Acht Milliarden Chancen

Mehr Rechte für Frauen als Schlüssel zu einer besseren Welt
Still aus dem Video der UNFPA zum Weltbevölkerungsbericht
Foto: UNFPA/Youtube
Still aus dem Video des UNFPA zum Weltbevölkerungsbericht. Abrufbar unter https://youtu.be/yYvfaGHugQs

Die Weltbevölkerung wächst. Für die einen eine Folge besserer medizinischer Versorgung und gestiegener Lebensqualität, für die anderen ein Grund zur Sorge mit Blick auf Klimawandel und Ernährungssicherheit. Wer hat recht? Und wie sollte Politik darauf reagieren?  Der aktuelle Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen gibt darauf Antwort.

Seit November vergangenen Jahres leben über acht Milliarden Menschen auf der Welt.  Zu viele, rufen die einen und verweisen auf die begrenzten weltweiten Ressourcen, Pandemien und den Klimawandel, als Krisen, die durch immer mehr Menschen angeheizt würde. Sie fordern eine strengere Geburtenkontrolle, gerade im globalen Süden.  Diesem Narrativ tritt der aktuelle Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen entgegen. Sein programmatischer Titel: „Acht Milliarden Leben, unendliche Möglichkeiten: ein Plädoyer für Rechte und freie Entscheidungen.“ Er wurde jetzt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, die die deutsche Ausgabe verantwortet, vorgestellt.

Die Kernbotschaft lautet: Die Antworten auf die großen Herausforderungen lägen nicht in der politischen Kontrolle von Geburtenraten. „Die richtige Antwort auf Bevölkerungsfragen ist eine Politik, die die Rechte und Möglichkeiten von Frauen und Mädchen stärkt“, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze. „Wenn wir als Menschheit ein gutes Leben für acht Milliarden ermöglichen wollen, dann müssen Frauen und Mädchen weltweit gleiche Rechte bekommen.“ Stärke man sie, stärke man ganze Gesellschaften, das sei der Schlüssel für gute Entwicklung und entspreche nicht nur der vom Ministerium angestrebten „feministischen Entwicklungspolitik“, sondern auch ein „Gebot der Vernunft“.

Und dann nennt sie eine Zahl aus dem Bericht, die zeigt, dass noch viel zu tun ist, um dieses Ziel zu erreichen. Weltweit könnten 44 Prozent der Frauen in einer Partnerschaft nicht über Verhütung, Sexualität und ihre Gesundheitsversorgung entschieden. Die Zahl stammt aus einer Umfrage in 68 Ländern. In welchen Ländern genau die Frauen befragt wurden, steht leider nicht im Bericht. Michael Herrmann, Seniorberater beim Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), gab in der Presskonferenz den Hinweis, dass der Bogen von Ländern mit niedrigem Einkommen bis zur oberen Mittelklasse reiche. Auch er betonte, dass der Versuch, die demographische Zukunft zu beeinflussen „keine sinnvolle Strategie“ sei, sondern die politischen Ziele vor dem Hintergrund des demographischen Wandels formuliert werden müssten.

Völlig neue Ära

„Der weibliche Körper darf nicht politisch instrumentalisiert werden“, betonte auch Monica Besemera, die für die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung für das „Team Up“ in Uganda arbeitet.  Das Programm wird unterstützt vom BMZ und hilft jungen Menschen dort bei der Suche nach Ausbildung und Arbeit, damit sie gesund, selbstbestimmt und politisch aktiv leben können. „Das Wissen über den eigenen Körper ist eine Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben“, sagte Basemera und verwies auf die noch immer viel zu hohe Zahl von Teenagerschwangerschaften, die in Uganda meistens das Ende der Schulausbildung bedeute. Der Zugang zu Verhütungsmitteln sei aber nicht in allen Regionen gegeben und auch die Religionsgemeinschaften würden diesen Weg nicht immer unterstützen. Auch hier gelte es, die Frauen auf dem Weg zur Entscheidungsfreiheit zu unterstützen und den Männern zu verdeutlichen, dass gleichberechtigte Frauen keine Bedrohung seien, sondern gut für die gesamte Gesellschaft.

Doch es findet sich noch eine andere wichtige Aussage in dem Bericht: Noch nie in der Geschichte der Menschheit klafften die Wachstumsraten der Bevölkerungen verschiedener Länder und Weltregionen so weit auseinander. Der Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Durchschnittsalter sei so groß wie nie zuvor. „Wir leben in einer völlig neuen Ära, in der das Durchschnittsalter in Europa 42 Jahre beträgt, während die Menschen in Afrika südlich der Sahara durchschnittlich nicht einmal halb so alt sind. “ Doch auch eine alternde und schrumpfende Bevölkerungszahl, wie etwa in Europa (minus sieben Prozent bis 2050), sei kein Katastrophenszenarien, sondern ebenso wie geringere Sterblichkeit in den Ländern des Südens ein „Gütesiegel des demografischen Wandels, der fortschreitenden, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung“. Auch hier müssten die damit verbundenen Herausforderungen, etwa für das Gesundheits- und Rentensystem, durch Reformen dieser Systeme gelöst werden und nicht etwa durch politische Maßnahmen zur Erhöhung der Fertilitätsquoten.

Und was ist nun mit dem Argument, dass die „Überbevölkerung“ aus Umwelt- und Klimaschutzgründen gestoppt werden müsse? Hier beziehen UN und die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung  klar Position: „Das ‚Problem‘ der wachsenden Weltbevölkerung wird den Körpern verarmter Asiatinnen und Afrikanerinnen aus den Ländern südlich der Sahara angelastet, die am allerwenigsten zur globalen Umweltzerstörung und dem Klimawandel beitragen.“ Denn die Länder, mit den höchsten Fertilitätsraten hätten in der Regel die geringsten Pro-Kopf-Emissionen von Kohlendioxid. Und bis heute gebe es „kein einziges evidenzbasiertes Modell, mit dem sich die globale Umweltbelastung allein anhand von Bevölkerungszahlen berechnen oder vorhersagen lässt“.

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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