Den Inspirierten vertrauen

Der Auftrag der Kirche in der digital fortschreitenden Mediengesellschaft
Kirchenzeitungen am Stand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) bei der Synodaltagung der EKD in Magdeburg, November 2022.
Foto: epd
Kirchenzeitungen am Stand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) bei der Synodaltagung der EKD in Magdeburg, November 2022.

Gutgemeinte Informationsvermittlung der Institution Kirche reicht in der digital fortgeschrittenen Gesellschaft schon lange nicht mehr, sondern ist lediglich die Basis ordentlicher Öffentlichkeitsarbeit. Sie braucht dagegen mehr denn je echte Kommunikation mit den Menschen – zum Beispiel durch die vielfältigen Formen evangelischer Publizistik, meint Michael Strauß, Leiter des Referates für Kommunikation und Medien der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig.

Die Kirche ist ihrem Wesen nach Kommunikation. Sie realisiert die Kommunikation des Evangeliums und so nichts weniger als die Kommunikation Gottes mit den Menschen. In aller weltlichen Vorläufigkeit und im Vertrauen darauf, dass Gott selbst sich in ihrer Kommunikation ereignet. Durch Verkündigung und Seelsorge und die praktische helfende Zuwendung zum Nächsten. Aber genauso, indem die Kirche vernehmbar, und folglich medial, dem christlichen Glauben eine Stimme in der Öffentlichkeit gibt. Dabei waren ihre Wesensäußerungen noch nie klar voneinander zu trennen. Schon immer bildeten sie im Innersten ein komplexes Kommunikationsgeschehen.

Die Kirche bewegt sich im Kontext einer digital fortgeschrittenen Mediengesellschaft. Sie kommuniziert, selbst wenn sie meint, nicht zu kommunizieren. Die Frage lautet lediglich: Ist sie sich dieser Tatsache bewusst? Und wenn ja, welche Folgen zieht sie daraus? Keinesfalls kann sie ihre mediale Kommunikation noch als ein Handlungsfeld neben anderen betrachten. Als Aufgabe eines einzelnen Fachreferates etwa, das unabhängig von anderen Stellen und Gremien und stellvertretend für diese mediale Kommunikation realisiert.

Auf der Leitungsebene

Angesichts des gesellschaftlichen Wandels ist die mediale Kommunikation jedes Unternehmens und jeder Einrichtung integraler Bestandteil strategischer Leitung. Sie muss deshalb auf der Leitungsebene implementiert und vernetzt sein. Nur dann können Leitungsentscheidungen kommunikationsstrategisch mitbedacht werden. Nur dann können organisatorische Veränderungsprozesse ausreichend kommunikativ flankiert werden. Nur so entsteht auf der Leitungsebene ein Bewusstsein dafür, dass das eigene organisatorische Handeln stets öffentlich plausibilisiert werden muss – nicht nur juristisch, sondern – besonders bei der Kirche – vor allem auch moralisch.

Die Kirche ist Dienerin der Kommunikation Gottes, nicht Lobbyistin in eigener Sache. So, wie Gott sich selbst entäußert hat und Menschen geworden ist, entäußert sich die Kirche ihrer institutionellen Gestalt zugunsten der Menschen, an die sie kommunikativ verwiesen ist. So ist sie „Kirche für andere“ (Dietrich Bonhoeffer) und nicht Kirche für sich selbst.

Eine solche Kirche realisiert ihre mediale Kommunikation nicht als Werbung für ihre institutionelle Gestalt. Vielmehr lässt sie sich von der Frage leiten, was aus der Perspektive des Evangeliums zur jeweiligen Zeit zu sagen ist. Auch wenn die Schwerkraft ihrer institutionellen Selbstrepräsentation immer wieder zu überwinden ist, hat sie stets nach Formen und Verfahren gesucht, das Reich Gottes in dieser Welt zum Vorschein zu bringen.

