„Und vergib uns unsere Schuld?“
Unter dem Titel „Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus“ zeigt das Landesmuseum für Klosterkultur in Lichtenau-Dalheim bei Paderborn bis zm 15. Mai eine großangelegte Sonderausstellung. Der emeritierte Theologieprofessor Michael Weinrich berichtet über die komplexe Wechselbeziehung von Christentum und Nationalsozialismus.
Aus verschiedenen Gründen war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur den eigenen Repräsentanten daran gelegen, die beiden großen Kirchen im Licht einer ihrem Glauben entsprechenden Neutralität oder sogar widerständigen Distanz zum Nationalsozialismus und zu seinen Verbrechen wahrzunehmen. Die große Frage war ja, mit wem es nach der unvergleichlichen Katastrophe zu einem nachhaltigen Neuanfang kommen könne. Tatsächlich entschlossener Widerstand beschränkte sich auf einen verschwindend kleinen Anteil der Bevölkerung und war zudem seinerseits von als problematisch geltenden Ideologien durchsetzt. Seine Basis war zu schmal für ein resonanzfähiges Angebot, das dazu geeignet sein konnte, für die Mehrheit der Bevölkerung demokratieförderliche Identifikationen zu ermöglichen. Indem die Kirchen zumindest großenteils ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Staat verteidigt hatten und zugleich immer noch die Mehrheit der Bevölkerung erreichten, galten sie den Alliierten nach dem Krieg als Partner für die zu implementierenden Neuorientierungen. Sie waren zudem international vernetzt und konnten dazu beitragen, neues Vertrauen für Deutschland in der Weltgemeinschaft aufzubauen. Dem auch von den Kirchen selbst gern bedienten Narrativ von ihrer Widerständigkeit kam eine große Sympathie entgegen, zumal die Kirchen sich der an sie herangetragenen Erwartung nicht verschlossen, ihre einzugestehende mangelnde Entschlossenheit in ihrer Selbstbehauptung öffentlich zu beklagen.
Im Kloster Dalheim im Kirchenkreis Paderborn ist derzeit eine interessante Ausstellung zu besuchen, die nun mit der Schuld der Kirchen auf sich aufmerksam macht. Zwar wird im Titel der Ausstellung „Und vergib uns unsere Schuld?“ die Schuld der Kirchen von einem Fragezeichen in einem unbestimmbaren Schwebezustand gehalten, aber es ist von vornherein deutlich, dass es im Blick auf die Kirchen ein Versagen zu beklagen gibt, das es klar zu benennen gilt. Das kann auch nicht wirklich überraschen, denn gegen die gesellschaftlich relevanten Kirchen – das war Hitler bereits in den 1920er-Jahren fundamental bewusst – hätte es ein nationalsozialistisches Deutschland nicht gegeben. Es ist diese auf der Hand liegende und dennoch immer wieder gern beschwiegene Einsicht, der sich diese Ausstellung mit zehn elementaren Fragen zuwendet – nicht um die Kirchen einmal mehr moralisch zu stigmatisieren, sondern um den gebotenen Differenzierungen auch zwischen den Konfessionen auf die Bühne zu helfen, ohne die es kein adäquates Bild von den Kirchen im Nationalsozialismus geben kann. Jedes Bild, in dem nicht auch das Arrangement erkennbar wird, mit dem sich die Kirchen selbstkompromittierend darum bemüht haben, die Reibflächen mit dem Nationalsozialismus so gering wie möglich zu halten, bleibt unvollständig und verfehlt die vielschichtige Dramaturgie des turbulenten zwölfjährigen Auftritts des 1 000-jährigen Reichs und seiner katastrophalen Dynamiken.
