Großzügiger Geist

Klartext
Foto: privat

Die Predigthilfe dieses Monats kommt von Traugott Schächtele. Er ist Prälat i.R. in Freiburg.

Klartext reden

Sonntag Rogate, 14. Mai

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und  Ehrbarkeit. (1. Timotheus 2,1–2)

Die Beziehung zwischen dem Staat und den Kirchen ist immer von Interessen bestimmt. Von beiden Seiten. Und nicht erst heute. Die Fürbitte für die „Obrigkeit“ beschreibt in diesem Zusammenhang ein Reizthema. Gerade der Ukraine-Krieg führt das vor Augen. Da betet Kyrill, der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau, öffentlich für Wladimir Putin und dessen Kriegsziele. Die Opfer des Krieges finden in seinen Gebeten dagegen keinen Raum. Und so ist er bei den politischen Größen seines Landes wohlgelitten.

Das Gebet für die Obrigkeit ist schon im ersten Jahrhundert ein Thema in der Gemeinde eines theologisch versierten Briefschreibers, der sich in der Tradition des Apostels Paulus sieht. Und auch hier wird die Absicht klar benannt: Die Angehörigen seiner Gemeinde sollen ein „ruhiges und stilles Leben führen“ können. Schließlich konnten sich die ersten Christinnen und Christen nicht sicher sein, sondern mussten jederzeit mit Verfolgungen durch die Obrigkeit rechnen. So konnte es nicht schaden, den Herrschenden vorsorglich Loyalität zu bekunden.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Vermutlich sollten wir Mitmenschen, die politische Verantwortung tragen, eher mehr ins Gebet nehmen, als wir es persönlich und in unseren Gottesdiensten tun. Aber sie stehen uns – zumindest in unseren Breiten – nicht als Obrigkeit gegenüber, die wir zu fürchten hätten. Denn Macht ist ihnen – nur auf Zeit – vom Volk zugestanden. Und sie sind darauf angewiesen, dass Gott ihre Vorhaben gelingen lässt.

Wo immer in der Welt Christenmenschen ihre Loyalität gegenüber Machthabern zum Ausdruck bringen, damit sie in Ruhe gelassen werden, sagt das vor allem etwas über den unrechtmäßig ausgeübten Machtanspruch herrschender Cliquen aus. Will man sie ernstlich ins Gebet nehmen, müsste man zugleich vor Gott ihr Gebaren zur Sprache bringen – und gegebenenfalls das eigene Leben riskieren. Paulus hätte seinen Schüler womöglich darin unterstützt, für „Könige und für alle Obrigkeit“ zu beten. Aber im Wissen, dass wir Gott mehr zu gehorchen haben als den Menschen.

 

Widersprechen

Exaudi, 21. Mai

Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. (1. Samuel 3,1)

Eigentlich scheint alles in Ordnung zu sein. Die Religion spielt ihre allseits geachtete Rolle, und ihre kundigen Vertreter sind hochangesehen. Und für theologischen Nachwuchs ist gesorgt. Doch hier wird nicht die Gegenwart beschrieben, sondern die Zeit vor 3 000 Jahren. Das Heiligtum steht in Silo. Und der Hüter mit allen priesterlichen Befugnissen ist Eli. Der junge Samuel befindet sich bei ihm in der besten theologischen Nachwuchsschmiede, die man ihm wünschen kann. Doch das Zwischenfazit lässt aufhorchen. Kaum noch ergeht ein Wort des Herrn. Göttliche Offenbarung ist ein rares Gut geworden!

Macht sich da Gottlosigkeit breit? Von außen sind solche Urteile schnell gesprochen. Und es gibt heute nicht wenige selbsternannte Gegenwartsdeuter, die das auch bei uns beklagen. Sicher, manches wäre einfacher, ließe sich klarer identifizieren, was ich nach Gottes Willen tun soll. Dann bestünde das Problem nur in der mangelnden Umsetzung.

