Verzerrte Bilder

Antijüdische Darstellungen finden sich auch in aktuellen Religionsbüchern
Bilder von Jüdinnen und Juden zeigen fast immer ultra-orthodoxe Gläubige.
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Bilder von Jüdinnen und Juden zeigen fast immer ultra-orthodoxe Gläubige.

Es gibt eine Reihe von christlichen antijüdischen Narrativen, die auch im säkularen Antisemitismus wirken. Beispiele dafür finden sich in Büchern für den evangelischen Religionsunterricht, weiß Ariane Dihle, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Universität Oldenburg.

Christliche Theologie besitzt eine lange antijüdische Tradition, die von einer Überordnung des Christentums gegenüber dem Judentum ausging. Heute finden sich in 14 von 20 deutschen Landeskirchen Artikel, die das Verhältnis zwischen Juden- und Christentum neu definieren: Der Bund Gottes mit Israel bleibt bestehen. Auf dem Treffen der 12. EKD-Synode 2015 wurde in Auseinandersetzung mit Martin Luthers antijüdischen Schriften postuliert: „Wir stellen uns in Theologie und Kirche der Herausforderung, zentrale theologische Lehren der Reformation neu zu bedenken und dabei nicht in abwertende Stereotype zu Lasten des Judentums zu verfallen.“ Deutlich wird mit dem Wort „Herausforderung“, dass eine fast 2000-jährige antijüdische Geschichte nicht einfach zu verlernen ist – und das spiegelt sich auch in Religionsbüchern.

Antijudaismus, zumeist als religiös begründete Vorurteile gegen Juden definiert, ist seit vielen Jahren ein Thema der Schulbuchforschung verschiedener Fächer. Eine Reihe von Handlungsempfehlungen und fachspezifischen Kriterien liegt dazu vor. Mediale Aufmerksamkeit über den Fachdiskurs hinaus bekam die Frage nach der angemessenen, Stereotype und Vorurteile nicht befördernden Darstellung des Judentums in Religionsbüchern zudem jüngst durch eine Initiative des Verbandes der Bildungsmedien in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Dabei wurden seit Winter 2019 Workshops in einzelnen Schulbuchverlagen mit der Bildungsreferentin vom Zentralrat der Juden, Shila Erlbaum, zur Darstellung des Judentums durchgeführt.

All das reagiert auf ein Problem. Doch worin liegt genau dieses? Es gibt eine Reihe an christlichen antijüdischen Narrativen, die – wie Christian Staffa, aber auch Axel Töllner herausgearbeitet haben – als „christliche Signaturen des zeitgenössischen Antisemitismus“ fungieren. Im säkularen Antisemitismus wirken ursprünglich christliche Narrative. Antisemitische Verschwörungserzählungen, in denen es um eine mächtige Elite und Geld geht, knüpfen (unbewusst) beispielsweise an Passionserzählungen mit dem (vermeintlichen) Verrat von Judas an. Umso problematischer ist es, wenn im „Kursbuch elementar 2“ (2018) die Passionsgeschichte als Verschwörungserzählung geschildert wird. Im Schulbuch findet sich unter der Überschrift „Verschwörung gegen Jesus“ ein „Protokoll der Geheimsitzung des Hohepriesters Kaiphas“. Eine Aufgabe dazu an die Siebt- bis Achtklässler ist: „Ein Jünger soll bestochen werden, damit er bei der Verhaftung von Jesus mithilft. Was meint ihr: Finden die Führer des jüdischen Volkes einen solchen Jünger? Was spricht dafür, was dagegen?“ Unabhängig von den Absichten der Religionsbuchautoren, ist diese Darstellung anschlussfähig an antisemitische Verschwörungserzählungen, wie die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘, die den Lernenden aus ihrer außerschulischen Umwelt bekannt sein können. Auch in der online abrufbaren Überarbeitung finden sich, wenngleich unter veränderter Überschrift und angepassten Aufgaben, wieder sowohl das Protokoll sowie eine in keiner Weise hermeneutisch mit Blick auf den Entstehungskontext der Evangelien reflektierte Darstellung der Passionserzählung.

Das ist ein sehr markantes Beispiel. Doch lässt sich mit Blick auf aktuell in den Bundesländern zugelassene evangelische Schulbücher der Sekundarstufe I feststellen, dass viele Bücher Quellen, Bilder und Texte enthalten, die anschlussfähig an antijüdische Narrative sind. Vier Felder zeigen sich als besonders anfällig für antijüdisch wirksame Darstellungen im Religionsunterricht.