Gebotene Differenzierungen
Die Ausstellung erhebt nicht den Anspruch, ein gründlich durchforstetes Kapitel der Geschichte zu präsentieren, sondern begnügt sich einigermaßen konsequent damit, die Verhältnisse und Umstände sichtbar zu machen, welche die Aktionsradien der Kirchen bestimmten. Zwar liegen über die so genannten Deutschen Christen, die sich als die protestantischen Sympathisanten des Dritten Reiches offensiv auf die Seite der Nationalsozialisten gestellt hatten, verschiedene Studien vor, aber das vielseitig beklagte rätselhafte Schweigen von Papst Pius XII. zum Holocaust wartet immer noch auf belastbare Aufklärung und tatsächlich überzeugende Erläuterung. Die umfänglichen vatikanischen Archive wurden erst 2020 für entsprechende Untersuchungen zugänglich gemacht.
Neben elementarer Information will die Ausstellung vor allem die Konflikte identifizierbar machen, in denen sich die Kirchen und Klöster befanden. Es wird deutlich, dass es höchst unterschiedliche Umgangsweisen mit den jeweiligen Herausforderungen gegeben hat. Auch wenn die Anfälligkeit der evangelischen Kirche für den Nationalsozialismus deutlich größer war als in der katholischen Kirche, lassen sich auch auf katholischer Seite offizielle Akzeptanzadressen, persönliche Sympathiebekundungen und aktive Unterstützungsmaßnahmen benennen, die deutlich darüber hinausgehen, nur möglichst unbehelligt zu überwintern. Gleichwohl wird es erst einmal bei dem Fragezeichen im Titel der Ausstellung bleiben, weil sich die Reichweite dieser Sympathien bisher nicht wirklich ausmessen lässt. Aber die anfänglich weit verbreitete Begeisterung insbesondere für den „Führer“ hat natürlich keine der beiden großen Volkskirchen unberührt gelassen.
Die Ausstellung schickt ihre Besucher auf einen Weg, der von den erwähnten Fragen klar markiert wird. Er beginnt mit der allgemeinen Lage in Deutschland vor 1933 insbesondere seit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs, thematisiert an verschiedenen Stationen Einlassungen und Auseinandersetzungen der beiden großen Kirchen mit dem Nationalsozialismus und endet schließlich beim eingangs angesprochenen opportunistisch nivellierenden Umgang der Kirchen mit ihren Berührungen mit dem Nationalsozialismus nach dem Zusammenbruch 1945.
Schon die Ausgangslage ist durchaus vielschichtig. Die weithin nationalistisch geprägte evangelische Kirche trauerte dem Verlust der mit der Weimarer Verfassung verlorengegangenen staatskirchlichen Privilegien hinterher. Die Demokratieskepsis der katholischen Kirche wurzelte vor allem in der Furcht vor den gesellschaftlichen Erosionen, welche sie von einer mit der Demokratie einhergehenden Säkularisierung befürchtete. Im Unterschied zu den Protestanten lehnte die katholische Kirche jedoch den Nationalsozialismus ab, weil sie sein rassistisches Fundament für unvereinbar mit dem Christentum hielt und einen erneuten Kulturkampf erwartete.
Es war ein entschieden verfolgtes strategisches Kalkül Adolf Hitlers, dass er konsequent den manifesten Bemühungen in den eigenen Reihen entgegentrat, dem Christentum eine eigene germanische Religion entgegenzustellen. Vielmehr realisierte er nüchtern, dass sein Erfolg davon abhing, wie sich die Kirchen zu ihm positionierten. Die Ausstellung präsentiert eine gedruckte Postkarte, die Hitler mit den allen Befürchtungen in den Kirchen entgegentretenden Worten zitiert: „Wir halten die Kräfte des Christentums unentbehrlich für den sittlichen Wiederaufstieg des deutschen Volkes.“ Aber vor allem hat die in seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 ausdrücklich betonte Versicherung gewirkt, dass die „nationale Regierung […] in den beiden Konfessionen wichtige Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums“ sehe und „die Rechte der Kirchen nicht geschmälert“ würden. Es geht wohl auf diese Zusage zurück, dass sich auch das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus zumindest zwischenzeitlich entspannte und die noch 1931 annoncierte Unvereinbarkeit weithin zurückgenommen wurde. In den schon bald auftauchenden und zunehmenden Konflikten versuchten die Kirchen, immer wieder die Einhaltung dieser Versicherung einzuklagen, was aber immer weniger Wirkung zeigte. Von einem tatsächlichen „Kirchenkampf“ wird jedoch wohl kaum die Rede sein können, weil die Kirchen nicht den Nationalsozialismus bekämpften, sondern bestenfalls ihre Eigenständigkeit verteidigten. Tatsächlicher Widerstand blieb auf eigenverantwortlich handelnde Einzelpersonen wie Dietrich Bonhoeffer oder Alfred Delp beschränkt.