Mit Blick auf ihre mediale Kommunikation lautet das Konzept dafür: Evangelische Publizistik. Es ist davon geprägt, dass die evangelische Kirche publizistische Einrichtungen bildet und publizistisch qualifizierte Personen gewinnt, um jenseits von kirchlichen Verwaltungen und Leitungsorganen ihren Auftrag zur medialen Kommunikation zu verwirklichen. Sie gewährt Einrichtungen und Personen die Freiheit, aus eigener Urteilsfähigkeit die Stimme des christlichen Glaubens in der allgemeinen Medienöffentlichkeit vernehmbar werden zu lassen. Bis hin zur Kritik an der eigenen Institution. In der Erwartung, dass diese Freiheit mit Loyalität zur Kirche und fachlicher Expertise entgolten wird. So vollzieht sich die Selbstentäußerung der verfassten Kirche in ihrer evangelischen Publizistik.

Eine Entwicklung, die in den Jahrzehnten nach 1945 von besonderer Bedeutung wurde. Zum einen schlug sich darin die Erkenntnis nieder, dass die evangelische Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung kaum gerecht geworden war. Zum anderen dynamisierten die gesellschaftlichen Aufbruchsprozesse der 1960er-Jahre die theologischen und kommunikationswissenschaftlichen Debatten.

So war es kein Zufall, dass drei Bewegungen für das Bild des Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland prägend wurden. Alle drei zielten auf eine stärkere gesellschaftliche Mitverantwortung der Kirche und deren öffentliche Mitsprache. Neben dem Deutschen Evangelischen Kirchentag waren das die Evangelischen Akademien und – nicht zuletzt – die Evangelische Publizistik. Vor allem in Form ihrer zahlreichen und anfangs noch auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften: von den Kirchengebietszeitungen über das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt bis zu den kulturprotestantischen Monatszeitschriften Evangelische Kommentare oder Lutherische Monatshefte, zwei der vier Vorgängerpublikationen von zeitzeichen.

Kritik als Markenkern

Sie alle waren keine Kanzeln oder verlängerte Arme der Kirchenleitungen, sondern weitgehend eigenverantwortliche Akteure. Und nicht zuletzt deshalb mit Vertrauen seitens ihrer Leserschaft ausgestattet. Denn für diese realisierte sich die Kirche hier nicht als PR-Agentur in eigener Sache, sondern als journalistische Einrichtung, der man eine kritische Distanz sogar gegenüber dem eigenen Auftraggeber zutraute. Und auch wenn diese kritische Distanz von Vertretern der verfassten Kirche immer wieder argwöhnisch beäugt wurde, erwies sie sich als Markenkern und Qualitätsmerkmal einer medial kommunizierenden Kirche auf der Höhe der Zeit. Auch wirtschaftlich gab dieser Erfolg dem Konzept lange recht. Einen Teil ihres Selbstbewusstseins konnte die Evangelische Publizistik aus der Tatsache ziehen, dass ihre Titel nicht nur subventioniert und kostenlos verbreitet, sondern im Abonnement verbreitet wurden.

Genereller Akzeptanzverlust

Das allerdings änderte sich spätestens seit den 1980er- und vollends seit den 1990er-Jahren. Die Evangelische Publizistik in Form ihrer Printpublikationen verlor zusehends an Auflage und damit an publizistischer Relevanz. Die Gründe dafür waren vielfältig und keinesfalls nur bei den Akteuren selber zu suchen. Die Evangelische Publizistik hatte Anteil an einem generellen Akzeptanzverlust der Printpublizistik, der wiederum den Transformationen einer digital fortschreitenden Mediengesellschaft geschuldet war. Mit einer forcierten Online-Kommunikation und der Verbreitung von Internet und Social Media veränderte sich das Medienverhalten breiter gesellschaftlicher Kreise. Hinzu tritt eine wachsende Entfremdung vieler Menschen von den kirchlichen Institutionen mit der Folge, dass sie auch deren Kommunikation weniger Bedeutung beimessen. Zumindest in Form eines bezahlten Abonnements. Darüber hinaus zersplitterte sich das Medienpublikum zunehmend in nahezu unüberschaubare einzelne Zielgruppen, so dass es für die Evangelische Publizistik schwer geworden ist, dieser dynamischen Segmentierung mit eigenen Angeboten zu entsprechen.

