Apologie des Trostes

Ein menschliches Bedürfnis

Sein Ruf ist ramponiert, und das sei ein Elend, nicht für den Trost, sondern für uns, findet der Philosoph Jean-Pierre Wils. Denn das Reden vom Trostpreis oder Vertrösten denunziere ihn als halbseiden, dem Glauben an die aktive Selbst- und Weltgestaltung gelte er zudem als unmodern. Ein Grundbedürfnis bleibe er aber dennoch.

Was Trost ist, wie er funktioniert, welche Quellen er haben kann und dass er letztlich ein Mysterium sei, entfaltet Wils in seinem Trost-Buch konzise und nachvollziehbar. Er geht dabei vom Schmerz aus, nicht jenem über aufgeschürfte Knie, sondern dem „Leiden am Leiden“, einem „Phänomen ohne Objekt in der Welt außerhalb“. Denn der Mensch habe die Fähigkeit, sich des Leidens wie auch seiner Zerbrechlichkeit bewusst zu sein. Ein das Vertrauen in die Welt erschütterndes anthropologisches Privileg, schreibt er, das bei unwiederbringlichen Verlusten, nicht zuletzt dem Tod, ausweglos hart des Menschen Bedürftigkeit zeige, nämlich die nach Trost. Wils wählt für ihn die bildliche Redeweise von der „Ummantelung“, wie ein Bergen oder Umarmen, das aber niemals Hilfe im Sinne von Abhilfe sein könne. Leid lasse sich, anders als der Spruch das sagt, nicht teilen. Allenfalls lasse sich Ab-Lenkung bieten oder finden: „Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt, er betrifft nicht das Übel selbst, sondern dessen Reflexion in der tiefsten Instanz der Seele.“

Dahinter identifiziert er „ontologische Unbehaustheit“, den Mangel an notwendigen Daseinsgründen – ein existentielles Dilemma, über das früher vielen ein religiöser Glaube hinweg half, doch da tun sich inzwischen Gräben auf. Überkommene Rituale und Vorstellungen haben an Plausibilität verloren, doch das Bedürfnis nach Trost als Teil der condition humaine bleibe bestehen. Die möglichen Quellen dafür fächert Wils im Schlussdrittel des Buches auf, und zwar im Gefolge des Soziologen Georg Simmel, der dazu mal von „hunderterlei Gegebenheiten der Welt“ schrieb. Die so einfühlsam wie analytisch erläuterten Beispiele reichen von der Natur und „aufgeladenen“ Dingen über die Musik und Kunst bis hin zum Trost durch Menschen.

Seinem Funktionieren im Einzelnen geht Wils faszinierend nach, aber stets nur bis zu einer gewissen Grenze. Denn wie der „Ummantelnde“ wirkt, bleibt ein Stück weit außerhalb des Fassbaren, so nah er ihm auch rückt. Vielleicht ist Trost ja am ehesten ex negativo zu fassen. Hilfe, betont Wils immer wieder, ist er jedenfalls nicht, Erleichterung aber schon. Vor seinem stoischen Fachkollegen Seneca (und implizit auch vor dessen Aufbrühern wie Rolf Dobelli, siehe auch zz 6/2018) warnt er explizit: Senecas Motto, „Verluste seien unvermeidlich und zu erwarten, also stell dich nicht so an“, weist er wegen des herablassenden Tons als maximal herzenskalt scharf zurück. Das Menschsein, so darf man folgern, bleibt da wohl unverstanden. Trost sei nie das Resultat von Argumentation. Zur gedanklichen „Geburtshilfe“ nutzt Wils starke Beispiele aus der Literatur, wie wir das von ihm bereits gewohnt sind (siehe auch zz 6/2020). Die Urszene des Trostes sei das Sorgen von Eltern für das schutzlos der Welt ausgelieferte Neugeborene. Ihm das Leben ersparen, setzen wir nach dieser gewinnbringenden Lektüre fort, können sie indes nicht – aber: „Ließen wir den Trost am Wegrand liegen, gewissermaßen als Rest einer restlos vergangenen Vergangenheit, müssten wir mit einem empfindlichen Mangel weiterleben, mit einer Lücke, die sich nicht mehr schließen lässt. Das sollten wir uns nicht zumuten.“

Damit beschließt Wils das Buch, das eine Apologie, eine Verteidigungsrede des Trostes sein soll. Sie gelingt ihm grandios – intellektuell fesselnd und im besten Sinne erbaulich, also ermutigend für das Leben. Für die sehenswerte Ausstellung „Trost – auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“ in Kassel, an deren Konzeption Jean-Pierre Wils beteiligt war (siehe Seite 40), ist sie statt eines Kataloges das Begleitbuch.

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