At first: CD-Titel kommen heute meist in englischer Sprache daher, weil sie für den internationalen Markt bestimmt sind. „Sprich Deutsch, Kind!“, sagte mein geliebter Großvater immer, wenn ich in den 1970ern mit irgendeiner Denglischkonstruktion sein Ohr touchierte. Insofern sei der vorliegende CD-Titel im Gedenken an ihn und alle ähnlich Gestrickten kurz übersetzt: Bachs Wurzeln. Frühe Einflüsse auf den jungen Meister. Voilà, das hätten wir.
Aber worum handelt es sich? Nun, die famose Akademie für Alte Musik hat sich mit dem nicht minder famosen Schweizer Vokalensemble Voces Suaves (zu Deutsch: „Sanfte Stimmen“) zusammengetan, und beide präsentieren eine reichliche Stunde vokaler und instrumentaler Musik aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – also aus den Jahrzehnten, kurz bevor oder kurz nachdem Johann Sebastian Bach (1685–1750) das Licht der Welt erblickt hatte. Gottlob ist diese Musikepoche, die in früheren Epochen der Hochnäsigkeit als Kleinmeisterei verurteilt wurde, nun schon eine Weile total angesagt. Absolut zu Recht, wenn man dieses Klanggeschenk auspackt: Das 12-köpfige Vokalensemble kann sowohl im Zusammenklang wie auch in den solistischen Passagen sehr überzeugen: Alles super klangschön, niemand drängt sich in den Vordergrund, doch Textausdeutung und musikantische Lust an Harmonien und Klangbögen ziehen einen in den Bann. Und die Akademie für Alte Musik, kurz „AkaMus“? Frische, Vitalität und ein satter Klang sind das Markenzeichen dieser Berliner Gruppe, die seit Jahrzehnten international zur absoluten Spitze zählt. Insofern: Hinein ins Vergnügen!
Drei Stücke seien einzeln hervorgehoben, jede/r von uns hört sie garantiert zum ersten Mal, denn es sind World premiere recordings (Weltersteinspielungen, you know). Sogleich als Opener das Psalmkonzert „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke“ von Johann Samuel Drese (1644–1716) – er war als Kapellmeister Bachs direkter Vorgesetzter in dessen Weimarer Jahren (1708–1717). Ein Stück, das zwischen fetten homophonen Tutti- und kleinen ariosen Solopassagen changiert. Herrlich! Mit noch mehr Wumms kommt die Kantate „Die Welt, das ungestüme Meer“ von Georg Christoph Strattner (um 1644–1704) daher, ebenfalls zuletzt am Weimarer Hof tätig, wo ihn der blutjunge Bach während seines ersten kurzen Engagements allda (1702/03) noch erlebt haben dürfte. Und aus der famosen Scheibe entlässt uns das Konzert „Wer gnädig wird beschützet“ mit einer sehr ansprechenden barocken Textparaphrase des 91. Psalms von Johann Georg Ahle (1651–1706), Bachs direktem Amtsvorgänger im thüringischen Mühlhausen. Alles in allem ist dieser Silberling wirklich ein großer Wurf auf dem Feld der 17th-Century-Recordings of German music. Möge er viele Ohren und Herzen erfreuen!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.