Manchmal möchte ich die allzu sicher Glaubenden fast beneiden. Aber ich fühle mich wohler im Kreis derer, die um „des Herrn Wort“ ringen – und es manchmal dann auch finden. Und nicht selten dort, wo ich gar nicht damit gerechnet hätte. Und mit einer Botschaft, die mir eher als Zumutung erscheint denn als Bestätigung dessen, was ich ohnedies schon weiß. Was für eine Offenbarung, wenn mich plötzlich in meinem Ringen eine Ahnung davon befällt, wie Gott diese Welt gemeint hat. Plötzlich fällt es mir dann wie Schuppen von den Augen. Wir haben doch längst ein Wort des Herrn, das wir ins Leben zu ziehen versuchen: Wenn wir zum Beispiel dort Widerspruch einlegen, wo Menschen ihrer Würde beraubt werden. Wenn wir nicht verächtlich über die jungen Leute reden, denen die Zukunft der Erde so sehr unter den Nägeln brennt, dass sie zum Störfaktor und Sand im Getriebe des Immer-Weiter werden. Vielleicht sind ja sie die nachkommenden Geschwister des Propheten Samuel. Und haben für uns womöglich auch ein Wort des Herrn.

 

Erinnern

Pfingstsonntag, 28. Mai

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. (1. Korinther 2,12)

An Pfingsten kommen wir um den Heiligen Geist nicht herum. Das Problem besteht aber darin, dass wir uns zu oft damit zufriedengeben, dass es nur an Pfingsten um den Geist geht, er uns aber sonst in Ruhe lassen möge.

Dabei macht Paulus klar: Grundsätzlich leben wir mitnichten geistlos. Aber es gibt eben nicht nur den einen Geist. Paulus reduziert die Alternativen auf eine einzige. Er unterscheidet den Geist der Welt und den Geist aus Gott. In Wahrheit liegen beide oft nah beieinander und scheinen so ähnlich zu sein, dass sie kaum voneinander zu trennen sind. Paulus liefert darum eine Faustregel: Der Geist aus Gott ist derjenige, der uns erkennen lässt, was wir Gott zu verdanken haben. Und unausgesprochen ließe sich folgern: Der Geist der Welt wäre dann derjenige, der auf meine Möglichkeiten baut.

Die Erfahrung lehrt mich, dass ich nicht umhinkomme, im Leben auf beide Geistvarianten zu setzen. Ich engagiere mich, als hinge alles von meinem Einsatz ab, und vertraue zugleich darauf, dass Gott diese Welt nicht aus der Hand gibt. Wie Gottes Geist sich dadurch auszeichnet, dass er mir geschenkt wird, so ist der Geist der Welt auf meine Eigeninitiative angewiesen. Während Gottes Geist eine Großzügigkeit zu eigen ist, die keine Stellen hinter dem Komma kennt, übt sich der Geist der Welt im Addieren und Vergleichen von Zahlenkolonnen.

Deshalb führt Pfingsten eher ein Mauerblümchendasein – im Kirchenjahr und in unseren Köpfen. Und genau deshalb wird die Zukunft der Religion in unserer Gesellschaft nicht zuletzt davon abhängen, ob wir uns mehr auf den Geist der Pfingsten einlassen. Denn das Wesentliche im Leben widerfährt uns als Geschenk. An diese Weisheit möchte ich erinnern – nicht nur an Pfingsten, sondern gerade dann, wenn anscheinend alles nur noch vom Geist der Welt abzuhängen scheint.

 

Spüren

Trinitatis, 4. Juni

Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! (Jesaja 6,8)

Gott fragt und Jesaja antwortet. Natürlich mit einem klaren Ja. Kaum ein Menschenleben kommt ohne öffentlich zelebrierte Beauftragungen aus. Sie gehören zur Grundstruktur von Institutionen. Die Kirche bedient sich ihrer bei Trauung und Konfirmation und bei Amtseinführungen. Und auch Bundeskanzler und Ministerinnen beginnen ihr Amt mit einem öffentlichen Ja, einer Art religiöser Handlung auch dann, wenn das Ja ohne den Zusatz „mit Gottes Hilfe“ daherkommt.

