Damals ist jetzt

Eulers magische Vielfalt

Wie gut, dass die Tage der Pandemie mit ihren restriktiven Beschränkungen vorbei sind! Besonders die Kulturszene atmet auf. Andererseits – man wagt den Gedanken kaum zu formulieren – zeitigt Corona auch Positives: Mehr und mehr wird nun sukzessive an erscheinenden Produktionen deutlich, dass die Zwangspause für Einige ungeahnte Zeitfenster (er-)öffnete, um Neues auszuprobieren.

Vortrefflich genutzt hat den Break Johannes Euler: Während des ersten Lockdowns erinnerte sich der Sänger, der seit Jahren als Altist sowohl solistisch als auch mit dem renommierten Vokalensemble Singphoniker von sich reden macht, daran, wie er früher, seiner Neigung als Jazzpianist frönend, Lautenlieder der Renaissance neu vertont hatte. In der „vorübergehende(n) Berufslosigkeit“ ab Frühjahr 2020 nahm Euler sich seine verjazzte Version des Lamentos „Flow my tears“ von John Dowland (1563–1626) erneut vor und fand in Dowlands frühbarocken Liedern ein halbes Dutzend weitere Beispiele, die ihn inspirierten – „In darkness let me dwell“ oder das weltberühmte „Come away, come sweet love“. Die jetzt erschienene CD „Beyond Dowland“ (Jenseits von Dowland) enthält so insgesamt sieben musikalische Paare dergestalt, dass dem traditionellen alten Song mit Altus und Renaissance-Laute Neuvertonungen beigesellt werden, die denselben Text vertonen, aber mit E-Piano und E- und Kontrabass in völlig andere poppig-jazzige Epochen führen.

Das Ergebnis: Von dieser CD kann man sich wirklich schwer losreißen, denn Eulers magische Stimmvielfalt kann in allen musikalischen Welten überzeugen. Euler versteht es, in den sehr variantenreichen Neuvertonungen meist als profunder Bariton und nicht als ätherisch-schwebender Countertenor britischer Schule daherzukommen. Von seinem coolen Piano- und Violinspiel („Sweet, stay awhile“) ganz zu schweigen. Tja, wer hat, der hat, und wer kann, der kann.

Da fällt es wirklich schwer, aus den samt und sonders jeweils anders, aber immer gelungen gesungenen Doppelseptetten einzelne herauszustellen. Vielleicht den todessehnsüchtigen und darin durchaus schaurigen Song „In darkness let me dwell“, der in beiden Versionen eine so farbige Finsternis entfaltet, dass es paradoxerweise eine Freude ist? Auf jeden Fall soll aber die Mitte der aufregenden Hörstunde erwähnt werden: Das instrumentale Solostück „Mr. Dowland’s Midnight“, das sowohl Ulrich Wedemeyer an der Renaissance-Laute wie auch Till Spohr (E-Bass) eindringlich nahebringen, bevor dann Eulers variable Vokalfarben wieder das Zepter schwingen. Auf weitere Beyond-Experimente dürfen wir gespannt sein!


 

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