Aushandeln, investieren, bilanzieren

Die Praxis kirchlicher Finanzsteuerung im interdisziplinären Gespräch
Bei der Kitafinanzierung erscheint es wichtig, wie diese Arbeit innerkirchlich verstanden wird. Betrachtet man sie als eine diakonische, eine pädagogische und/oder sogar als eine missionarische Kontaktfläche in die Gesellschaft?
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Bei der Kitafinanzierung erscheint es wichtig, wie diese Arbeit innerkirchlich verstanden wird. Betrachtet man sie als eine diakonische, eine pädagogische und/oder sogar als eine missionarische Kontaktfläche in die Gesellschaft?

Über Geld zu sprechen, ist schwierig, auch in der evangelischen Kirche. Deshalb trafen sich kirchliche Finanzverantwortliche mit Praktischen und Systematischen Theolog:innen zum Austausch. Dabei zeigte sich, wie schwer eine Theologie, die von der Fülle der göttlichen Gnade ausgeht, bisher mit der Realität eines finanziellen Mangels umgehen kann. Ein Bericht der drei Theologieprofessoren Jan Hermelink, Sonja Keller und Gerald Kretzschmar.

Über Geld spricht man nicht. Das galt lange Zeit auch in der Kirche. Aber im Zuge der Wiedervereinigung und anhaltend hoher Austrittszahlen sind nicht nur Mitglieder und Mitarbeitende in der Kirche knapp geworden, sondern auch die finanziellen Ressourcen. So sind Haushalts- und Budgetfragen in Kirchenvorständen, Synoden und Konsistorien immer mehr zu einem hitzigen Dauerthema geworden: in Ostdeutschland seit den 1990er-Jahren, auch in vielen westdeutschen Kirchen seit den 2000er-Jahren, und nunmehr fast überall. Über Geld zu sprechen, das bleibt jedoch auch in der Kirche schwierig. Zum einen werden leitende Personen und Gremien auf diese Weise mit ihren begrenzten Möglichkeiten und den sehr irdischen Bedingungen ihres Wirkens konfrontiert, die eben nicht nur anspruchsvollen theologischen Leitbildern folgen.

Zum anderen hat es auch die Theologie bisher weitgehend versäumt, über Geld zu sprechen: Wie die Schwerpunkte des kirchlichen Handelns, wie auch seine öffentlichen Wirkungen von finanziellen Entscheidungen geprägt sind und wie diese Entscheidungen binnenkirchlich in Gremien und Ämtern zustande kommen, dazu haben wir (praktisch-)theologisch bisher kaum etwas zu sagen. Kürzlich fand in Göttingen ein erster Workshop statt, der Finanzverantwortliche verschiedener Landeskirchen mit Praktischen und Systematischen Theolog:innen ins Gespräch gebracht hat. Wir konnten einige typische Problemfelder identifizieren, in denen die aktuell prekären finanziellen Rahmenbedingungen besonders deutlich werden.

Im interdisziplinären Austausch konnten wir typische Praktiken identifizieren, mit denen Finanzfachleute – auf allen kirchlichen Ebenen – die Stabilität ebenso wie die Innovationskraft des kirchlichen Handelns zu fördern versuchen. Und wir konnten, ganz ansatzweise, theologische Deutungsperspektiven auf dieses berufliche Handlungsfeld erproben.

In mehreren Fallbeispielen des Workshops erwies sich bereits die kirchliche Haushaltsplanung als eine hoch komplexe Praxis. Einerseits ist hier bis ins Einzelne geregelt, welche Gruppen, welche Bereichsleitungen und Fachausschüsse zu welchem Zeitpunkt an den vorbereitenden Gesprächen beteiligt sind. Andererseits muss sehr kreativ, mitunter auch spontan, nach Spielräumen des Budgets und der Stellenplanung sowie nach jeweiligen Verbündeten gesucht werden. Vor allem in Zeiten wachsender, teils dramatischer Einsparzwänge zeigt sich die Haushaltsplanung als ein langwieriger Prozess des Aushandelns. Seine Steuerung erfordert erhebliches Organisationswissen, große Geduld – und viel wechselseitiges Vertrauen.