Die digital fortgeschrittene Mediengesellschaft hat viele Gewissheiten der Evangelischen Publizistik zunichte gemacht. Konzeptionelle Zuordnungen, die in der Vergangenheit Orientierung gegeben haben, sind fragwürdig geworden. Die Auflagen vieler Publikationen sind auf historische Tiefstände gefallen, und die Reichweiten neuer digitaler Angebote müssen mit langem Atem errungen werden (vergleiche zz 2/2021,zz 4/2021 und zz 9/2022). Auch die Evangelische Publizistik kämpft mit Abschieden von liebgewordenen Traditionen. Sie erinnert sich ihrer Verdienste und weiß zugleich, dass das nicht reicht. Gefragt sind neue Ideen und die Kraft, ihnen eine Chance zu geben. Gleichzeitig aber birgt die Tradition Erkenntnisse, die auch weiter Orientierung bieten können.

Endgültig vorbei sind die Zeiten, als die Kirche meinte, mit gut gemeinten Informationen könnten Menschen, Mitglieder wie Nichtmitglieder, von ihren Zielen und der Güte ihrer Arbeit überzeugt werden. Solche Informationen gehören zur Basis kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit, sie reichen aber bei weitem nicht mehr aus, um Menschen anzusprechen, inhaltlich zu überzeugen oder gar als Mitglieder zu binden. Keine noch so professionell gestaltete Informationskampagne dürfte dafür den Erfolg bieten. Denn der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht mehr nur um Information geht, sondern vor allem um Kommunikation, um die – möglichst unmittelbare und direkte – Mitsprache und Beteiligung mündiger Menschen, die Kundgebung nicht nur eigenen Wissens, sondern vor allem der eigenen Meinung. Unabhängig davon, wie stark diese wissensbasiert ist. Bis hin zur Möglichkeit, einen zivilisierten Diskurs mit Fake News, Verschwörungsmythen und Hassposts zu unterlaufen.

Die digital fortgeschrittene Mediengesellschaft durchbricht hierarchische Strukturen, nivelliert autoritative Ansprüche und pluralisiert den Dialog zwischen Einzelnen. Sie realisiert die Kommunikation der vielen, überlässt dem Schwarm das Ergebnis von Debatten und mutet jedem eine verschärfte Form von Selbstmächtigkeit zu. Wen was am Ende überzeugt, wer welche Entscheidung trifft und warum welcher Erfolg sich einstellt, ist vor diesem Hintergrund nur schwer vorherzusagen und verlässlich planbar. Auch wenn sich viele um diese Planbarkeit bemühen, weil sie die digital vernetzte Welt als Chance nutzen möchten: für politische Prozesse ebenso wie für die Umsetzung von Wirtschaftsinteressen, für kulturelle Aktivitäten ebenso wie für wissenschaftliche Projekte, gesellschaftliche Innovation und weltanschauliche Diskurse gleichermaßen.

Deutungshoheit verloren

Das gelingt am ehesten mit Blick auf die „Selbstbestätigungsmilieus“ (Bernhard Pörksen), die sich in von Algorithmen erzeugten Filterblasen vergemeinschaften. Sie allerdings stehen in der Gefahr, dass sie sich lediglich in ihren eigenen Urteilen und Vorurteilen bestärken. Bis dahin, dass sie sich gegen anderslautende Informationen und Meinungen hermetisch abschotten und sogar militante Aversionen pflegen. So entwickelt sich eine neue Öffentlichkeit mit neuen Formen und Möglichkeiten, aber auch Problemen und Risiken sozialer Interaktion.

