiments bestätigt und geschürt haben.“ Und weiter: „Ging es uns wirklich immer um die Sache oder auch um Selbst-darstellung – also das, was der Philosoph Philipp Hübl (*1975) in seinem neusten Buch „Moralspektakel“ nennt: ,Moral [wird] dann zum Spektakel, wenn moralische Begriffe und Urteile nicht eingesetzt werden, um Probleme des Zusammenlebens zu lösen, echte Missstände zu beseitigen und für Gerechtigkeit zu sorgen, sondern in erster Linie … als Symbole für Status und Gruppenzugehörigkeit‘.“
Also, was tun, VELKD? Des Leitenden Bischofs Richtung wird klar, als er in seine Schlusskurve gerät: „Nur wer bereit ist, aus seinem geschlossenen System herauszukommen, kann in einem Gespräch dazu beitragen, Neues zu schaffen.“ Nur dann könne aus Ressentiment wieder Glück werden. „Aber dieses Glück wird niemals das alte Glück werden“, zitiert Meister noch einmal Cynthia Fleury, und weiter: (...), es wird etwas sein, das es nie gegeben hat; und es ist ziemlich beeindruckend, sich der Herausforderung zu stellen, etwas zu erschaffen, was es nie gegeben hat. Es ist normal, dass man schwankt und sich dazu unfähig fühlt. Aber zu einer Form von Gesundheit zurückzufinden bedeutet, den Weg des Erschaffens … wieder aufzunehmen.“ Das, so Meister am Schluss, „nenne ich die Beschreibung einer gelungenen Kommunikation des Evangeliums.“ Alles klar? Ansonsten: Den ganzen Bericht des Leitenden Bischofs vom 8. November 2024 können Sie hier nachlesen.
Danach folgte gleich auch die Wahl des Leitenden Bischofs, denn drei Jahre waren wieder um. Einziger Kandidat: Ralf Meister. Die Synode wählte ihn mit 28 Ja-Stimmen, sechs Neinstimmen und 5 Enthaltungen – insgesamt gaben 39 Synodale ihre Stimme ab - es fehlten an diesem Abend in den Reihen der VELKD elf Synodale. Insofern ein Glück, dass die Wahl durchging, denn laut Artikel 13 der Verfassung der VELKD, benötigt der Leitende Bischof / die Leitende Bischöfin „die Mehrheit der Stimmen der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Generalsynode“, das wären 26 gewesen und es müssen zwei Drittel zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Generalsynode anwesend sein“ – da sind mindestens 33 nötig. Beide Kriterien waren erfüllt, aber wie schnell können - insbesondere bei Anreisen mit der Deutschen Bahn – mal drei Menschen mehr verschütt gehen? In diesem Falle aber ging es gut.
Völlig unproblematisch gestaltete sich die Wahl der Stellvertretenden Leitenden Bischöfin. Diese ist laut VELKD-Ordnung nicht Aufgabe der Generalsynode, sondern der Bischofskonferenz. Die besprach sich kurz im Raume und verkündete, dass auch Kristina Kühnbaum-Schmidt, die Landesbischöfin der Nordkirche, für die nächsten drei Jahre als Stellvertretende Leitende Bischöfin weiteramtiert. Alle sind glücklich, aber spannende Wahlen zum Leitenden Bischof und dessen Stellvertretung gehörten noch nie zu den Spezialitäten der Lutheraner. Das sah bei der Wahl zum Präsidenten der Generalsynode zuweilen schon anders aus …
Keine Strukturfragen nirgends
Auffällig war zudem, das Strukturfragen á la „Warum muss es die VELKD noch geben?“ überhaupt nicht aufkamen. Es steht auch nicht zu erwarten, dass sie wieder aufbrechen. Dies scheint ein Indiz dafür zu sein, dass diese Fragen schlicht zurzeit nicht anstehen beziehungsweise niemanden auf der Seele brennen. Wie anders war es 2009, als auf der ersten verbundenen Tagung (die ebenfalls im Maritim in Würzburg stattfand)? Es herrschten heftige Konflikte und große Widerständigkeit, sowohl in den Reihen der VELKD, als auch bei der UEK beziehungsweise der EKD. Das gipfelte seinerzeit darin, dass auf Umhängetaschen, die das VELKD-Logo trugen, die Buchstaben V und L mit schwarzem Klebeband überdeckt wurden. Diese Konflikte scheinen nun befriedet beziehungsweise vergessen und somit nicht mehr existent.
Der Präsident der Generalsynode, Matthias Kannengießer, betonte dazu bei der Pressekonferenz auf Nachfrage, er könne zwar nicht prognostizieren, was „mittelfristig“ in Sachen Struktur geschehen werde. Zurzeit aber gäbe eine ausgesprochen gute Zusammenarbeit von UEK und VELKD in, mitt‘ und unter dem Dach der EKD. Auch der Bund der unierten EKD-Kirchen, die UEK rede ja, so Kannengießer, „noch nicht von der Auflösung, sondern von einer Umgestaltung“. Insofern sei dies vielleicht ein „Prozess, der nie ein Ende hat und nie einen Anfang“. Aber, so der Präsident der Generalsynode abschließend: Die Kontakte zwischen allen seien „reibungslos und entspannt“. Wenn dem so ist, dann wäre das ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für den deutschen Gremienprotestantismus – Halleluja!
[1] Das Original lautet so: Land of Hope and Glory, Mother of the Free, / How shall we extol thee, who are born of thee? / Wider still, and wider, shall thy bounds be set; / God, who made thee mighty, make thee mightier yet!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.