Vielfältiger und basisnäher
Der katholische Münsteraner Neutestamentler Thomas Söding nahm an der Weltsynode in Rom teil, die am Sonntag nach zwei Jahren ihren Abschluss fand. Für zeitzeichen schreibt er über seine Eindrücke von dieser in der katholischen Welt einzigartigen Tagung – mit Blick auf die Ökumene. Und aus einer Haltung der „teilnehmenden Beobachtung“, wie er es nennt.
Den gesamten Oktober ging es in Rom um das Thema Synodalität, wie schon im letzten Jahr. Die katholische Kirche beschäftigt sich mit sich selbst: um sich nicht mehr so viel mit sich selbst beschäftigen zu müssen. Sie ist weltweit in schlechter Verfassung, obgleich sie nominell wächst. Aber sie zahlt jetzt einen hohen Preis für die enorm starke Betonung des Bischofsamtes, die sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil herausgebildet hat. Weltweit gibt es eine Autoritätskrise, weltweit Amtsversagen; beides trifft die bischöfliche Verfassung ins Mark. Weltweit gibt es keinen Versuch, das Bischofs- und das Papstamt abzuschaffen. Weltweit gibt es aber den Ruf, den Klerikalismus zu überwinden, die Rechte von Frauen zu garantieren, Kontrollmechanismen einzuführen und das Kirchenvolk effektiv in Beratungen und Entscheidungen einzubinden.
Die Weltsynode ist ein Forum, sich den Herausforderungen zu stellen. Sie ist ein Anfang. Sie bringt tatsächlich eine Weltkirche zusammen. Allerdings weitgehend nur durch Bischöfe, die laut Dogma und Recht die Vertreter der Ortskirchen in der Weltkirche und der Weltkirche in der Ortskirche sind. Ob mit Bischöfen und durch Bischöfe eine effektive Reform gelingen kann, eine Antwort auf die Verfassungskrise – das ist eine spannende Frage. Schaffen sie es, sich zu Selbstkritik und Systemveränderungen aufzuraffen?
Der Verlauf der Weltsynode rückt eine positive Antwort in den Bereich des Möglichen, vielleicht sogar des Wahrscheinlichen – wenn man im Blick behält, dass die hierarchische Struktur der Kirche, mit sakramentaler Ordination, bischöflichen Lehramt und päpstlicher Jurisdiktion, nicht angetastet wird. Was kann dann geändert werden? Einiges zeichnet sich schon ab: Das Recht des Kirchenvolkes, nicht auf lediglich beratende Mitarbeit bei innerkirchlichen Entscheidungen festgelegt zu werden. Die Pflicht der „Autoritäten“, Rechenschaft abzulegen – und zwar nicht nur dem Papst, sondern in erster Linie den Gemeinden und Diözesen, in denen sie „dienen“ (um es theologisch korrekt zu formulieren). Die Einbringung von dezentralen Strukturen auf nationaler und kontinentaler Ebene, wo passgenaue Antworten für pastorale Herausforderungen gefunden werden können, ohne dass alle im Gleichschritt marschieren müssten oder alles zentral geregelt würde. Die Ausnutzung aller Möglichkeiten, die das Kirchenrecht jetzt schon bietet, um Frauen in Führungspositionen zu sehen.
Frauenfrage offen?
Die Liste lässt sich verlängern. Wird es auch zu diesen Änderungen kommen? Der Papst hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, indem er sich – ein synodaler Tusch am Ende – nicht ein „postsynodales Schreiben“ vorbehalten, sondern erklärt hat, das, was die Synode beschlossen hat, sofort zu veröffentlichen und damit in Kraft zu setzen. Das Dokument gehört nun zum „ordentlichen Lehramt“. Im Schlussdokument sind die Probleme benannt; es werden Anstöße zur Lösung gegeben. Vielleicht noch nicht stark genug, aber durchaus spürbar. Auch wenn es erneut heißt, die Frage, ob Frauen zum sakramentalen Diakonat Zugang erhalten, sei „offen“.
Es kommt jetzt auf die Umsetzung vor Ort an. Niemand kann sich mehr hinter Rom verstecken, um sich Reformen zu verweigern. Niemand kann mehr behaupten, der Status quo sei der Weisheit letzter Schluss. Niemand kann auch mehr schimpfen, was „Rom“ alles verhindere. Es kommt jetzt auf eine erwachsene, realistische und ambitionierte Reaktion an. Die katholische Kirche will – und wird – zusammenhalten. Aber sie will – und wird – vielfältiger sein, basisnäher, besser sichtbar. Jedenfalls hat die Weltsynode gezeigt, dass es geht.
Welche Bedeutung hatte und hat auf der katholischen Weltsynode die Ökumene? Vorher war „Der Bischof von Rom“ erschienen: eine Einladung an die ökumenischen Geschwister, den Dienst der Einheit, den der Papst ausüben soll, weder zu verachten noch zu verkennen, aber in der Welt der Ökumene weiter zu diskutieren – und nicht so auszuüben, dass andere vor den Kopf gestoßen werden. Jetzt war, ehrlich gesagt, Ökumene kein prägendes Thema, aber auch kein unwichtiges.
