Die Puppe hat keine Eltern mehr, sagt die Enkelin, die seien schon gestorben. In ihren Spielgeschichten kommen Verwaiste jüngst häufiger vor. Meist bereits vor dem fünften Lebensjahr realisieren Kinder, dass wir endlich sind. Sie übertragen die Erfahrung, dass Dinge kaputtgehen, und begreifen den Unterschied zu tot – nicht mehr zu reparieren. In dem Alter ist sie jetzt. Für Radieschen von unten hat sie aber noch Zeit, das „Junior-Wissensbuch des Jahres“ richtet sich an Ältere. Es lässt keine Fragen offen – außer die, ob es nach dem Tod weitergeht. Schließlich kann das niemand wissen.
Doch was Religionen zur Unsterblichkeit sagen, trägt am Ende das Kapitel „Mit den Toten leben“ ebenso gut zusammen wie das konkret Wissbare zu unverstellten Kinderfragen nach „Wie geht Sterben? Beerdigen und Trauern“ zuvor. Dies, heißt es da, bestehe aus vielen einzelnen Gefühlen, die bei jedem unterschiedlich kommen und gehen und oft auch anstecken – dann weinen wir manchmal zusammen. Dass und wie auch digitale KI-Avatare beim Trauern helfen können, wird gut erklärt und keineswegs in Abrede gestellt, jedoch damit gekontert, dass die „einen echten Menschen niemals ersetzen“ können. Kurzum, Autorin Katharina von der Gathen und Illustratorin Anke Kuhl, die zum anderen großen Menschenthema Sex bereits Starkes für Kinder vorgelegt haben, sind tief im Thema, taff, wo es nötig ist, haben profund recherchiert und treffen stets den richtigen Ton. Den setzen bereits die Vorsatzblätter, die in Schreibschrift etliche Wendungen zum Tod reihen wie „die Lebensgeister aushauchen“, „den Schirm zuklappen“ oder „den letzten Kringel kacken“. Auch schnodderig darf es also sein. Dreimal bringen sie die Witzeseite „Da lachst du dich kaputt“, die aber nie anbiedert – etwa so: Fragt die Lehrerin Karlchen, wie er sterben wolle. Wie sein Opa, der sei einfach eingeschlafen. Und wie auf gar keinen Fall? „Na, so wie die zwei, die mit meinem Opa mitgefahren sind.“
Die oft comicartigen Zeichnungen illustrieren textnah und schaffen launig-heiter immer wieder auch Momente der Entspannung vom ernsten Thema, zu dessen Stichworten scheintot, Verwesung und Krematorium ebenso gehören wie kuriose Tode, eben alles, was Kinder zum „Plötzlich ist alles anders“ so fragen, wenn man sie lässt. Gespräche mit Profis – Krankenpfleger, Bestatter, Arzt, Friedhofsgärtner, Pfarrerin sowie Sterbe- und Trauerbegleiterin – kommen hinzu.
Woran Menschen sterben und wie das jeweils geht, ist ebenso konkret wie frappant kompakt geschildert. Der darunter laufende Zeitstrahl zum Höchstalter anderer Lebewesen, wenn sie nicht vorher sterben, bietet dazu wohltuend spannende Ablenkung. Denn dass der Riesenschwamm auf über 1 000 Jahre kommt oder gar die Qualle Turritopsis dohrnii dank ihres fortwährenden Zellerneuerns potentiell unsterblich ist – wer hat das zuvor schon gewusst? Erfrischend moralinfrei nimmt das Buch indes auch die andere Seite in den Blick: „Und wenn der Verstorbene ein gemeiner Mensch gewesen ist, kann es sein, dass man sich nach dem Tod endlich freier fühlt.“ Das Buch ist ein sehr gelungener, großer Wurf: sachkundig, informativ und skeptisch, einfühlsam und respektvoll, wunderbar gestaltet, direkt, teils frech und auch weise nimmt es packend das Einzige in den Blick, was im Leben gewiss ist. Tolles Buch, sagt begeistert die Freundin, die schon in jenem Alter ist, dass das Ufer statistisch bereits beinah durch Waten zu erreichen erscheint. Die Leseempfehlung gilt für Kinder ab acht Jahren. Ein Glossar mit wichtigen Wörtern sowie Kopiervorlagen für eine Schädelmaske und ein Särglein schließen das bunte Buch über den Tod.
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.