Bald nach dem Krieg schrieb Karl Bonhoeffer, Psychiater und Oberhaupt der bekannten Familie, voller Trauer an einen Freund, er habe für das Regime vier Kinder opfern müssen, die Söhne Dietrich und Klaus sowie die Schwiegersöhne Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher. Von den Genannten ist Dietrich Bonhoeffer der bekannteste; Eberhard Bethge hat schon in den 1950er-Jahren an ihn erinnert. Hans von Dohnanyi hat 2002 von Marikje Smid eine Würdigung erfahren. Höchste Zeit, dass endlich auch Klaus Bonhoeffer (1901–1945) eine sichtbare Biografie erhält.
Die Autorin Jutta Koslowski, Pfarrerin und Hochschullehrerin, nimmt die Gelegenheit beim Schopfe und ergänzt ihre Darstellung um einen umfangreichen Dokumententeil, in dem viele bewegende Briefe von Klaus an seine Kinder und Zeugnisse seiner tapferen Frau Emmi wiedergegeben sind, ferner Erinnerungen seiner drei (heute hochbetagten) Kinder, die Anklage vor dem Volksgerichtshof und Bethges Traueransprache vom Juli 1945 auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof.
Zudem hat die Autorin bewusst andere Texte in wörtlicher Wiedergabe miteinbezogen, was ihre Darstellung sehr lebendig macht. So lebt die Leserschaft mitunter in der großen Bonhoefferfamilie mit den acht Geschwistern fast mit; deren Zusammenhalt drückte sich auch in vielen Briefen und Erinnerungen aus. Klaus war von Kindheit an nachdenklich und introvertiert („unser kleiner Philosoph“, so der Vater), zugleich energisch und pflichtbewusst, vielseitig interessiert und hochmusikalisch. Als Jurist war er nach verschiedenen Stationen in der Industrie langjähriger Chefsyndikus der Lufthansa.
Gerühmt wurde sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Das größte Verbrechen Hitlers sah er in der Zerstörung der Rechtskultur, was ihn schon bald immer konsequenter in den Widerstand trieb, dem er sich unter wachsender Lebensgefahr verschrieb. Unermüdlich war er um Verbindungen zwischen wichtigen Stellen in Politik und Militär bemüht; ein „Brückenbauer des Widerstands“ sei er gewesen.
Allerdings sagt die Autorin (vielleicht das einzige Manko des Buches) kaum etwas über die konkreten Pläne des Widerstands für eine Zeit nach dem Regime, obwohl Klaus andere Verschwörer wie Wilhelm Leuschner persönlich kannte.
Am 1. Oktober 1944 wurde er verhaftet; am 2. Februar 1945 vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Da sich nach Freislers Bombentod einen Tag später die rechtskräftige Ausfertigung des Urteils immer wieder verzögerte, kamen bis zuletzt Hoffnungen auf, Klaus könne lebend herauskommen.
Aber ein Rollkommando der SS holte am 23. April ihn, seinen Schwager Rüdiger Schleicher und andere Gefangene nachts aus den Zellen und erschoss sie vor dem Lehrter Stadtgefängnis. Justus Delbrück, Emmis Bruder und Klaus’ engster Freund, kam überraschend frei, wurde aber wenig später von den Sowjets interniert, bald darauf starb er in Haft an Unterernährung.
Mit den vielen persönlichen Zeugnissen ist die Biografie ein überfälliger Baustein in der Literatur zum Widerstand. Die Autorin hat sie mit spürbarer Anteilnahme geschrieben, ohne dass es eine kritiklose Hagiografie geworden wäre. Manche Passagen, vor allem die Kapitel zur Zeit der Verhaftung, verdichten sich zu einer beklemmenden Vergegenwärtigung. Wie viele Bonhoeffers fand auch Klaus seine innere Sicherheit im Glauben, was die Autorin mit großem Einfühlungsvermögen schildert.
Der Mordaktion fiel auch der Geograf Albrecht Haushofer zum Opfer. Sein Bruder fand den Leichnam am folgenden Tag; in der Hand mehrere Blätter Papier gepresst, auf die Haushofer den Gedichtzyklus „Moabiter Sonette“ geschrieben hatte. Das Sonett „Gefährten“ endet mit den Zeilen „Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt, dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“. An einen dieser Köpfe wird hier in würdiger Weise erinnert.