Ermöglichungsräume schaffen

In ihrer Dissertation untersucht Saskia Eisenhardt das Theologisieren mit religionsfernen Jugendlichen
Saskia Eisenhardt
Foto: lichtartistin.de

Theologie zu treiben sollte nicht von einer formal theologischen Bildung abhängig gemacht werden. Aber wie steht es um religionsferne Jugendliche? Können sie theologisieren? Ob und wie, diesen Fragen geht Saskia Eisenhardt (33) aus Kiel in ihrer Dissertation nach.

Ganz klar wollte ich Lehrerin werden, Religion und Englisch. Ich stamme aus Mecklenburg-Vorpommern, bin dort konfessionslos aufgewachsen und hatte während meiner Schulzeit einen interessanten Religionsunterricht. Nachdem ich mich für Kiel als Studienort entschieden hatte, musste ich mich erst einmal taufen lassen, um später überhaupt an einer Schule unterrichten zu können. Aus der Erfahrung, dass man auch jenseits einer religiösen Sozialisation oder verfassten Kirchlichkeit Theologie treiben kann, entstand dann das Interesse für mein Promotionsthema.

Auf eine Stellenausschreibung zum Theologisieren mit Jugendlichen habe ich mich nach dem Masterabschluss beworben. In dieser Stelle startete ich auch meine Promotion am Institut für Praktische Theologie bei meiner Doktormutter Uta Pohl-Patalong und präzisierte die Forschungsfrage, wie religionsferne Jugendliche im Religionsunterricht theologisieren.

Das Theologisieren ist ein Ansatz, der mittlerweile breit im Religionsunterricht rezipiert wird. Dieser zeichnet sich heute durch eine sehr große Heterogenität aus. Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionen und Konfessionen, aber auch viele religionsferne Menschen nehmen teil. Beim Theologisieren geht es ganz allgemein darum, dass man Jugendlichen zutraut, selbst Theologie zu betreiben, in Form einer Laientheologie oder Ordinary Theology.

Lange Zeit wurde das Theologietreiben in Anlehnung an Wilfried Härle als Reflexion des Glaubens angesehen. Konzeptionell hatte man dabei jedoch nicht bedacht, dass an den Schulen viele Jugendliche am Unterricht teilnehmen, bei denen eine christlich-religiöse Sozialisation nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Aber wenn Theologie als Reflexion des Glaubens verstanden wird, stellt sich die Frage, was mit denen ist, die keinen persönlichen Glauben haben.

Da klafft eine Diskrepanz zwischen dem theoretischen Ansatz und dem, was in der Praxis stattfindet. Wenn es in der Schule heterogener wird, nehmen die Versachlichungstendenzen des Religionsunterrichts zu. Das ist auch eine Reaktion der Lehrkräfte. Bevor sie sich einen Missionierungsvorwurf einhandeln, beschränken sie sich auf reine Informationsvermittlung. Aber dann wird der Religionsunterricht zu einer Religionskunde.

Im Religionsunterricht geht es aber nicht nur darum, sich Wissen anzueignen, sondern vor allem um die persönliche Reflexion und Urteilsbildung. Wenn die definitorischen Antworten allein nicht ausreichen, muss in die Praxis geschaut werden. Wie also theologisieren religionsferne Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht?

Aufgrund meiner eigenen Positionalität traue ich den Jugendlichen viel zu. Die Ergebnisse meiner Untersuchung haben mich allerdings selbst überrascht. Mein Ziel war es, ein vertieftes Verständnis dafür zu erreichen, was beim Theologisieren passiert, und Deutungsmuster aufzuzeigen. Mehr als dreißig Doppelstunden Religionsunterricht an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wurden videografiert und ausgewertet. Daraus habe ich ein heuristisches Theoriemodell mit verschiedenen Ebenen und Ausprägungen des Theologisierens entwickelt.

Ein zentrales Ergebnis ist, dass die Jugendlichen sich auf der einen Seite in ihrer persönlichen Haltung dezidiert von Religion und dem Glauben an Gott abgrenzen können, aber gleichzeitig in der Lage sind, Gott als grundlegendes Prinzip anzuerkennen, sich religiöser Sprache zu bedienen und religiöse Perspektiven einzunehmen. Ihr Theologisieren ereignet sich nicht im Vollzug religiöser Rede, sondern im Modus der Reflexion ebenjener. Wenn zum Beispiel ein Schüler sagt, er glaube nicht an Gott, aber im nächsten Atemzug erklärt, Gott sei ein Gefühl von Nähe und dass es etwas bewirke, wenn man glaubt, verwendet er dabei die gleichen Kategorien, die auch religiöse Jugendliche heranziehen, um ihre persönliche Gottesbeziehung zu beschreiben.

Ihnen muss im Unterricht aber auch entsprechend Gelegenheit dazu gegeben werden. Das Theologisieren ist in ein didaktisch-methodisches Setting einzubetten. Als Lehrkraft muss man gezielt Informationen vermitteln und allen Teilnehmenden mit Zutrauen begegnen, um einen ergebnisoffenen Dialog auf Augenhöhe zu gestalten. Durch kritisches Nachfragen und das Konfrontieren mit Fremdpositionen regt die Lehrkraft die Jugendlichen zum Entwickeln und Weiterentwickeln ihrer Gedanken an und lässt der Gruppe gleichzeitig genügend Raum, um miteinander zu interagieren. Gerade die religionsfernen Jugendlichen kommen ja nicht mit feststehenden Deutungen in das Theologisieren, sondern sie entwickeln diese erst in dem Prozess. Theologisieren muss also ein Ermöglichungsraum werden für die theologischen Deutungen.

Konzeptionell heißt das: Das Theologisieren ist möglich mit Menschen unterschiedlicher Religion und weltanschaulicher Prägung. Um sich auf einen theologischen Denkhorizont einzulassen, brauchen sie keine persönliche Glaubensüberzeugung. Das heißt aber auch, dass die Definitionen einer Laientheologie oder Ordinary Theology ausdifferenziert und für religionsferne Menschen geöffnet werden müssen. Denn die entscheidenden Gelingensbedingungen für das Theologisieren liegen eben nicht in den Personenvoraussetzungen der Teilnehmenden, sondern in den Prozessmerkmalen des Theologisierens selbst. Dies ist mittlerweile auch im Forschungsdiskurs zum Theologisieren Konsens. Religionspädagogisch bedeutet das, dass ein stärkerer Fokus auf eine heterogenitäts- und deutungsmachtsensible Religionspädagogik gelegt werden muss, um ein nicht-hierarchisierendes Denken und Handeln in letztlich allen religionspädagogischen Lernprozessen zu implementieren. Im Hinblick auf die religionsfernen Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, den Modus des Zutrauens in den Vordergrund zu stellen und wegzukommen von einer Defizitorientierung.

Wie theologisieren religionsferne Jugendliche? So lautete meine Leitfrage. Die kürzeste Antwort darauf lautet: Auch nicht viel anders als alle anderen – wenn sie entsprechend begleitet werden. 

 

Information

Saskia Eisenhardt: Als ob es Gott gäbe … Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022, 347 Seiten, Euro 49,–.

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Saskia Eisenhardt

Dr. Saskia Eisenhardt ist Leiterin reli:labor der Kieler Forschungswerkstatt am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Universität Kiel.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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