Das gab es selten und wäre eigentlich ein Grund für ungeteilte Freude: Mehr als 20.000 Menschen haben bisher das so genannte Kirchenmanifest unterschrieben. Eigentlich kann ja gar nichts Besseres passieren, als dass sich kompetente Menschen um Kirchenräume als Kulturerbe sorgen und sich für ihren Erhalt engagieren wollen, oder? Einerseits ja. Andererseits werden die professionell Verantwortlichen von den Initiator:innen zumindest implizit auch kritisiert.
Zum einen dafür, dass Entscheidungen über den Erhalt, die Umnutzung oder gar den Abriss von kirchlichen Gebäuden häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Und zum anderen dafür, dass man sich weigere, „Macht“ abzugeben, wo doch Kirchengebäude nicht nur den Kirchen gehörten, sondern eigentlich der ganzen Gesellschaft.
Solche Vorwürfe tun weh, denn mit gewissem Recht bilden wir Evangelischen uns einiges auf unsere transparenten, demokratiekonform verfassten Strukturen ein. Jedoch ist es leider häufig so, dass kirchliche Entscheidungsprozesse in einer speziellen Bubble und damit faktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit passieren. Der Aufschrei ist meist erst dann groß, wenn sich herumspricht, dass ein Kirchengebäude abgerissen werden soll – selbst wenn dem lange Konsultationen, Beratungen und Beteiligungsprozesse vorangingen.
Dennoch ist eine Initiative wie das Kirchenmanifest auf jeden Fall eine Chance. Zum einen, wenn für zahlreiche Kirchgebäude – und zwar nicht nur für die schönen, sondern auch für die häufig als weniger schön empfundenen Zweckbauten der 1950er- bis 1970er-Jahre – mit verstärktem bürgerschaftlichen Engagement neue Nutzungsperspektiven gewonnen werden. Zum anderen aber gilt es auch, für Realismus zu werben:
Denn wenn Besitz und Nutzung geteilt werden, gehört auch die Verantwortung geteilt, sprich: Die Kirchen dürfen mit der Finanzierung des Unterhalts der Gebäude nicht alleingelassen werden.
Die Frage, was mit den zunehmend überzähligen Kirchbauten und anderen kirchlichen Räumen, wie zum Beispiel Gemeinde- und Pfarrhäusern geschehen soll, sollte auf jeden Fall im Dialog mit der Gesellschaft und auch der Politik beantwortet werden. Denn die Kirchen sind dazu auf Dauer allein nicht in der Lage, insbesondere nicht in so „steinreichen“ Regionen wie der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Letztlich aber sind diese Gebäudefragen, um die sich das Kirchenmanifest dreht, auch nur ein Teilbereich des großen Strudels der Veränderungen, vor dem die Kirche auf allen Feldern steht. Dazu gehört insbesondere der rasante Verlust an Finanzmitteln, denn die Halbierung der Kirchenmitglieder wird wohl bereits 2040 eintreten – und nicht erst 2060, wie vor fünf Jahren die Freiburger Studie mutmaßte.
In diesen Zeiten helfen nur Gottvertrauen und der beharrliche Wille, Kooperationen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen einzugehen. Ein „Weiter so!“ kann es jedenfalls nicht geben. Vielmehr gilt mehr denn je die kommende Jahreslosung aus 1.Thessalonicher 5,12: „Prüft alles und behaltet das Gute!“.
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.