Ganz Andere

Darstellung des Judentums: Jüdinnen und Juden werden in Unterrichtsmaterial von den zumeist nicht-jüdischen Lerngruppen äußerlich – beispielsweise durch die Abbildung von fast ausschließlich ultra-orthodoxen Juden – differenziert und auf ihr Judentum reduziert. Damit werden Jüdinnen und Juden als ‚ganz Andere‘ dargestellt. Durch so eine Abgrenzung kann Antijudaismus begünstigt werden. Dabei finden sich teilweise religionskundlich fehlerhafte Darstellungen. Wenn innerjüdische Pluralität im Schulbuch dargestellt wird, beispielsweise durch Thematisierung der verschiedenen Strömungen im Schulbuch, findet – vor dem Hintergrund eigener protestantischer Selbstwahrnehmung – zum Teil eine Verzerrung statt. Das liberale Judentum ist dann das sympathische, das (ultra-)orthodoxe hingegen das unverständliche und ‚unnormale‘. Natürlich ist so eine Darstellung nicht direkt antijüdisch, doch sie kann antijüdisch wirken, wenn die Lernenden dann auf gelebte jüdische Religiosität entsprechend ablehnend reagieren. Auch tauchen antijüdische Stereotype auf, wie die Verknüpfung von Judentum und Geld.

Geschichte des Judentums in Deutschland: Die Geschichte des Judentums in Deutschland ist nicht auf eine Geschichte der Verfolgung zu reduzieren und auch in der Geschichte sind Jüdinnen und Juden nicht zu ‚anderen‘ zu machen. Unterrichtsmaterial steht hier vor der Aufgabe, Antijudaismus weder zu überdramatisieren noch zu nivellieren. Insbesondere bei der Darstellung von Antijudaismus im Mittelalter besteht die Gefahr – wie Wolfgang Geiger an auf Religionsbücher übertragbaren Beispielen aus Geschichtsbüchern zeigt –, dass mit einem historisch falschen, antisemitisch wirksamen Stereotyp, etwa ‚Sozialneid‘ mit Blick auf den Geldhandel im Mittelalter, Antijudaismus erklärt wird. Das erzeugt Verständnis für die Täter:innen, statt Antisemitismus als Projektionsgeschehen zu dekonstruieren. In Religionsbüchern ist zudem ein Hauptaugenmerk auf die Darstellung des kirchlichen Agierens im Nationalsozialismus und die Aufarbeitung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – zumeist festgemacht an der ‚Stuttgarter Schulderklärung‘ – zu legen. Manche Darstellungen zeigen ein beschönigtes Bild nach 1945, das eine ‚Schlussstrichmentalität‘ und sekundären Antisemitismus befördern kann.

Die Thematisierung Israels: Oftmals verknüpfen die Autor:innen Israel und Judentum, indem im Schulbuch fiktive Kinderfiguren aus Israel nach Deutschland kommen oder aber fiktive jüdische Figuren aus Deutschland zu ihrer Verwandtschaft nach Israel reisen. In evangelischen Religionsbüchern wird in Jahrgang 9/10 häufig der Nahostkonflikt thematisiert. Da dieser in der Regel auf maximal eine Doppelseite begrenzt ist, neigen die Darstellungen zu starken Vereinfachungen mit einer teilweisen Reduktion der Darstellung auf einen Israel-Palästina-Konflikt, der oft als unlösbar gezeigt wird. Israel wird vor allem – wie auch Shila Erlbaum feststellt – „als Konfliktherd“ eingeführt und nicht in seiner Vielfalt, Buntheit, aber auch Bedrohtheit in der Region dargestellt.

Dies wird in Schulbüchern bei unterschiedlichen Themen in allen Klassenstufen deutlich. So findet sich beispielsweise in „theologisch 1“ (2020) für den Doppeljahrgang 5/6 im Kontext einer Einheit von „Zeit und Umwelt Jesu“ ohne weitere Kontextualisierung die Aufgabe: „Stellt euch vor, es würde Frieden im Nahen Osten herrschen und ihr wollt als Reiseveranstalter eine siebentätige Reise für die ganze Familie ‚auf den Spuren Jesu‘ anbieten. Erstellt in Gruppenarbeit ein Werbeplakat für die Reise. […]“ Wiederholte unkontextualisierte Verweise auf Israel als Ort von Gewalt im Rahmen ganz anderer Themen können ein unrealistisches Bild von Israel erzeugen und damit israelbezogenen Antisemitismus befördern, dessen Merkmal mit Monika Schwarz-Friesel auch „De-Realisierung“ sein kann.