Ökumenischer Blick gen Osten
Der ökumenische Blick der katholischen Kirche richtet sich vor allem in den Osten, zur Orthodoxie. Man mag den Verdacht haben, dies geschehe, weil man sich eine Koalition traditioneller Werte verspreche, mit wohlfeilen Attacken gegen den westlichen „Zeitgeist“. Diesen Verdacht hat die Synode aber nicht bestätigt. Es geht ganz konkret um die katholischen Kirchen des Ostens, die in der unmittelbaren Nachbarschaft der Orthodoxie leben, meistens als kleinere Geschwister, und vor allem in einer islamisch, manchmal islamistisch geprägten Mehrheitsgesellschaft ihren Weg finden müssen.
Diese Kirchen stehen unter starkem Druck. Weil die Christen im Durchschnitt gut gebildet und vernetzt sind, verlassen viele die von Kriegen verletzte Heimat. Sie finden vor allem in Kanada und den USA, aber auch in Europa neuen Anschluss. Die geographischen und politischen Gewichte verschieben sich. Die orientalischen Kirchen haben ein eigenes Gesetzbuch, sie haben eine eigene Liturgie (die während der Synode auch im Petersdom im melkitischen Ritus auf Arabisch gefeiert wurde), sie haben verheiratete Priester. Sie beklagen, von Rom an einer zu kurzen Leine geführt zu werden. Sie kämpfen ums Überleben, dort, wo das Christentum geboren wurde.
Sie sind mit der Orthodoxie einig, dass die Heilsgeschichte, die Schöpfung, die Harmonie der Tradition in ihren besten Teilen viel stärker betont werden muss, als dies in dem lateinischen Christentum mit seinen immer neuen Reformen eingerissen ist. Sie betonen, immer schon synodal zu sein: auf der Ebene von Bischöfen; sie sagen auch, dass es einen sehr starken Einfluss von heiligen Menschen, nicht nur Männern, gegeben habe und gebe, die nicht kodifiziert, aber dennoch – oder deshalb – sehr bedeutend sei.
Reformatorische Kirche eher unwichtig
Die „aus der Reformation hervorgegangen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“ (so die offizielle Formulierung) spielen – leider – nicht dieselbe Rolle: die römisch-katholische Kirche zu irritieren, zu motivieren, zu orientieren. Dirk Lange vom Lutherischen Weltbund bemerkte, dass die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (1999), obwohl sie inzwischen multilateral rezipiert ist, nicht erwähnt wird. Wenn die Rechtfertigungslehre als „Kriterium“ eine Rolle spielt, dann allenfalls indirekt. Der Primat des Evangeliums, der „Evangelisierung“ ist gewährt. Aber die katholische Kirche des Jahres 2024 vergegenwärtigt sich die grundlegende und kriteriologische Funktion des Christusbekenntnisses nicht aus dem Gegensatz zu „Werken des Gesetzes“, sondern zu „Klerikalismus“ und „Parlamentarismus“ (wobei Peronismus zu denken ist). An drei Stellen der Synode war die Ökumene sichtbar: bei den „delegati fraterni“, bei der Liturgie und in Schlussdokument.
In diesem Jahr waren mehr Delegierte als im vergangenen Jahr eingeladen worden: nicht nur aus der orthodoxen, sondern auch aus der anglikanischen, lutherischen, reformierten, baptistischen, mennonitischen und pentekostalen Tradition. Früher konnten sie nur freundliche Grußworte sprechen. Jetzt saßen sie an den runden Tischen und nahmen gleichberechtigt an den grundlegenden Gesprächen teil, die dort geführt wurde. Sie konnten – und sollten – das Wort ergreifen, auch in der großen Aula, bei den Generalversammlungen, und haben es getan. Sie konnten die Person mit wählen, die den Sprachzirkel im weiteren Verlauf vertreten sollten, und haben es getan. Sie konnten allerdings nicht gewählt werden. Sie haben sich gleichwohl willkommen gefühlt. Sie haben nicht zuletzt auch die Kaffeepausen und Nebengespräche genutzt, um eine klare Botschaft auszusenden: „Katholische Kirche, Du bist nicht allein, kümmere Dich nicht nur um Dich sich selbst, Du hast in uns keine Gegner, sondern Bündnispartner.“ Wie die Botschaft angekommen ist? Die katholische Kirche wirkt immer gerne freundlich. Aber sie muss sich die Herausforderung, dass es echte Alternativen in der Christenheit zum Katholischen gibt, immer neu vergegenwärtigen. Die Präsenz der Glaubensgeschwister gibt ihr die Chance.
