Räume der Ermöglichung
Es gehört zu den erstaunlichen und doch bei genauem Nachdenken wenig überraschenden Phänomenen, dass Begriffe aus der Sphäre von Unternehmertum oder gar Markt hohes Triggerpotential im kirchlichen Raum haben. Dafür gibt es durchaus gute Gründe. Dass überdies eine Nebenbemerkung in einem Interview, die dann zur Titelzeile geworden ist, bei Philipp Greifenstein die geballte Irritation hervorruft – sei’s drum. Möglicherweise ist die Auseinandersetzung selbst ein Symptom der Situation, in der die Kirche als Institution gerade steckt und das sehr ernsthafte Ringen um Wege der Landeskirchen in die Zukunft.
Sind Entrepreneure des Glaubens eine verrückte Idee, naives Startup-Gerede oder könnte sich dahinter doch eine andere Sichtweise darauf verbergen, wie wir über Glauben und Kirche nachdenken? Der Glaube ist weit mehr als reine Privatreligion. Er ist Vertrauen (fiducia), Erkenntnis (notitia) und Be- bzw. Anerkenntnis (assensus). Glaube ist darüber hinaus immer beides: persönlicher Glaubensakt (fides qua) und von der Gemeinschaft der Glaubenden, also der Kirche, geteilter Inhalt des Glaubens (fides quae). Insofern gehören Glaube und Kirche eng zusammen, auch wenn sie zu unterscheiden sind. Das Entscheidende am Glauben und der Kirche ist, dass er bzw. sie im Kern von dem lebt, was ihr entzogen ist. Dreh- und Angelpunkt ist die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, die Verschränkung von Gottes Lebens- und Liebesgeschichte mit der Geschichte dieser Welt und den Menschen in ihren Zeitläuften, in ihrem Suchen und Fragen, Ringen und Hoffen.
Paradoxie Rechnung tragen
Jede Form kirchenleitenden Handelns – auf der Ebene der Gemeinden wie auf der Ebene der Landeskirchen – muss dieser Paradoxie Rechnung tragen. Wir haben die Kirche als Organisation zu leiten, sie als Institution zukunftsfähig zu machen und zu erhalten und tun das zugleich im Horizont des Gottes, der diese Kirche hält und trägt, dessen Offenbarung sie sich verdankt und dessen Leib mit vielen Gliedern sie als Leib Christi ist. Wo diese Spannungslage aus dem Blick gerät, weil die Zukunftsfragen der Kirche zu Existenzfragen des Glaubens gemacht werden, da werden Zukunftsprozesse orientierungslos und geistlos.
Die massiven Umbauten, vor denen die Landeskirchen stehen, und radikalen Anfragen an die bisherigen Formen kirchlichen Lebens binden verbunden mit der Notwendigkeit zu sparen gerade jede Menge Energie von denen, die Leitungsverantwortung für die Kirche haben: bei den Synoden und den in ihnen arbeitenden Ehren- und Hauptamtlichen, bei den Leitungsorganen auf der Ebene der Kirchenbezirke, der Landeskirchen und der EKD. Seit der Explosion von Kreativität geboren aus der Not der Coronapandemie gibt es an unzähligen Stellen kreative und leichtfüßige Aufbrüche, ein gewachsenes Bewusstsein dafür, dass die Kirche mit ihrer Haltung, dass Menschen zu ihr kommen müssen, abgelöst werden muss und längst wird durch Kirche, die sich auf den Weg macht, ihrer Sendung in die Welt zu folgen. Kirche, die missionarische Kirche ist und wird dadurch, dass sie rausgeht aus den Mauern und den überkommenen Strukturen dorthin, wo Menschen eben sind.