Eine Kirche, die sich auf diese Kommunikationswirklichkeit einlässt, verliert ihre autoritative Deutungshoheit. Sie ist ein medialer Akteur unter vielen anderen. Sie muss darauf vertrauen, dass ihre Inhalte und vor allem die Personen, die ihre Inhalte kommunizieren, aus sich heraus glaubwürdig und überzeugend erscheinen. Eine vorauslaufende Autorität kann sie nicht mehr geltend machen. Zumal die kirchlichen Institutionen kaum noch ein positives Ansehen in der Öffentlichkeit genießen. Neben einem Entfremdungsprozess, der bei vielen Menschen zur Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche geführt hat, haben Skandale zusätzlich für Enttäuschung, Ablehnung und Kirchenaustritte gesorgt.

Deswegen wäre es eine kühne Hoffnung, die verfasste Kirche selber könnte ihrem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust ausreichend entgegenwirken. Sie braucht vielmehr die vielen, die aus eigener innerer Überzeugung dem christlichen Glauben und dem christlichen Ethos eine vernehmbare Stimme geben. Diese Inspirierten zu beschäftigen, zu begleiten und zu fördern, dürfte eine der entscheidenden Aufgaben der Kirche in der digital fortgeschrittenen Mediengesellschaft sein.

Die Kirche kann sich dabei an das Konzept der Evangelischen Publizistik erinnern, ihr Leitbild aus den Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs in der frühen Bundesrepublik. Als inspirierte Publizisten mit journalistischem Selbstverständnis und mithilfe journalistischer Produkte und Verfahren der Botschaft der Kirche mediale Aufmerksamkeit verschafften. Sie waren weder Apologeten noch Lobbyisten, weder Marketing- noch PR-Manager. Stattdessen ging es ihnen um die präzise Information, die stichhaltige Recherche, den wahrheitsgemäßen Bericht, die wirklichkeitsgetreue Reportage, den urteilsfähigen Kommentar. Sie standen ein mit ihrer Person und Professionalität für den Inhalt, den sie kommunizierten, und erwarben gerade so Glaubwürdigkeit für beide: Person und Inhalt. Die Kirche hat davon reichhaltig profitiert.

Manche Medienexperten hegen die Hoffnung, die Qualitätsmaßstäbe des professionellen Journalismus könnten auf möglichst viele Beteiligte im medialen Geschehen übertragen werden. Mag das auch die „Utopie einer redaktionellen Gesellschaft“ (Bernhard Pörksen) sein, der Gedanke zeigt, dass die digital fortgeschrittene Mediengesellschaft vor allem durch das Handeln und die Überzeugungskraft von Personen und weniger von Institutionen und ihrem Machtanspruch geprägt wird. Vor diesem Hintergrund gewinnt die institutionelle Selbstentäußerung der Kirche in ihrer Publizistik erneut Plausibilität.

Nicht für sich selbst

Entscheidend bleibt, dass die Kirche ihre mediale Kommunikation nicht als ein organisatorisches Arbeitsfeld neben anderen versteht, sondern als integralen Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Die Kirche ist in einer digital fortgeschrittenen Mediengesellschaft mediale Kirche, oder sie verfehlt ihren Auftrag. Sie ist mediale Kirche nicht für sich selbst, sondern – aus Verantwortung für die Welt – für andere. Die Kirche ist Medium des Evangeliums. Sie vertraut inspirierten und medial qualifizierten Menschen, der Stimme des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und so auch ihr selbst den Dienst zu erweisen, den die Kirche der Welt schuldig ist. Auf diesem Weg kann aus der Glaubwürdigkeit ihrer Kommunikatoren eine glaubwürdige Kirche erwachsen, aus Communicatio Communio entstehen, Gemeinschaft von Menschen untereinander und mit Gott. Eine eschatologische Hoffnung, gewiss, aber anderes ist der Kirche nicht verheißen.

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Foto: Jens Schulze

Michael Strauß

Michael Strauß ist Leiter des Referates für Kommunikation und Medien der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig.


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