Vertrauen in die Nähe Gottes

Ostern feiern in einer Welt voller Krisen

Krisen gibt es, seit es Menschen gibt. Kleine und große, kurze und längere. Aber was das Wesen von Krisen ist, wurde in der Menschheitsgeschichte unterschiedlich eingeschätzt (vergleiche zum Folgenden Reinhart Koselleck, Artikel Krise, Historisches Wörterbuch der Philosophie): Der antike Denker Augustin verstand als krisis die Situation „gesteigerter Gefahr“, in der man „aus der Krankheit zur vollen Gesundheit“ gelangen kann – oder an der Krankheit stirbt. In der Krise geht es um Leben oder Tod. In ihr spitzt sich die Situation aufs Ganze zu. Ihr Ausgang ist offen.

Das heute auf vielen Postkarten zu findende Motto, dass jede Krise eine Chance ist, setzte sich erst in der Aufklärung durch. Ihr Glaube an die Fähigkeiten des Menschen führte zu einem unbeirrbaren Geschichtsoptimismus. Am Vorabend der Französischen Revolution unkte ein Schweizer Geschichtsphilosoph, nur „ängstliche Beobachter“ würden Krisen als gefährlich ansehen. Nüchtern betrachtet, gebe die aktuelle politische Krise, selbst wenn sie größer als alle vorherigen sei, „uns eher tröstliche und hoffnungsvolle Aussichten“.

Im Zuge der Erschütterungen durch den Ersten Weltkrieg war für viele Denker die Einsicht unvermeidlich, dass es um die Menschheit keineswegs so gut bestellt ist, wie die Aufklärer annahmen. In der dadurch ausgelösten „Theologie der Krise“ fragte man sich: Wenn Menschen sich totale Vernichtung antun können, was ist dann der Mensch? Ist er überhaupt zum Guten fähig? Gibt es menschheitsgeschichtlich wirklich eine Entwicklung zum Besseren?

Spätestens zum Ende des 20. Jahrhunderts verflog diese Skepsis wieder und der Optimismus kehrte zurück. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari diagnostizierte 2015: „… in den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, Hunger, Krankheit und Krieg im Zaum zu halten. … Was einmal unbegreifliche und unkontrollierbare Kräfte der Natur waren, sind jetzt Herausforderungen, die sich bewältigen lassen. … Wir wissen ziemlich genau, was zu tun ist, um Hunger, Krankheit und Krieg zu verhindern – und in der Regel gelingt uns das auch.“

Nur wenige Jahre alt, klingt diese Einschätzung für uns Heutige naiv. Wir leben in der Zeit der Dauerkrise. Große, existenzbedrohende Krisen wechseln sich ununterbrochen ab. Die Alternative zum naiven Optimismus ist aber nicht die Lähmung vor Angst. Als Christenmensch könnte man die Krise auch nutzen, um mit den Augen des Glaubens neu auf den Menschen zu schauen. Der Mensch hat Verantwortung für die Gestaltung seiner Welt. Aber er weiß auch um seine Grenzen und Bosheiten. Er ist – wie jedes Geschöpf – ein verletzliches, gefährdetes Wesen. Dieses Menschenbild bietet Raum für Bitten, Klagen und Anklagen gegenüber Gott. Und es bewahrt den Gedanken, dass auch der, der in einer Krise scheitert, ein Mensch mit Würde bleibt.

Viel zu schlicht wäre freilich die An­nahme, dass der Glaube jeder Krise Sinn verleiht. Aber der christliche Glaube spendet Trost, weil er zum Vertrauen in die Nähe Gottes auch in einer sinnlosen Situation ermutigt. Und er gibt Mut, indem er Geschichten von Menschen erzählt, die aufgrund dieser Nähe Krisen überstanden haben. 

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