Auftritte vor Synoden

Ein zweites wichtiges Praxisfeld kirchlicher Finanzsteuerung sind offenbar Auftritte und Gespräche bei den jeweiligen Landessynoden. Hier agieren die Finanzverantwortlichen vor einem Publikum, zu dem langjährige Expertinnen ebenso gehören wie engagierte Newcomer. Hier sitzen Synodale aus den Ortsgemeinden neben den Entsandten aus kirchlichen Diensten, Ausbildungsstätten und diakonischen Werken. Die Synoden agieren als Sachwalter der hergebrachten kirchlichen Formen; gelegentlich inszenieren sie sich als Retter bedrohter Berufsgruppen und Arbeitsfelder. Zugleich aber sind sie offen für neue missionarische oder öffentlichkeitswirksame Initiativen. Jahr für Jahr, in zahlreichen Vor-, Neben- und Nachgesprächen müssen daher die Ansätze zur finanziellen Konsolidierung ebenso begründet werden wie die Mittel für alternative kirchliche Handlungsformen. Der Workshop ermöglichte einen erhellenden Austausch, wie solche Investitionen geistlich oder auch ganz profan begründet werden und ob sie als „Spielgeld“ oder sogar als kirchliches „Risikokapital“ bezeichnet werden sollten. Als ein drittes, ebenfalls aufschlussreiches Handlungsfeld kirchlicher Finanzsteuerung zeigten sich die Verhandlungen zur Finanzierung von Kindertagesstätten. Hier geht es um ein Budget, das in manchen Landeskirchen ein Drittel oder sogar die Hälfte des gesamten Haushalts ausmacht. Die Kita-Finanzierung muss regelmäßig mit Kommunen, Landkreisen oder Bundesländern neu ausgehandelt werden. Dabei erscheint es wichtig, wie diese Arbeit innerkirchlich verstanden wird. Betrachtet man sie als eine diakonische, eine pädagogische und/oder sogar als eine missionarische Kontaktfläche in die Gesellschaft? In den Verhandlungen mit staatlichen Zuschussgebern müssen sodann die Positionen und Strategien der unterschiedlichen kirchlichen Akteure, zu denen oft auch katholische oder freikirchliche Träger gehören, koordiniert werden. Die kirchlichen Verhandlungsführenden sollten kundig sein in den Details der jeweiligen Refinanzierungsrichtlinien. Und sie müssen sich mit dem Bild einer vermeintlich privilegierten, einer immer noch reichen Kirche auseinandersetzen. Denn diese traditionelle Vorstellung nutzen die staatlichen Stellen offenbar nicht selten dazu, den kirchlichen Kitas geringere Zuschüsse zuzugestehen als anderen freien Trägern.

Im Durchgang durch die praktischen Probleme in diesen und anderen Aufgabenfeldern ließen die Gespräche zwischen Finanzern und Theolog:innen ahnen, wie komplex die kirchlichen Kommunikations- und Machtverhältnisse sind: zwischen den verschiedenen Ebenen, zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen, zwischen mehr oder weniger gut organisierten pressure groups und behördlichen Abteilungen. Es zeigte sich der große Einfluss einzelner Schlüsselpersonen. Und ebenso wurde deutlich, wie viel immer wieder vom wechselseitigen Vertrauen zwischen Einzelnen und Gruppen abhängt. Dieses Vertrauen muss gezielt aufgebaut werden, und es kann rasch beschädigt werden.

Das interdisziplinäre Gespräch über die Praktiken der Finanzsteuerung ließ einen Kulturwandel erkennen, der sich in den kirchlichen Organisationen – nicht nur, aber auch unter dem Druck von Einsparzwängen – abzeichnet. Die bislang selbstverständliche gesellschaftliche Anerkennung von Kitas, Jugendgruppen und diakonischen Initiativen muss nun in alle Richtungen begründet, ihre Finanzierung muss immer neu erstritten werden. Das nötigt die Gemeinden und ihre Mitarbeitenden, nicht zuletzt die Pastor:innen, sich stärker zu vernetzen und zu verbünden. Insgesamt steht die kirchliche Kultur offenbar vor der Aufgabe, sich von dem Selbstbild einer großen, einflussreichen und wachsenden Organisation zu verabschieden und sich mit dem eigenen Kleiner- und Schwächer-Werden auseinanderzusetzen.

