Unternehmer:innen in Talaren?
Es gibt Schlagzeilen, über die stolpert man als kleiner freier Journalist, der sich mit Kirchenfragen befasst, doch erheblich: „[Wir] müssen Entrepreneure des Glaubens werden" über diesem Interview mit der Badischen Landesbischöfin Heike Springhart von Leonie Mielke und Christine Süß-Demuth vom Landesdienst Südwest des Evangelischen Pressedienstes gehört definitiv zu den Titelzeilen, die mich affizieren.
Mein Missfallen hat drei Gründe, von denen ich den ersten – theologischen - mangels eigener Kompetenz nur ganz kurz antippen will. Dem lesenswerten Lexikonbeitrag über „Liberale Theologie“ von Martin Fritz bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) habe ich jüngst entnommen, dass es (seit Johann Salomo Semler) einen Unterschied gibt zwischen einer „‚öffentlichen‘ oder ‚äußerlichen‘ Religion (Kirchenzugehörigkeit, öffentlicher Gottesdienst und Unterricht)“ und einer „‚private[n]‘ oder ‚innerliche[n]‘ Religion als [der] eigentliche[n] Gestalt von Christentum“. Die Liberale Theologie habe im Anschluss daran, „die Bedeutung der freien subjektiven Aneignung der Glaubenswahrheiten durch den einzelnen Christen“ herausgestellt. Die „öffentliche Religion“ bilde daher „lediglich den äußeren Rahmen“ für die jeweilige „private Religion“.
Man könnte laienhaft womöglich sagen: Glauben und Kirche sind zwei verschiedene Größen, die aber natürlich aufeinander bezogen sind. Am Stichwort der „Entrepreneure des Glaubens“ von Springhart überrascht nun, dass sie Entrepreneurship im epd-Gespräch ausschließlich für kirchliches – zugespitzt: kirchenamtliches – Handeln als Zielvorstellung profiliert, so als ob Handeln im Glauben und das Handeln der Kirche dasselbe wären.
Vom „Tanker“ Landeskirche
Was mich zum zweiten Grund meines Missfallens bringt: Mit dem aus der Start-Up-Szene bekannten Begriff Entrepreneurship ist Unternehmer:innentum gemeint. Ein:e Unternehmer:in, so weiß es die Google-Suche, trägt als Eigentümer:in einer Unternehmung die größte Verantwortung und das größte Risiko. (Darin läge die Spannung, wenn tatsächlich von Entrepreneur:innen des Glaubens die Rede wäre.)
Springhart stellt nun im Interview fest, die Kirche habe „viele Herausforderungen, die unternehmerisches Denken fordern“. Darauf sei der „Tanker“ Kirche nicht eingestellt, man müsse „also irgendwie auch ein Schnellboot sein“. Zumindest müsse der Tanker „beweglicher und wendiger“ gemacht werden. Das sei, beeilt sie sich zu erklären, aber „nicht kapitalistisch gemeint“. Springhart problematisiert die Behördenstrukturen und „sehr komplexe[n] demokratische[n] Struktur[en] und viele[n] Gremien“ evangelischer Landeskirchen und „die Notwendigkeit, neue Formate einfach mal auszuprobieren“.
Ein „Tanker“, der aber ein Schiff für viele Passagiere und reichlich Lasten bleiben soll, ist nun mal nicht wendig und beweglich und ein Schnellboot, das wirklich schnell sein soll, hat keinen Raum für eine Vielzahl an Passagieren und Gepäck. Dass die „Tanker“ evangelische Landeskirchen schrumpfen müssen, hat obendrein erst einmal nichts damit zu tun, dass man auf ihnen schneller vorankommen will, sondern mit Spritmangel. Den evangelischen Landeskirchen gehören immer weniger Menschen an, die Kirchensteuereinnahmen sinken und auch beim Nachwuchs für kirchliche Berufe herrscht Flaute.
Es ist also sicher notwendig, weniger tankerhaft zu werden, aber das hat erst einmal wenig damit zu tun, „neue Formate auszuprobieren“. Rückbau ist nicht per se kreativ. Dass obendrein bei der Kritik am Tankertum der Kirche ihre Behördenstrukturen und demokratische Verfasstheit in einem Atemzug genannt werden, halte ich für bedenklich. Evangelische Kirche zu sein bedeutet sicherlich nicht, eine möglichst effiziente Serviceagentur von Hauptamtlichen und Pfarrer:innen zu sein. Sie braucht darum notwendig (funktionierende) Gremien der Kirchenleitung durch das Kirchenvolk. An ihnen kann man natürlich sinnvolle Reformen durchführen, aber sollte man nicht sparen. Ganz zum Schluss des Interviews erklärt Springhart übrigens, dass trotz eines personellen Umbruchs im Oberkirchenrat ihrer Landeskirche (Landeskirchenamt), der die schönste Vorlage für eine Verschlankung von Strukturen wäre, keine „Kürzungen oder das Zusammenlegen von Referaten“ geplant seien. Na ja.