Im vergangenen Jahr hatte eine ökumenische Vesper, die von Taizé geprägt war, gleich zu Beginn ein starkes Signal gesetzt. Diesmal gab es gleichfalls eine ökumenische Vesper, aber nicht zu Beginn, sondern in der Mitte der Synode, übrigens an einem bemerkenswerten Ort, der sonst liturgisch nicht „bespielt“ wird: am Platz der ersten Märtyrer, nicht weit vom Campo Santo, wenige Meter von der Nekropole entfernt, die das Petrusgedenken birgt. Bemerkenswert war eine Predigt – die der Papst zwar schriftlich verbreitet, aber nicht gehalten hat (weil es ihm an diesem Abend offensichtlich nicht so gut ging: Sonst wirkte er gesundheitlich besser als vor einem Jahr).
Zwei Konstruktionspunkte ragen heraus: Erstens: „So wie wir nicht im Voraus wissen, wie das Ergebnis der Synode aussehen wird, wissen wir auch nicht genau, wie die Einheit aussehen wird, zu der wir berufen sind.“ Und zweitens: „Eine weitere Lehre, die sich aus dem synodalen Prozess ergibt, ist, dass die Einheit ein Weg ist: Sie reift in der Bewegung, auf dem Weg. Sie wächst im gegenseitigen Dienst, im Dialog des Lebens, in der Zusammenarbeit aller Christen (UR, 12).“
Ökumene des „Mehr“
Für die Ökumene in Deutschland ist diese Klärung wichtig. „Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit“ ist der Titel einer neuen Studie, mit der sich die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland im letzten Jahr auf den Weg gemacht haben. Sie arbeitet an beiden Punkten, die der Papst markiert hat: Es bringt nichts, sich an idealistischen Ziel-Vorstellungen festzubeißen, die ohnedies unklar und strittig bleiben; es ist aber auch falsch, sich gegeneinander profilieren zu wollen und im Zweifel auseinanderzugehen. Es ist vielmehr richtig, auf dem Weg zu entdecken und zu sichern, wie viele Gemeinsamkeiten es bereits gibt, und dann zu erkennen, welches der nächste, der übernächste Schritt ist. So entsteht eine Ökumene nicht des „Weniger“, sondern des „Mehr“ – als Prozess angelegt, verbindlich und zukunftsweisend. Der Papst scheint das zu wollen. Kardinal Kurt Koch hingegen hatte vor allem Schwächen des Textes aus Deutschland ausgemacht. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede, die nach Möglichkeit bald aufgeklärt werden sollten.
Was die Synode explizit zur Ökumene sagt, ist freundlich – und etwas mehr als das. Man muss wahrscheinlich lange suchen, um im gesamten Text eine Wendung zu finden, die anti-ökumenisch ausgelegt werden könnte. Ja, die katholische Kirche verehrt die Gottesmutter Maria, und die Synode fällt in den Rosenkranzmonat, der auch (nach dem Mai) ein zweiter Marienmonat ist. Aber ob die Marienfrömmigkeit der Synode ganz anders als diejenige Martin Luthers war, mögen Berufenere beurteilen. In der Aula wurde zwar von einigen wenigen liebend gerne von den Schwächen der Anderen geredet, vom Nationalismus der Orthodoxie, von der Zerrissenheit der Anglikanischen Kirchengemeinschaft und von der organisatorischen Schwäche des Protestantismus. Aber es gab noch nicht einmal schütteren Applaus für diese Interventionen, die ersichtlich nur ein Ziel hatten: den Papst anzugreifen und die Synode zu schwächen. Im Abschlusstext findet sich nichts dergleichen.
Findet sich genug Dialog? Genug Offenheit und Gemeinsamkeit? Für die Ökumene ist eine synodale Kirche, die ihre Hierarchie nicht vergisst, besser als eine hierarchische Kirche, die ihre Synodalität vergisst und so tut, als ob die Monarchie das Ideal der kirchlichen Verfassung wäre. Freilich würde dies nicht nur der katholischen Kirche guttun. Es würde auch die ökumenischen Dialoge und Initiativen beeinflussen. Bislang arbeitet die EKD ökumenisch nahezu ausschließlich mit der Deutschen Bischofskonferenz zusammen. Das wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen, weil es andere Vertretungen der katholischen Kirche in Deutschland gibt, die auf der politischen wie der kirchlichen Bühne zur Zusammenarbeit mit den Bischöfen bereit sind, aber auch eigene Akzente setzen. Es gilt ebenso für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), die auf die Bischofskonferenz bezogen ist, ohne andere Organe der synodal neu aufgestellten katholischen Kirche angemessen wahrzunehmen.
Entscheidend ist jedoch, dass sich die ökumenischen Geschwister darauf verlassen dürfen: Die katholische Kirche macht sich auf den Weg der Umkehr und Erneuerung. Es wird immer wieder Rückschläge geben. Aber die Weltsynode in Rom war ein Ereignis, das Mut macht – auch für die Ökumene.
Thomas Söding
Thomas Söding ist Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität in Bochum.