Einordnung

Über die Frauenordination

Etliche Landeskirchen haben in den vergangenen Jahren an die Einführung der Frauenordination erinnert, die sich zum fünfzigsten Mal jährte – bei Schaumburg-Lippe wird das allerdings erst 2041 der Fall sein. Der vorliegende Band, der größtenteils Beiträge einer Tagung zusammenstellt, geht über diese regionalgeschichtlichen Rückblicke hinaus, indem er die Frauenordination einordnet in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Das ist neu und macht ihn besonders interessant.

Im ersten Teil des Bandes finden sich kirchengeschichtliche Beiträge, die anhand biografischer Verortung die Entwicklung beispielsweise in der badischen Landeskirche (Doris Faulhaber) und der EKHN (hier werden zahlreiche biografische Verbindungen mit den synodalen Entscheidungen hergestellt) aufzeigen. Interessant auch der Beitrag von Carlotta Israel, der die Einflüsse der Zusammenschlüsse und Bünde, also EKD, VELKD und EKU (später UEK), beschreibt. Teils hatten sie befördernde, teils aber auch bremsende Wirkung.

Im zweiten Teil wird aufgezeigt, wie die innerkirchliche Debatte und gesellschaftliche Veränderungen verknüpft waren – und noch sind. Das Ringen um eigenständige, anerkannte Erwerbstätigkeit von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts etwa stand in Spannung zu den Weiblichkeitsvorstellungen vom Platz der sorgenden Mutter im Hause. Deutlich wird: Ohne das Drängen der Frauenbewegung auf eine Öffnung der Universitäten für weibliche Studierende – hätte es schlicht keine Theologiestudentinnen gegeben. Historisch wird nachgezeichnet, dass in der Weimarer Republik der Zugang für Frauen zum öffentlichen Dienst erweitert, von den Nationalsozialisten, deren Frauenbild von der Mutterrolle geprägt war, wieder zurückgedrängt wurde. Gleichzeitig übernahmen Frauen in den Kirchen pfarramtliche Aufgaben, weil Pfarrstellen durch Kriegsdienstleistende vakant waren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber veränderte sich die Lage schrittweise bis dahin, dass es heute im öffentlichen Dienst grundsätzlich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr gibt.

Bei der Lektüre wird klar, wie sehr sich die Entwicklung innerhalb der evangelischen Landeskirchen parallel zur öffentlichen Auseinandersetzung um die Rolle der Frau bewegt hat. Gerade auch die Zölibatsklausel, die es in den Kirchen bis in die 1980er-Jahre gab, fand sich eben auch für Beamtinnen. Und in den Kirchen entwickelte sich die theologische und auch exegetische Debatte parallel zur rechtlichen, das wird deutlich. Insgesamt zeigt der Studienband, wie hoch der Einfluss der gesellschaftlichen Diskussion um die Rolle der Frau auf die kirchliche Auseinandersetzung war. Eine nachvollziehbare theologische Begründung beispielsweise, warum eine Frau mit Heirat ihre Ordinationsrechte aufgeben musste, ist mir nie begegnet.

Besonders interessant ist der Beitrag von Laura Hanemann, der zeigt, wie sehr die Rolle der Frau als „Zivilisationshüterin“ ihre Rolle als Pfarrfrau geprägt hat und wie sehr das als Bremsfunktion mit Blick auf den eigenständigen Zugang zum Pfarramt wirkte. Sie schreibt: „Zu vermuten ist, dass die Hypothek, selbst ‚Zivilisationshüterin‘ und gleichzeitig Amtsträgerin sein zu müssen, auf Pfarrerinnen besonders lastet.“ Ein interessanter Aspekt, der sicher noch tiefer erforscht werden könnte.

Im dritten Teil des Bandes wird nachvollziehbar, wie Frauen als Exegetinnen neue Perspektiven in theologische Debatten einbringen. Mit der veränderten gesellschaftlichen Sicht auf die Rolle der Frau wird Frauen ermöglicht, Exegese zu betreiben. Dadurch setzt sich ein Schriftverständnis durch, das die Ordnungskategorien überwindet und geschlechtsbedingte Statusunterschiede als „zeitbedingte Einzelgebote relativierte“. Deutlich wird auch, dass biblische Hermeneutik aus weiblicher Perspektive die Theologie und das Berufsbild der Pfarrerin verändert haben. Hilfreich ist schließlich, dass auch geschaut wird, wie der Pfarrberuf insgesamt sich in Zukunft verändern wird. Wird die Gesellschaft diverser, werden es langfristig auch die Personen, die den Pfarrberuf ausüben.

War es theologische Überzeugung, die den Weg zur Frauenordination ebnete oder gesellschaftliche Entwicklung? Letzteres würde denjenigen als Argument dienen, die wie der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill Frauenordination als Anpassung an „westlichen Zeitgeist“ sehen. Andererseits ist denkbar, dass die theologischen Erkenntnisse – exegetisch wie hermeneutisch – zur Gleichstellung der Frau schlicht noch nicht gesellschaftlich durchsetzbar waren, als diese Aspekte bereits in den Kirchen thematisiert wurden. Die lesenswerten Beiträge erschließen, dass beides ineinandergreift: theologischer Diskurs und gesellschaftliche Entwicklung. Und das ist gut nachvollziehbar. Denn Theologie sollte ja nicht abseits vom gesellschaftlichen Kontext betrieben werden.

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Foto: epd

Margot Käßmann

ist Landesbischöfin a.D. und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD. Bis 2018 war sie Herausgeberin von "zeitzeichen". Sie lebt in Hannover.


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