Jesaja vermag Botschaften im Auftrag Gottes nur weitersagen, weil er sich in sein Amt berufen weiß. Dabei ist seinem Ja, das so selbstverständlich und ohne Zögern daherkommt, die Vorgeschichte nicht abzuspüren. Der Tempel ist erfüllt von der Gegenwart Gottes, sodass für Jesaja nichts anderes übrigbleibt, als nichtig zu spüren: „Weh mir, ich vergehe“ (Jesaja 6,5).

Der Berufungsakt ist dann nur der zweite Teil eines Doppelrituals. Zuerst wird mit dem glühenden Stück Kohle die Selbst-in-Frage-Stellung in die Gewissheit bleibender Bedeutsamkeit bei Gott verwandelt. Das eigene Zögern, das skrupulöse Ringen um die Rechtmäßigkeit des eigenen Tuns verwandelt sich in ein aus Demut gespeistes Bewusstsein der eigenen Würdigkeit, die anstehende Aufgabe zu übernehmen. Manchmal wünsche ich, dass der Seraph mit dem glühenden Stück Kohle am Eingang all jener Orte stünde, an denen Menschen in Gefahr stehen, sich mit ihrem Ja zu übernehmen. Mehr noch, damit sie spüren, dass sie einen Weg vor sich haben, den andere ihnen zumuten wie zutrauen. Dann würde das „Sende mich!“ zu dem Bekenntnis, eine neue Aufgabe mit großem Einsatz, aber auch „mit Gottes Hilfe“ zu übernehmen. An Trinitatis besteht die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass Gott sich durch seine „Ent-Faltung“ auf einen Weg der Souveränität durch Verletzlichkeit begeben hat. Vor allem in der Menschwerdung.

 

Bedenken

1. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juni

Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt,  den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass  der auch seinen Bruder liebe. (1. Johannes 4,20–21)

Wir alle leben in einer Blase, Englisch: Bubble, ja meist in mehreren zugleich. Und die eine hat mit der anderen oft nur wenig zu tun. Der Briefschreiber Johannes, dieser uns unbekannte Poet, der das Wort Liebe beinahe inflationär verwendet, legt energisch Widerspruch ein. Ich kann mich nicht in der einen Bubble als fromm in den Vordergrund spielen und meine Liebe zu Gott thematisieren und in der anderen als Menschenverächter die Maske fallen lassen.

Ich las über einen KZ-Schergen, er habe beim Frühstück mit der Familie die Herrnhuter Losungen gelesen, um danach seinem teuflischen Werk nachzugehen – ohne den inneren Widerspruch wahrzunehmen. Gegen so eine falsche Unterscheidung eines frommen Lebensraums von einem, in dem sich mein Alltag abspielt, legt Johannes energisch Widerspruch ein. Meine Sonntagsbubble wird zur Lüge, wenn die Werktagsbubble ihr nicht entspricht. Anders ausgedrückt: Meine Liebe zu Gott ist kein Akt, der unabhängig von meinem Verhältnis zu den Mitmenschen auch nur zu denken ist. Indem ich meine Schwestern und Brüder liebe, verwirklicht sich meine Gottesliebe. Die Werktagsbubble konstituiert meine Sonntagsbubble. Und erweist sie als wahr. Ober eben auch nicht.

Mein Umgang mit denen, die gemeinsam mit mir diese Erde bewohnen, in der Nähe oder Ferne, ist nichts anderes als ein Glaubensbekenntnis im Lebensvollzug. Deshalb ist der Gottesglaube für mich nicht anders zu denken als in geschwisterlicher Gemeinschaft. 

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