Drastische Verkürzung

Die Beziehung zwischen Christentum und Judentum ist in den Schulbüchern nicht einheitlich und widerspruchsfrei. Auch wird nicht in allen Schulbüchern deutlich, dass die Hebräische Bibel gemeinsame Schrift von Christen- und Judentum ist. So heißt es in Anlehnung an Genesis 1 im „Kursbuch elementar 1“ (2016) „Gott hat den Menschen gesagt, sie sollen sonntags die Arbeit ruhen lassen und sich an der Schöpfung freuen.“

Hier wird der christliche Sonntag an Stelle des jüdischen Schabbats in Genesis 1 gesetzt. Dies ist mit Blick auf die Begründung des Sonntags in der Kirchengeschichte nicht nur drastisch verkürzt, es findet auch eine Substitution statt.

Wenngleich in jüngsten Auflagen der Bücher zu sehen ist, dass insbesondere im Kontext der Bergpredigt und der sogenannten Antithesen eine Veränderung erfolgt, ist zu beobachten, dass das Judentum zur Zeit Jesu als Negativfolie für den alles verändernden Jesus, zum Teil auch Paulus, benutzt wird. Die im Neuen Testament geschilderten Konflikte, beispielsweise zwischen Jesus und den Pharisäern, sind in weiten Teilen innerjüdische Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund einer bedrohten Existenz. Für die in den Schulbüchern oftmals dargestellte „Sabbatobservanz“ der Pharisäer finden sich beispielsweise keine außerbiblischen Belege, was sich nicht in allen Schulbüchern niederschlägt. Auffällig ist dabei der Kontrast in manchen Schulbüchern zwischen den erklärenden Autor:innentexten, die Jesus als Juden innerhalb des Judentums seiner Zeit einordnen, wohingegen mit Blick auf Bibeltexte auf Bild- oder Textebene ein Gegensatz zwischen Jesus und seiner jüdischen Umwelt zuungunsten des Judentums aufgebaut wird. Dies kann noch einmal mehr eine antijüdische Abwertung heutiger jüdischer Praxis befördern.

Hervorzuheben ist, dass die Unterschiede zwischen den und innerhalb der evangelischen Schulbücher der Sekundarstufe I sehr groß sind, wie auch eine aktuelle Studie des Georg-Eckert-Instituts zu „Darstellungen der jüdischen Geschichte, Kultur und Religion in Schulbüchern des Landes Nordrhein-Westfalen“ zeigt. Wenngleich in dieser vor allem der Fokus auf intendierten Antisemitismus und weniger auf theologisch manifeste antijüdische und kontraintentionale Stereotype gelegt wird.

Die unter anderem hier formulierte Kritik wird von den Verlagen in Teilen aufgenommen und ist in den neuesten Auflagen mancher Reihen umgesetzt. Es finden sich vielfach Ansätze in Schulbüchern, die antijüdische Stereotype vermeiden. Dennoch befinden sich die älteren Auflagen in den Schränken der Schulen, den Schultaschen der Kinder und Jugendlichen und Arbeitszimmern der Lehrkräfte. Und auch die neuesten Auflagen reproduzieren teilweise Stereotype.

Wenngleich Religionsbücher im Religionsunterricht in der Regel nicht das Leitmedium sind, fungieren sie als Seismograph oder Indikator, der gegenwärtige Diskurse offenlegt und zeigt, dass 2000 Jahre antijüdische Traditionen nicht einfach zu verlernen sind. Da Schulbücher in ihrem Entstehungs- und Zulassungsprozess durch viele Hände gehen und Schulbücher auch immer auf Lehrpläne reagieren, sind hier nicht einzelne Autor:innen und Herausgeber:innen anzusprechen.

Da Religionsunterricht oftmals besser besucht ist als der sonntägliche Gottesdienst und Schule ein zentraler Ort gegenwärtigen Theologietreibens ist, sollte auch hier die Lücke zwischen offiziellen kirchlichen Verlautbarungen zum jüdisch-christlichen Verhältnis und realer Theologie in Schulbüchern geschlossen werden – zum einen im Wissen darum, dass Antisemitismus gegenwärtig in Deutschland wieder sichtbarer wird, und zum anderen mit Blick auf eine fachwissenschaftlich korrekte Vermittlung, zu der auch Erkenntnisse des jüdisch-christlichen Dialogs zählen. 

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Ariane Dihle

Ariane Dihle ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Universität Oldenburg.


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