Leitende Bilder

Der Austausch zwischen Finanzverantwortlichen und Theolog:innen hat deutlich gemacht, wie schwer eine Theologie, die von der Fülle der göttlichen Gnade ausgeht, bisher mit der Realität eines finanziellen Mangels umgehen kann. Wie lassen sich diese ersten Einblicke in die Realitäten kirchlicher Finanzsteuerung theologisch deuten? Der Workshop hat dafür Spuren in verschiedene Richtungen gewiesen. Zunächst liegt es nahe, nach den leitenden Bildern zu fragen, die bei den Finanzfachleuten wie bei ihren Gesprächspartnern innerhalb und außerhalb der Kirche von dieser Institution bestehen: Ist die Kirche vor allem für ihre Mitglieder da, gleichsam für die Gläubigen? Oder gelten ihre Investitionen allen Menschen vor Ort, gar der Gesellschaft als ganzer? Soll die Kirche vor allem die Tradition bewahren, steht sie also für das, was sich lange bewährt hat und immer schon galt – oder steht die Kirche für den (religiösen oder gesellschaftlichen) Aufbruch, für das Experiment neuer Praktiken des Glaubens? Ob die Kirche eine ausgearbeitete Strategie ihres organisierten Handelns braucht oder ob solche Strategiedebatten den Blick auf die je aktuellen Aushandlungsprozesse eher verdecken, das blieb auf dem Workshop innerhalb und zwischen den verschiedenen Professionen durchaus umstritten.

Auch die Vergangenheit kann theologisch sehr unterschiedlich gedeutet werden. Sind Strukturen, Arbeitsfelder und Praxisformate, die in Kirche und Theologie lange als Erfolgsgeschichten erschienen, heute noch auf diese Weise wahrzunehmen und finanziell auszustatten? Wie lässt sich der Abschied von vertrauten Verhältnissen religiös verstehen? Und kann im Horizont des Glaubens auch das Scheitern von Projekten und Initiativen eingestanden und ertragen werden? Theologisch noch spannender erscheint jedoch, wie die Finanzverantwortlichen, die ihre alltäglichen Kommunikationsaufgaben schilderten, damit zugleich ein sehr reflektiertes Selbstverständnis zu erkennen gaben. Ausdrücklich begreifen sie sich als Anwälte des Ganzen einer kirchlichen Organisation, die berufliche oder religiöse Partikularinteressen immer neu, in zahlreichen Aushandlungsprozessen zum Ausgleich bringen.

Komplexes Selbstverständnis

Dabei sehen sich diese Expert:innen, gleichsam der Logik des Haushalts folgend, einerseits durchaus konservativ: Sie wollen die gesellschaftliche Relevanz der Kirche erhalten, sie ringen um den Erhalt ihrer Gebäude, und sie sehen die Verpflichtungen, die die Kirche durch oft lebenslange Anstellungsverhältnisse eingegangen ist. Andererseits begreifen die Finanzverantwortlichen sich als ausgesprochen innovationsorientiert: Sie sind bereit, für die Förderung neuer kirchlicher Arbeitsformen erhebliche Mittel freizumachen.

Dieses komplexe berufliche Selbstverständnis ist erst einmal nicht theologisch formuliert, obwohl – oder weil – die Finanzexpert:innen täglich, in Gremien und Kirchenämtern mit vielen Theolog:innen zu tun haben. Deren Deutungsperspektiven sind den Finanzern durchaus vertraut, sie nutzen sie jedoch selbst nicht. In einer Perspektive von außen, seitens der (Praktischen) Theologie, könnte man aber vielleicht sagen: Die ökonomisch Tätigen in der Kirche verstehen sich als Anwälte der kirchlichen und gesellschaftlichen Realitäten, so weit diese zu beziffern und zu bilanzieren sind. Und damit agieren sie – implizit, aber sehr engagiert – gleichsam als Theolog:innen der Wirklichkeit, die den Sinn für den kirchlichen Alltag mit einer durchaus religiösen Hoffnung auf dessen Reform, dessen erneute Öffnung verbinden.

Was es im interdisziplinären Gespräch zwischen kirchlicher Ökonomie und akademischer Theologie zu entdecken gibt, ist wohl mindestens zweierlei. Zum einen rückt auf diese Weise die theologische Würde eines Berufsstandes ins Bewusstsein, ohne den eine verantwortliche Leitung der Kirche nicht zu denken ist. Und zum andern wird die enge Verflechtung ökonomischer Spielräume mit genuin theologischen Perspektiven sichtbar, die auf diese Weise ihrerseits zu berechnen und zu bilanzieren sind. Je klarer der Zusammenhang beider Sphären im Blick ist, je genauer er wissenschaftlich reflektiert wird, desto tragfähiger dürften sich die kirchlichen Transformationsprozesse in Zukunft gestalten.

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