Inhaltliche Orientierung
Dabei gehört beides zusammen: Kirche als verlässliche Orte – sei es als Kirchengebäude mit offenen Türen, sie es als öffentlich hörbare Kirche in Personen, die sie repräsentieren, sei es in Form von Gottesdiensten und (zumindest in Kirchenkreisen) vertrauten Veranstaltungen. Und Kirche, die mit leichtem Gepäck und auf leichten Füßen dahin geht, wo sie gefragt ist oder noch viel mehr dahin, wo sie erstmal gar nicht erwartet wird. Geprägte Formen und bewegte Kirche dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dass das so ist, hat seinen Grund in der oben benannten Spannung aus dem nichtverfügbaren Kern und Grund der Kirche im göttlichen Offenbarungshandeln und der Gestaltungsaufgabe, die Kirche seit ihren Anfängen ist. Das Ringen darum ist so alt wie das Christentum. Ein Blick in die Briefe des Apostels Paulus genügt.
Und was hat das nun mit Entrepreneuren und einer unternehmerischer denkenden Kirche zu tun? Über welches Risiko sprechen wir, das Entrepreneure tragen? Unternehmer*innen, nicht nur im Startup-Bereich, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein inhaltlich orientiertes Ziel haben. „Mein Ziel war es, das beste Produkt zu entwickeln, mit dem ein konkretes technisches Problem zu lösen ist. Das Ziel ist nicht in erster Linie, viel Geld zu verdienen. Sondern der Motor für mein unternehmerisches Handeln ist, das beste Produkt zu entwickeln.“ Das sagte mir vor Jahren der Gründer eines inzwischen weltweit agierenden mittelständischen Unternehmens für Mess- und Regeltechnik. Ein anderer Unternehmer eines anderen Familienunternehmens bringt es so auf den Punkt: „Das Geheimnis unseres Erfolgs? Mich treibt an, dass wir am Abend besser sein müssen als wir am Morgen angefangen haben.“ Insbesondere Familienunternehmen stehen vor vergleichbaren Aufgaben wie die Landeskirchen: es gibt ein traditionsreiches Produkt und eine etablierte Marke und täglich neu die Frage, wie das Unternehmen nachhaltig in die Zukunft geführt werden kann. Unternehmerisch zu denken bedeutet, eine Vision und Idee zu haben, die über das heute Mögliche und Machbare hinaus geht – und alles darauf zu setzen, nach Wegen zu suchen, dass diese Vision Wirklichkeit wird.
Hoffen und Glauben
Als Kirche sind wir immer und unserem Wesen nach ausgerichtet auf die Verheißung dessen, was noch kommt: das Reich Gottes. Diese Vision müssen wir nicht wirklich werden lassen – sie wird wirklich werden mit, trotz oder in der Kirche als von dieser Hoffnung getriebenen und getragenen Gemeinschaft. Aber im Horizont dieser Vision unternehmerisch Kirche zu sein bedeutet, dass wir noch radikaler und selbstkritischer unsere Strukturen und unser Handeln auf allen Ebenen darauf hin befragen, ob sie dem Ziel dienen, das Evangelium strahlkräftig zu bezeugen. In organisatorischer Hinsicht müssen sich die Landeskirchen sehr viel mutiger als Räume der Ermöglichung verstehen. Ganz sicher werden die Landeskirchen in ihrer Organisation nicht von Kirchenbehörden zum Startup. Der Start der Kirche liegt ja schon eine ganze Weile zurück.
Aber wenn es nicht gelingt, auch in den Organisationsformen und Strukturen den Geist der Freiheit und die nicht tot zu kriegende Hoffnung darauf, dass es morgen besser ist als heute zu implementieren, dann müssen wir uns als Leitende in der Kirche zu Recht die Frage stellen lassen, wie es um unser Hoffen und Glauben steht. Eine solche Kirche braucht Menschen, die aus der Kraft des Glaubens – als öffentlich bekanntem und persönlich gelebtem – leben, dafür stehen, ihn feiern und die ernst machen damit, dass das Beste in der Kirche und in der Welt noch vor uns liegt. Ob das nun Entrepreneure des Glaubens sind oder einfach unverbesserlich Hoffende und mutig Handelnde – daran wird es nicht hängen. Am Tun aber schon. Und daran, dass auch über diese Fragen geredet, gerungen und gestritten wird.
Heike Springhart
Dr. Heike Springhart ist außerplanmäßige Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und seit 2022 Landesbischöfin der Evangelischen Landeskirche in Baden.