Eigenes Versagen
Auf zwei Ausstellungssektionen sei besonders hingewiesen. Zum einen wird den Klöstern eine ausdrückliche Aufmerksamkeit gewidmet. Hitler hatte sich die große Abrechnung mit den Kirchen für die Zeit nach dem erwarteten Sieg aufgehoben. Bis dahin galt es insbesondere in den Kriegszeiten, die Konflikte möglichst klein zu halten. Aber gegenüber den Klöstern wurde diese Zurückhaltung nicht eingehalten. Im so genannten Klostersturm zu Beginn der 1940er-Jahre wurden insbesondere auf Betreiben Himmlers mehr als 300 Klöster beschlagnahmt und ihre Bewohner vertrieben oder zum Kriegsdienst eingezogen. Das geschah in einer bis heute weithin ebenso unbekannten wie geräuschlosen Systematik, die erahnen lässt, wie schließlich die große Abrechnung mit den Kirchen nach dem Krieg ausgesehen hätte. Die von den Nazis herausgegriffenen und teilweise konstruierten inkriminierenden Vorwürfe gegen die Orden versetzten die überrumpelte Kirche weithin in eine Schockstarre des Stillhaltens, was dann dazu geführt hat, dass „die Orden und Klöster bislang zu den ‚vergessenen Opfern‘ der nationalsozialistischen Verfolgung“ (Annette Mertens) gehören.
Zum anderen scheint das verbreitete Verharmlosungs- und Reinwaschungsinteresse der Kirchen nach 1945 bemerkenswert. Die Ausstellung dokumentiert, dass sich die Kirchen auch daran beteiligt haben, Täter bei der Beschaffung von „Persilscheinen“ zu ihrer Entlastung zu unterstützen. Die Themen Schuld und Versagen wirkten teilweise allergisierend und wurden leidenschaftlich umstritten. So fundamental der Umgang mit Schuld für das Selbstverständnis der Kirche auch sein mag, so schwer hat sie sich in der Wahrnehmung des eigenen Versagens getan, obwohl gerade das Eingeständnis der eigenen Schuld für die Rückgewinnung des auch international in Frage gestellten Vertrauens von grundlegender Bedeutung war. Hier zeigt sich nun, dass das Fragezeichen im Titel der Ausstellung zumindest aus der Sicht der Kirchen durch ein Ausrufungszeichen zu ergänzen, wenn nicht zu ersetzen wäre.
Auch wenn sich Geschichte niemals einfach wiederholt, kann diese Ausstellung einen durchaus traurigen Kairos für sich reklamieren. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Menschheit aus der Geschichte jemals wirklich etwas gelernt hat. Aber die Ausstellung kann doch überzeugend demonstrieren, dass die Wahrnehmung der Geschichte zumindest den Blick in die eigene Gegenwart schärfen kann – besonders dann, wenn das im Blick auf ihre Höhen und Tiefen auf eine so unspektakuläre und sachlich nüchterne Weise geschieht wie in dieser sehenswerten Ausstellung.
Informationen:
Die Ausstellung „Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus“ wird bis zum 18. Mai 2025 im Landesmuseum für Klosterkultur im Kloster Dalheim, Am Kloster 9, 33165 Lichtenau-Dalheim gezeigt. Mehr Informationen sowie das Begleitprogramm unter www.stiftung-kloster-dalheim.lwl.org
Michael Weinrich
Michel Weinrich ist Professor em. für Systematische Theologie in Bochum und Herausgeber von Zeitzeichen.