Zurecht in Verruf geraten
Ich kann mich noch genau erinnern, obwohl es inzwischen mehr als 20 Jahre her ist. Zur Vorbereitung auf die erste heilige Kommunion mussten wir in der dritten Klasse die Erstbeichte ablegen. Auch wenn wir Kinder trotz einer vergleichsweise ausführlichen Unterweisung nicht wussten, was Sünde ist und warum uns diese nun in einem dunklen Beichtstuhl vergeben werden sollte. Es blieb für uns deshalb bei äußerst lässlichen Vergehen: Ich habe meinen Eltern beim Mittagessen widersprochen, ich habe meine Hausaufgaben vergessen und so weiter. Unser Pfarrer, der in diesem Schuljahr zusätzlich den Religionsunterricht erteilte, war ein gemütlicher Mann vom Lande. Ihm leuchtete die Notwendigkeit der Beichte offenbar auch nicht ganz ein. Man machte das damals in Südostbayern schlicht so. Zumindest kamen wir auf diese Weise der Forderung des „Codex Iuris Canonici“ (CIC) nach, unsere „schweren Sünden wenigstens einmal im Jahr aufrichtig zu bekennen“.
Diese Form der ritualisierten Kinderbeichte ist in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Einerseits weil das Sakrament sogar von erwachsenen Gläubigen kaum mehr verstanden wird. Es kann sogar mit guten Gründen bezweifelt werden, dass die Mehrheit der katholischen Christen die Beichte jemals in ihrer ganzen Tiefe begriffen hat (wie von konservativer Seite immer wieder suggeriert wird). Andererseits nutzten Geistliche das Beichtgespräch immer wieder zur Anbahnung von sexuellem oder spirituellem Missbrauch. Die Beichte steht deshalb häufig für die Gefahren, die von pastoraler Macht ausgehen können. Allerdings sieht es unter den Seelsorgerinnen und Seelsorgern selbst nicht besser aus: Laut einer quantitativen Studie, die zwischen 2012 und 2014 unter 8.600 Personen in 22 von 24 deutschen Diözesen durchgeführt wurde, gehen 54 Prozent der befragten Priester nur einmal im Jahr zur Beichte. Bei anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind die Zahlen sogar noch höher.
Dementsprechend grell beschrieb der Münchner Pastoraltheologe Andreas Wollbold jüngst den Zustand des Bußsakraments in einem Interview mit der „Tagespost“: „Von Ausnahmen abgesehen, ist die Beichte in Deutschland schlicht tot.“ Um die Gläubigen wieder für die Beichte zu begeistern, müsse man „wirklich dicke Bretter bohren“. Wie Wollbold solche Bretter bohren will, wird im Laufe des Gesprächs nicht ganz klar. Für ihn scheint vor allem die Rolle der Geistlichen entscheidend zu sein. Während laut Wollbold früher nur eigens geschulte Priester eine Beichterlaubnis erhalten hätten, fände sich heutzutage bei vielen Beichtvätern ein „Verschnitt von Populärpsychologie, Lieblingsspiritualität und frommer Vertröstung“. Dadurch entstünde bei den Gläubigen der falsche Eindruck, dass der Priester vornehmlich für die Absolution und „geistliche Streicheleinheiten“ zuständig sei.
Ungebrochene Nachfrage
Für den Regensburger Moraltheologen Dirk Gärtner stellt sich die Situation dagegen nicht so dramatisch dar. Der Regens des Bischöflichen Priesterseminars Fulda und Vorsitzende der deutschen Regentenkonferenz antwortete in einem längeren Gastbeitrag für katholisch.de auf Wollbolds Thesen. Die Situation des Bußsakraments ließe sich nicht nur an Zahlen, sondern auch an der Qualität festmachen. In Wallfahrtsorten oder auf Weltjugendtagen gäbe es eine ungebrochene Nachfrage, sogar bei jungen Menschen. Darüber hinaus sei gerade bei jungen Priestern eine „neue Sensibilität für die Relevanz des Beichtsakraments“ feststellbar, so Gärtner. Von einer mangelnden Vorbereitung, wie sie Wollbold feststellt, könne deshalb keine Rede sein. Allerdings gibt auch Gärtner zu bedenken, dass einem Geistlichen die Beichterlaubnis erst erteilt werden sollte, wenn dieser einen „entsprechenden menschlichen und geistlichen Reifegrad erreicht und nachgewiesen hat.“
Bemerkenswert ist, dass sowohl Wollbold als auch Gärtner nicht ausführlich auf die Rolle der katholischen Kirche für den Stellenwert der Beichte zu sprechen kommen. Beide Theologen verstehen das Bußsakrament wesentlich aus der Perspektive der Gläubigen oder der Sicht der Priester. Aber: Wie kann eine Kirche, die vielfach gesündigt hat und wahrscheinlich immer noch sündigt, glaubhaft Sünden vergeben? Der Dogmatiker Peter Hünermann hat auf diese Leerstelle aufmerksam gemacht: „Umkehr setzt das Eingeständnis der eigenen Sünde voraus.“ Zweifellos wirken Sakramente ex opere operato, also unabhängig von dem, der sie ausführt. Trotzdem ist ihre fruchtbare Wirkung auf ein gewisses Vertrauen von Seiten der Gläubigen angewiesen.
Damit spiegelt die Beichte ein grundsätzliches Problem der katholischen Kirche wider. Es kann noch so viel von „Neuevangelisierung“ die Rede sein: Das Eingeständnis der eigenen Sünden und eine damit verbundene Veränderung von Machtstrukturen sind notwendige Bedingungen für Versöhnung. Nur auf diese Weise kann die Kirche in Zukunft wieder „heilbringende Hilfe“ anbieten – vielleicht sogar Kindern.
Louis Berger
Louis Berger ist Redakteur des katholischen Onlinemagazins „kirche + leben“ in Münster.