Galantes Leiden

„Lazarus“ von Bachs Jüngstem

Wir gehen auf den Höhepunkt der Passionszeit zu: Am ersten Sonntag dieses Monats beginnt die Karwoche. Landauf, landab erklingen bereits die großen Passionen Johann Sebastian Bachs – endlich wieder nach der langen Zeit des Corona-Schweigens. Das ist gut so, keine Frage. Aber es ist auch kein Geheimnis, dass vielen Menschen das Ereignis der (blutigen) Passion Jesu nur schwerlich Trost schenkt. Dieses Skandalon (1. Korinther 1,18) ist für viele heute nur noch durch die Passionsmusiken Bachs erträglich und zugänglich – also im Sinne der epochemachenden Deutung von Hans Blumenberg, die Thomas Erne vor sechs Jahren in zeitzeichen aufschloss. Aber es bestand auch schon bald nach der Epoche Johann Sebastian Bachs und teilweise schon zu seiner Zeit das Bedürfnis, nicht mehr uneingeschränkt die Sühnopfer-Christologie zu feiern, der Rudolf Bultmann dann später in seinem berühmten Entmythologisierungsaufsatz („Erledigt sind …“) den Abschied meinte geben zu müssen.

Wie auch immer: Eine sehr hörenswerte (und deutlich kürzere) Alternative zu den erhabenen Passionen Bachs bietet nun ein Werk des jüngsten Sohnes des großen Thomaskantors, nämlich von Johann Christoph Friedrich Bach (1735–1795), der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mit Johann Gottfried Herder, dem Kulturphilosophen der Weimarer Klassik, zusammenwirkte. Herder schrieb auf Bitten der Gräfin Maria Barbara Eleonore, deren Zwillingsbruder 1772 im Alter von 27 Jahren plötzlich verstorben war, eine Dichtung über die Auferweckung des Lazarus aus dem Johannesevangelium, die er selbst eine „geistliche Galanterie“ nannte. Der Text geht im Detail auf Vorkommnisse am Bückeburger Hof und auf Äußerungen der Gräfin im Zusammenhang mit dem tragischen Tod ein und enthält zwei große Szenen: Die große Klageszene von Maria (Alt) mit Martha (Sopran), den Schwestern des Lazarus am Grabe ihres Bruders und dann die Auferstehungsszene, in der Jesus (Bass) hinzutritt. Als dritter, abschließender Teil wechseln dann Chöre und Choräle ab, die die Auferstehungshoffnung besingen („Auferstehung Gottes, du wirst sein!“).

Das Ganze hat der Bückeburger in galante Musik gekleidet, die wunderbare Wirkung entfaltet. Ein großes Kompliment an die Solistinnen und Solisten, den 12-köpfigen Chor und das Orchester unter Andreas Mitschke. Sie alle erreichen in einer Live-Aufnahme (!) ein wirklich überzeugendes Niveau und präsentieren die Klangschönheit des jüngsten Bachsohns mit Herders gekonnten Galanterien so überzeugend, dass der Zuhörer entzückt und, ja, getröstet wird. Eine weitere Ehrenrettung der lange verkannten Musik dieser Epoche des empfindsamen Stils, die absolut zum Hören in dieser und den kommenden Passionszeiten empfohlen sei!

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Rezensionen