Gemeinsamkeiten

Gespräche über das Gottsuchen

Um den Reichtum dieses Buches auch nur annähernd wiederzugeben, müsste ich große Teile daraus abschreiben – den Reichtum an Spiritualität, an gedanklicher Schärfe und Gründlichkeit sowie an Poesie. Stefan Seidel, leitender Redakteur der evangelischen Wochenzeitung Der Sonntag, hat 19 Zeitgenossen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Musik und Theologie nach ihrem Glauben befragt, nach ihrem Verhältnis zu Traditionen, zu institutionalisierter Religion und immer wieder nach ihrem Verhältnis zum Tod.

„Welche Haltung haben Sie dem Tod gegenüber? Und: Was ist Ihre Hoffnung über dieses Leben hinaus?“ ist eine der am häufigsten gestellten Fragen. Und mit wenigen Ausnahmen antworten die Befragten, sie seien der Überzeugung, dass mit dem Tod nicht „alles aus“ sei, wenn sie auch keine konkreten Vorstellungen hätten, wie dieses Danach aussehen werde. Sie wissen sich als Teile eines Großen, das unsere menschliche Existenz enthält und übersteigt, „dass es eine unendlich bejahende Kraft im Hintergrund der Welt gibt“ (Hanne Ostarvik). Damit ist aber nicht in jedem Falle eine „bleibende Beruhigung“ (Carl-Christian Elze) verbunden.

Ohne dass Karl Rahners Vermutung, Christen der Zukunft werden Mystiker sein, oder es werde sie nicht mehr geben, ohne dass diese Vermutung ausgesprochen wird, erklären viele Befragte, dass ihre Glaubensweise mystisch sei, der Mystik nahe stehe. Und Meister Eckharts Einfluss wird von vielen bekannt. Ein anderer Name, der immer wieder auftaucht, ist der des dänischen Philosophen und Theologen Søren Kierkegaard. Seine Formulierung vom „Sprung“ aus existenzieller Angst in den Glauben, in das radikale Vertrauen wird sowohl von Seidel als auch von seinen Gesprächspartnern häufig bemüht.

Damit sind die Gemeinsamkeiten nicht erschöpft. So eignet allen eine große Achtung vor anderen Lebensweisen und Glaubenshaltungen. Am radikalsten kommt das bei dem schwedischen Jazzpianisten Tord Gustavsen (Jahrgang 1970) zum Ausdruck. Er erklärt: „Spirituelle Menschen sollten auch bedenken, dass Atheismus und Agnostizismus notwendige Bestandteile der Evolution sind, um einen falschen Glauben, unterdrückende Religion zu überwinden.“

Wie bei Gustavsen ist auch bei einigen anderen Interviewten eine große Nähe zu außerchristlichen Religionen spürbar. Die koreanische Theologin Tara Hyun Kyung Chung lebte ein Jahr lang als buddhistische Nonne. Als sie mit keinem Menschen in ihrer Umgebung sprechen konnte, weil sie deren Sprachen nicht verstand, kommunizierte sie mit ihnen nur über Lächeln, Körpergesten und über ihre „Energie“. Unerwarteterweise konnte sie in dieser Situation „auch mit Tieren, Pflanzen und Bergen“ kommunizieren. Sie bezeichnet dies als ihren „Franziskus-von-Assisi-Moment“.

Dabei geht es nie um Beliebigkeit. Der Benediktinermönch David Steindl-Rast bringt es auf den Punkt: „Es erweitert den Horizont und ist für das dringend notwendige gegenseitige Verständnis ungemein wichtig, andere Religionen kennenzulernen, es ist aber auch wichtig zu wissen, wo wir zu Hause sind.“

Die US-amerikanische Theologin Deanna A. Thompson antwortet auf die Frage, was „der Beitrag religiöser Menschen für die Welt in diesen Tagen“ sein könne, „die öffentliche Ausübung der Klage“ angesichts der Covid-Toten, aber auch angesichts von Klimakatastrophen sowie anderer weltweiter Sorgen und Nöte.

Zu den Höhepunkten des Buches gehören die leisen, unspektakulären Gespräche mit den Schriftstellerinnen Ingeborg Arlt, Iris Wolff und Helga Schubert. Sie machen sofort Lust, ihre Bücher erneut oder erstmalig zu lesen und darin nach Spuren ihrer Spiritualität, ihres Glaubens zu suchen.

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