Kein Beige, mehr Glitzer!

Mit Mode gegen Sexismus und Altersdiskriminierung
Foto: Harald Oppitz

Jamie Lee Curtis hat jetzt den Oscar für ihre brillante Darstellung im Film "Everything Everywhere All at Once". Strahlend nahm sie den Preis in einer atemberaubenden, hautengen und goldglitzernden Robe von Dolce und Gabbana entgegen. Ich mag Jamie Lee Curtis, sie ist eine meiner Lieblingsschauspielerinnen. Mich hat gewundert, dass sie nicht schon längst einen Oscar bekommen hat. Dass sie ihn jetzt gewonnen hat und wie sie den Preis angenommen hat, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Jamie Lee Curtis ist 64 Jahre alt. Und sie trug ein auffälliges Kleid, das man mit Fug und Recht als „sexy“ bezeichnen kann. Ihre Wahl ist sicher nicht zufällig auf Dolce und Gabbana gefallen. Wer sonst schneidert solche extravaganten Roben! Dieses Kleid war eine Botschaft!

Mag sein, es kommt vielen Jüngeren so vor, als ob die „Babyboomer“ die Gewinner der Jetztzeit sind. Für die Frauen dieser Generation gilt das nicht. Schon ein Blick auf die Zahl der Professorinnen meines Alters an deutschen Universitäten spricht Bände. Kein Wunder! Ich musste mir als junge Studentin anhören, dass es sich nicht lohnt, Frauen als Assistentin einzustellen. „Die werden nur schwanger und man hat nichts von seiner Mühe,“ hat mir ein bekannter Ordinarius für Systematische Theologie damals erläutert. Er stand mit  dieser Haltung nicht alleine da. Ich gratuliere allen heutigen Professorinnen meiner Altersklasse, die sich von solchen Typen und Meinungen nicht haben einschüchtern lassen!

Bitte kein Dekolleté

Kaum, dass sich das mit dem Kinderkriegen für uns Babyboomerinnen erledigt hat, dürfen wir Frauen dieses Alters unsere Umgebung bitteschön nicht mit unserer Leiblichkeit belästigen. Wenn ich auf meinem Smartphone die Google-Nachrichten-Seite anwerfe, bekomme ich jedes (!) Mal Artikel vorgeschlagen, die mich darüber informieren, was man als Frau über 50 noch tragen darf und was auf keinen Fall. Man erklärt mir, dass ich meine Haare kurz tragen solle, was aber keinesfalls für meine Rocklänge gelte. Bitte auch kein Dekolleté („Sie wollen doch eine Dame sein!“). Farblich empfiehlt sich dezentes Beige. Glitzer geht gar nicht.

Zu Frauen meines Alters passt offenbar keine erotische Ausstrahlung mehr. Allein die Vorstellung, dass der Brustansatz sichtbar sein könnte, wirkt eklig. Jenseits der Fruchtbarkeitsgrenze sollen Frauen die Gesellschaft mit ihren Körpern verschonen. Bodypositivity gilt nicht für Frauen nach den Wechseljahren. Selbstverständlich trifft das auf männliche Babyboomer nicht zu. Kein Mensch käme auf die Idee, George Clooney erotische Attraktivität abzusprechen oder ihm beige Tarnkleidung zu empfehlen, geschweige denn ihm das Alter seiner Ehefrau vorzuwerfen. Klar, dass ein Kerl wie er eine jüngere Partnerin braucht! Wenn Madonna dagegen im aufreizenden Outfit auftritt oder ihren Boyfriend wechselt, wird sofort hämisch über Schönheitsoperationen spekuliert und auf das Alter ihrer Männer hingewiesen. Eine Babyboomerin hat gefälligst ihre Sexualität an der Garderobe abzugeben. Alles andere ist peinlich! (Glücklicherweise ist es Madonna schon immer egal gewesen, was andere peinlich finden).

Keine Petitesse

Das alles ist mehr als eine Petitesse. Das ist eine strukturelle Ungerechtigkeit! Sexismus gepaart mit Altersdiskriminierung. Frauen werden bevormundet und entwürdigt. „Man wird als Frau im Fernsehen ab einem gewissen Alter einfach aussortiert. Das ist eine Tatsache,“ erklärt die Autorin Amelie Fried in einem aktuellen Beitrag. Mit Günther Jauch startete sie Mitte der 1980er Jahre als junges Moderatorentalent. Günther Jauch ist noch gut im Geschäft. Sie nicht. Helen Mirren hat einmal amüsiert festgestellt, dass ihr nach ihrem vierzigsten Lebensjahr plötzlich mehrere Rollen als Hexe angeboten wurden, keine einzige jedoch als erotische Verführerin. So richtig amüsant finde ich das nicht. „Ich bin damit versöhnt,“ meint Amelie Fried. Ich mag mich keinesfalls versöhnen. Auch im Interesse aller Frauen. Denn wenn jüngere Frauen meinen, dass das Problem nur Babyboomerinnen betrifft, dann blüht ihnen spätestens ab dem 50. Lebensjahr eine böse Überraschung. Strukturelle Ungerechtigkeiten haben sich noch nie von selbst erledigt.

Allein mit ihrem Outfit und ihrem strahlenden Lächeln ist Jamie Lee Curtis ein Protest gegen eine frauenfeindliche Haltung gelungen, die nach wie vor unsere Gesellschaft bestimmt. Ich feiere sie dafür. Und ziehe weiterhin das an, was mir gefällt! Meine Haare bleiben lang!

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"