Ein versteckter Theologe aus Nordafrika

Ellen Rehder promoviert über Facundus von Hermiane, einen mutigen Bischof im 6. Jahrhundert
Ellen Rehder
Foto: Studioart

Während man über den großen spätantiken Theologen Augustinus auch wegen seiner berühmten autobiografischen „Confessiones“ relativ viel weiß, ist über den nordafrikanischen Theologen und Bischof Facundus von Hermiane nur wenig bekannt. Das will die Kieler Theologin Ellen Rehder ändern.

In meiner Dissertation befasse ich mich mit einem Menschen, über den nur sehr wenig bekannt ist. Er lebte in einer Stadt, die heute unbekannt ist und nur annäherungsweise lokalisiert werden kann. „Die Begründung kirchlicher Autorität bei Facundus von Hermiane. Nordafrikanische Theologie im Drei-Kapitel-Streit“, so lautet der Titel meiner Dissertation.

Facundus war ein Bischof im 6. Jahrhundert in Nordafrika. Sein Bischofssitz Hermiane, von dem es keine Grabungsstätte gibt, lag wohl in der Grenzregion des heutigen Libyen und südlichen Tunesien. Es ist wahrscheinlich, dass er im nordafrikanischen Reich der Vandalen aufgewachsen ist. Die Vandalen waren ein germanischer Stamm, der im Zuge der sogenannten Völkerwanderung Teile der nordafrikanischen Provinzen des Römischen Reiches erobert hatte. Sie konnten dort ein paar Jahrzehnte lang ein Königreich errichten, ehe diese Gebiete wieder vom oströmisch-byzantinischen Reich erobert wurden. Augustinus, einer der großen Theologen der Spätantike und Bischof von Hippo, war während der Eroberung Nordafrikas durch die Vandalen etwa hundert Jahre zuvor gestorben.

Während wir über Augustinus auch wegen seiner berühmten autobiografischen „Confessiones“ viel wissen, ist über den nordafrikanischen Theologen und Bischof Facundus nur wenig bekannt. Immerhin ist sein in Latein verfasstes Hauptwerk „Pro defensione trium capitulorum“ überliefert. Es ist in heutigen Ausgaben ein paar Hundert Seiten stark und zeugt von einer tiefen klassischen römischen Bildung. Facundus war ein führender Kopf des nordafrikanischen Christentums in den etwa hundert Jahren zwischen dem Ende der Vandalenherrschaft und der Eroberung dieser Region durch muslimische Truppen im 7. Jahrhundert. Er erhob seine Stimme in der gesamten „Reichskirche“, obwohl er nur Bischof einer Provinzstadt war.

In seiner Schrift „Pro defensione …“ nimmt Facundus profund Stellung im „Drei-Kapitel-Streit“, der über Jahrzehnte einen der größten theologischen Streitpunkte dieser Zeit diskutierte. Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, wie die göttliche und die menschliche Natur von Jesus Christus miteinander in Beziehung stehen. Die Frage hatte schon das Konzil von Chalcedon im Herbst 451 im heutigen Istanbul endgültig zu klären versucht. Demnach wurde Christus im Sinne einer noch heute gültigen Auffassung als wahrer Gott und wahrer Mensch definiert, und zwar „unvermischt und ungetrennt“.

Der Chalcedon-Kompromiss aber führte noch Jahrzehnte später zu Streit in der Christenheit. Der oströmische Kaiser Justinian versuchte, den theologischen Disput endlich zu beenden. In einem Edikt verurteilte er deshalb die Person und Schrift des Theodor von Mopsuestia sowie einen Brief von Bischof Ibas von Edessa und einige Schriften des Theodoret von Kyros. Zwei dieser mittlerweile verstorbenen Theologen waren auf dem Konzil von Chalcedon anerkannt worden. Facundus argumentierte nun mit seiner Schrift vehement gegen Kaiser Justinians Position und teilweise auch gegen den Papst. Das war gefährlich, zeitweise musste er sich verstecken. Von anderen oppositionellen Theologen sind auch Zeiten der Gefängnishaft überliefert.

Die oppositionelle Stellung des Facundus gegen Kaiser und Papst macht es spannend, danach zu fragen, wodurch für ihn Autorität in dogmatischen Entscheidungen zustande kommt. Darauf aufbauend, untersuche ich das spezifisch nordafrikanische Profil dieses Theologen. Dabei soll es auch um das Verhältnis von Nordafrika als Peripherie des Reiches zu Konstantinopel (und Rom) als Zentren gehen. Meine Arbeit dient zudem der stärkeren Beachtung von Nordafrika als (christliche) Region in der Spätantike.

Eine meiner wesentlichen Fragen ist, wodurch für Facundus die Autorität entsteht, dogmatische Entscheidungen zu treffen. Für die Zeit typische Antworten wie etwa Autorität durch das Amt des Papstes oder durch die Stellung als Kaiser sind für Facundus nicht ausreichend, wie seine oppositionelle Rolle im „Drei-Kapitel-Streit“ verdeutlicht. Im 6. Jahrhundert war die konkurrierende Stellung zwischen Päpsten und Kaisern um die (endgültige) Entscheidungsgewalt in kirchlichen und insbesondere dogmatischen Fragen virulent, und somit auch die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat.

Facundus sah seine Position begründet in seiner theologischen Expertise, aber auch durch sein Amt als Bischof als einer der Nachkommen der Apostel. Zugleich aber maß er einem Konzil von Bischöfen die höchste Autorität in der Christenheit zu – also nicht dem Papst in Rom oder dem Kaiser in Konstantinopel. Zwar beriefen sich (fast) alle Parteien im „Drei-Kapitel-Streit“ auf das Konzil von Chalcedon, leiteten daraus aber entgegengesetzte Positionen ab. Es ist also zu klären, wie und von wem Orthodoxie bestimmt wurde. Das gilt gerade für diesen Kontext, in dem es nicht zuletzt darum ging, festzulegen, wer oder was Kirche ist und leitet. Eine noch heute aktuelle Frage.

Bei der zweiten wesentlichen Forschungsfrage nach einem spezifisch nordafrikanischen Profil von Facundus ist auffällig, dass sein Hauptwerk in Konstantinopel entstanden ist. Er war wahrscheinlich als Vertreter seiner Kirchenprovinz dort und stellte sich in einer späteren Schrift auch als Sprecher der nordafrikanischen Kirche dar.

Außerdem integriere ich in meine Arbeit einen postkolonialen Ansatz, also die genaue Reflexion der eigenen Perspektive und der in dieser Arbeit rezipierten
Perspektiven, und zwar sowohl für die genutzte Primär- wie für die Sekundärliteratur. Es wurden nämlich während der Kolonialzeit Repräsentationsmuster geprägt, die von westeuropäischen Erwartungen und Annahmen bestimmt waren und gleichzeitig das koloniale Mächteverhältnis stützen sollten. Die französischen und italienischen Kolonialmächte sahen sich häufig in der Nachfolge der römischen Machthaber. Auch Erklärungen, die Edward Said unter dem Begriff „Orientalismus“ kritisierte, spielen eine wichtige Rolle. Frühere Forscher stellten vermeintliche Charakteristika wie „Impulsivität“ und „Unreife“ der nordafrikanischen Kirche fest. Das wird von mir verworfen. Dadurch kann ich Facundus‘ Theologie in vielfältige Traditionslinien einordnen und feststellen, dass er nordafrikanische Gedanken mit römischen verband. 

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