An Unternehmer:innentum ist hier also weder im Sinne einer harten Marktorientierung noch einer Effizienzmaximierung gedacht. Es geht sichtlich nicht darum, die ganze Kirche ins unternehmerische Risiko zu führen. Das würde womöglich wirklich zu weit führen und ist vielleicht auch ganz gut so.
Neues ausprobieren
Wenn Landesbischöfin Springhart hart an der Floskelwolke segelnd erklärt, „wir“ (also die Kirche) „müssen auch Ungewöhnliches denken und eine Vision haben, die wir gemeinsam mit anderen entwickeln“, meint sie mit Entrepreneurship offenbar vielmehr kreatives kirchliches Handeln: neue Formen der Kontaktsuche und -Pflege im Sozialraum, andere Formen von passagerer und verbindlicher Kirchlichkeit.
Daran ist nun überhaupt nichts auszusetzen und die im weiteren Verlauf des Gesprächs erwähnten Taufaktionen sind ein gutes Beispiel dafür, wie so etwas durchaus gelingen kann. Warum also ein drittes Mal an der Entrepreneurship zweifeln? Den jüngsten Evaluationen sog. Erprobungsräume, in denen Fresh Expressions of Church (fresh-X) unter der dem Dach evangelischer Landeskirchen organisiert sind, wie zum Beispiel dem Band „Erprobung empirisch“ (Vandenhoeck & Ruprecht 2024), entnehme ich, dass nur ein Bruchteil der angestoßenen Projekte tatsächlich unternehmerisch, das heißt wenigstens zum Teil auf eigene Rechnung unterwegs ist.
Vielmehr hängen die Projekte ebenso wie anderes kirchliches Handeln an der (kirchensteuerfinanzierten) Hauptamtlichkeit von Akteur:innen, an einer (kirchensteuerfinanzierten) Anschubfinanzierung und der Bereitstellung weiterer Ressourcen durch die Kirchen – wozu ich ausdrücklich auch die Verwendung von Personal zählen will, das andernorts in der Kirche ebenso dringend gebraucht wird.
All das ist für Erprobungen nicht ungewöhnlich und gerade zu Beginn eines Projekts unvermeidlich: Wer ernten will, muss auch säen. Zugleich hat sich die Erwartung, fresh-X-Projekte würden einen substantiellen Teil ihrer Kosten auf dem Wege von Fundraising oder Ähnlichem selbst erwirtschaften können, bisher nicht erfüllt. Erprobungsräume bleiben angewiesen auf die Ressourcen ihrer „Mutterkirche“, die aber durch die vielfältigen Schrumpfungsprozesse infrage stehen.
Endet die Erprobungszeit werden sie zumeist mit weniger Kostenaufwand als bisher in die bestehenden Strukturen der Landeskirchen integriert, wobei Reibungsverluste dabei unvermeidlich sind, oder kommen ganz zum Erliegen. Nur in Ausnahmefällen trägt eine Gemeinschaft von Ehrenamtlichen das Projekt weiter durch die Zeit. Warum also die Erprobungsräume weiterhin mit der Erwartung von Entrepreneurship überfrachten?
Was bleibt?
Was bleibt also nun von der Titelzeile „[Wir] müssen Entrepreneure des Glaubens werden“? Um den Glauben geht es nicht, sondern um die Kirche. Die ganze Kirche wird sicher nicht unternehmerisch geführt – und sollte es auch nicht. Und selbst in fresh-X-Projekten ist es mit der Entrepreneurship eine mindestens mal schwierige Kiste. Jedenfalls, solange sie als Beiboote von Landeskirchen zu Wasser gelassen werden. Vielleicht ist es doch ehrlicher, den Entrepreneur-Begriff einzumotten? Das würde übrigens auch tatsächlichen Entrepreneuren den nötigen Respekt erweisen. Man kann nicht Beamter und Entrepreneur zugleich sein. Das ist auch ok so.
Stattdessen könnte man ja darüber nachsinnen, wie kirchliche Strukturen gestaltet werden müssen, damit ehren- und hauptamtlich Mitarbeitende tatsächlich mündig, mutig und kreativ handeln können. Mit unternehmerischen Risiko hat das weniger zu tun als mit Vertrauen, klaren Verantwortlichkeiten und Ressourcenverteilung. Start-Up-Slang wie Disruption und Entrepreneurship lenken davon nur ab.
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de