Standardwerk

Gleichnisse Jesu neu entdeckt

Zentral stehen die Gleichnisse Jesu für seine Lehre im Neuen Testament, wirken dabei oft rätselhaft und provozierend. Entsprechend vielfältig sind sie in der Theologie untersucht worden, sei es, um in ihnen den historischen Jesus zu entdecken, sei es nach soziokulturellen oder zuletzt vor allem nach linguistischen Kriterien. Der Mainzer Neutestamentler Ruben Zimmermann, ein seit langem ausgewiesener Parabelforscher, legt nun ein Buch vor, das Übersicht und Klarheit schaffen will. Es geht ihm um eine integrative Hermeneutik, die sowohl die Relevanz der historischen als auch der literarischen Zugangsweisen berücksichtigt, aber den Deutungshorizont der Texte offen lässt: Zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten werden sich die Lesenden auf je eigene Weise von ihnen herausgefordert finden.

Von Gleichnissen soll dabei gar nicht mehr die Rede sein. Zimmermann verwirft auch die lang geübte Differenzierung in Untergattungen. Er fasst die neutestamentlichen Beispielerzählungen und Bildworte zusammen unter dem Gattungsbegriff Parabel, zum einen, weil die Evangelisten selbst von paraboloi sprechen, zum andern, weil sie verwandt sind sowohl mit den jüdischen Meshalim als auch mit den antiken Fabeln. Es ist darum unangemessen, in ihnen eine singuläre, nur mit Jesus verbundene Sprachform zu sehen.

Als müßig hat sich auch der Versuch erwiesen, aus den neutestamentlichen Parabeln die Stimme des historischen Jesus herauszufiltern – die dafür entwickelten Kriterien haben zu keinen überzeugenden Ergebnissen geführt. Ruben Zimmermann definiert sie darum als Medien der Jesuserinnerung. Geeignet für die mündliche Überlieferung, haben sie das Jesus-Bild der frühen Christenheit geprägt. Als Parabel-Erzähler erinnert, wurde Jesus selbst zum Gleichnis Gottes, die Parabel zum Medium der Inkarnationstheologie: Die Parabel als kurzer Erzähltext, der auf die bekannte Alltagsrealität bezogen ist, aber durch Transfersignale zu erkennen gibt, dass die Bedeutung des Erzählten über sich hinausweist und von den Hörenden eine Stellungnahme erwartet. Der Sinn entsteht erst in der Wechselwirkung zwischen dem Text und den Rezipierenden in einem Gespräch, das zu neuen Glaubenseinsichten führen will. Als Rede von Gott eröffnet die Parabel die Möglichkeit, Gottes Wirklichkeit in Bildern alltäglicher Lebenswelt zu erkennen, als ethische Rede bleibt sie mehrdimensional: in jeder Hinsicht ein discussion starter.

Immer wieder betont der Mainzer Theologe die Offenheit der Deutungshorizonte, die aber nicht zur Beliebigkeit führen darf. Um den Texten gerecht zu werden, schlägt er eine vierstufige Methode vor, die mit einer präzisen sprachlichen Analyse einsetzt und dabei auch den Kontext berücksichtigt – im näheren und weiteren Sinn, das heißt auch auf die Gesamtheit des jeweiligen Evangeliums bezogen. Um den bildspendenden Bereich korrekt einzuordnen, gilt es dann, nicht nur den historischen Hintergrund zur Zeit Jesu zu beleuchten, sondern auch der Bildfeldtradition nachzugehen, das heißt der Frage, welche Bedeutung zum Beispiel der Hirte oder der Weinberg sonst in der Bibel haben. Von daher öffnen sich dann die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten.

Wie fruchtbar dieser methodische Ansatz ist, beweist Zimmermann, indem er exemplarisch jeweils eine Parabel aus den verschiedenen Quellen untersucht, wobei er nicht nur die synoptischen Evangelien, sondern auch die Logienquelle Q, das Johannesevangelium und das Thomasevangelium einbezieht. Es zeigt sich, dass die Texte umso spannender werden, je präziser die sprachlichen, historischen und traditionsgeschichtlichen Aspekte berücksichtigt werden. Alles in allem: Dies ist ein neues Standardwerk zur Hermeneutik der biblischen Parabeln.

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Angelika Obert

Angelika Obert ist Pfarrerin im Ruhestand in Berlin. Sie war bis 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).


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