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Die Bedeutung von Buße im Neuen Testament
Die büßende St. Maria Magdalena. Gemälde von Anthonis van Dyck (1599–1641).
Foto: akg/Erik Cornelius/Nationalmuseum
Die büßende St. Maria Magdalena. Gemälde von Anthonis van Dyck (1599–1641).

Das Wort Buße kommt in der Bibel überwiegend im Neuen Testament vor. Angela Standhartinger, Professorin für Neues Testament in Marburg, sichtet den Befund und findet ein vielfältiges Verständnis von Buße in den biblischen Büchern. Besonders aktuell scheint ihr das Bußkonzept der Offenbarung des Johannes zu sein, wenn man es richtig versteht.

Sucht man das Thema Buße in der Bibel, so sollte man eine Lutherübersetzung wählen. In der Neuübersetzung von 2017 finden sich Aussagen zur Buße in 51 Versen, davon 41 im Neuen Testament. Dagegen enthalten die aktuelle reformierte Zürcher Bibel und die römisch-katholische Einheitsübersetzung das Wort Buße jeweils nur fünf Mal, davon drei oder zwei im Neuen Testament. Lediglich in Matthäus 11,20 überschneiden sich die drei Übersetzungen.

Buße scheint also ein eminent lutherisches Konzept zu sein. Und tatsächlich lautet die erste der 95 Thesen Martin Luthers von 1517: „Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‘, wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.“ Und die nächsten drei Thesen führen aus, dass damit kein sakramentaler Akt, sondern ein fortwährender Prozess „äußerlich vielfältige[r] Marter“ und „innerer Selbstverleugnung“ bis zum Eintritt in das Himmelreich gemeint sei.

Luther wählte mit „büszen“ ein Wort aus der medizinischen und rechtlichen Sphäre. Grimms Wörterbuch der Deutschen Sprache listet als nicht religiöse Bedeutungen: „annähen, heilen, vertreiben, Hunger stillen, sühnen, das auf eine Missetat gesetzte Geld entrichten, strafen“ auf. Und ausschließlich in Lutherbibeln steht direkt vor dem Neuen Testament das ausführliche Bußgebet des Königs Manasse, eine Ausgestaltung des Gebets, das in 2 Chronik 33,19–20 erwähnt wird. Der König aus Israels Südreich hatte aus politischer Räson oder theologischer Wankelmütigkeit Götzenbilder aufgestellt und war damit politisch und religiös gescheitert. Nach seiner Deportation nach Babylonien bekennt er ausführlich seine Verfehlungen und erhält sein Königreich zurück. In diesem jüdisch und christlich rezipierten Bußgebet fleht Manasse: „Vergib mir, Herr, vergib mir! Richte mich nicht zugrunde wegen meiner Missetaten, behalte nicht im Gedächtnis meine Übeltaten bis in Ewigkeit, verdamme mich nicht in die Tiefen der Erde. Denn du, Herr, bist der Gott derer, die umkehren“ (Gebet Manasse 13). Mit dem Bekenntnis der Übermacht des eigenen Fehlverhaltens hofft er auf Vergebung von Gott, der hier „ Gott der Büßenden“ heißt. Martin Luther hat dieses Gebet bereits 1519 in Ain kurtze vnderweysung wie man beichten sol und neben seiner Bibelübersetzung auch in Gebetbüchern veröffentlicht.

Hinter dem Wort Buße der Lutherübersetzung steht im Neuen Testament das griechische Wort Metanoia. Gebildet aus der Vorsilbe meta, „nach“ und „mit“, und dem Wort Denken (noein) heißt metanoein eigentlich „nachdenken, hinterher bedenken, bereuen“, aber auch „umdenken, seinen Sinn ändern“. Die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die Septuaginta, verwendet in Weisheitsschriften und einem Prophetentext metanoien als Übersetzung für schuw, umkehren, zurückkehren. Wegen der Verbindung von metanoein und schuw übersetzen es die meisten Bibeln mit Umkehr. Was allerdings zumeist übersehen wird, ist, dass hinter mehr als der Hälfte der Belege für metanoein in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments das hebräische Wort naham, trösten, ermuntern, bereuen steht.

Keine Buße ohne Tun

Die Aufforderung „tut Buße“ ist das Zentrum der Botschaft des Täufers Johannes. Johannes verkündigt die „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Markus 1,4; Lukas 3,3). Diese durch den Täufer durchgeführte Waschung muss dabei mit „angemessenen“ oder, wie es die Lutherübersetzung fasst, „rechtschaffene[n] Früchte[n] der Buße“ verbunden sein (Matthäus 3,8; Lukas 3,3). Es geht keineswegs allein um eine innere Haltung, sondern um ein Tun, das der Umkehr folgt oder aus ihr hervorgeht.

Anders, als unsere Hörgewohnheiten es nahelegen, ist die Genitivverbindung Taufe der Buße oder Umkehr doppeldeutig. Die Reue kann sich auf die Menschen, aber ebenso auch auf Gott beziehen. Die Umkehr, Reue, Buße Gottes ist eine weit verbreitete Hoffnung im Ersten Testament, für die Mose (Exodus 32,11–14) und die Propheten vor Gott eintreten. Jeremia verkündet dann Gottes Worte so: „Wenn sich aber das Volk, gegen das ich geredet habe, von seiner Bosheit bekehrt (epistrepho), so reut mich (metanoēso) auch das Unheil, das ich ihm gedachte zu tun“ (Jeremia 18,8). Und ebenso gilt, „wenn es aber tut, was mir missfällt, dass es meiner Stimme nicht gehorcht, so reut (metanoēso) mich auch das Gute, das ich ihm verheißen hatte zu tun“ (Jeremia 18,10; Amos 7,3.6).

Der Täufer Johannes sieht noch ein kurzes Zeitfenster für die Möglichkeit der Buße. Es wird begrenzt vom Erscheinen „des Stärkere[n]“ (Markus 1,7; Matthäus 3,11; Lukas 3,16). Nur noch kurze Zeit lässt sich Gott mit „Früchten der Buße“ zur Umkehr bewegen. „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt“ (Matthäus 3,10; Lukas 3,9). Gottes Gnade besteht darin, dass es Zeit für Umkehr gibt und/oder Gott sich selbst Zeit vor dem Eintreten der gerechten Vergeltung zur Umkehr lässt. Denn so formuliert es die Weisheit Salomos: „Du richtetest sie nur nach und nach und gabst ihnen so Raum zur Buße“ (Weisheit 12,10.19). Es gibt aber auch – wie für den reichen Mann aus dem Gleichnis im Lukasevangelium, vor dessen Toren der arme Lazarus liegt, oder für Esau im Hebräerbrief – ein Zu-Spät (Lukas 16,19–30; Hebräer 12,17). Ein Zu-Spät in den Grenzen des eigenen Lebens, ein Zu-Spät angesichts verpasster Möglichkeiten.

Die Propheten und der Täufer betonen die Kürze der noch offenen Frist, das eminente Jetzt der Möglichkeit zur Buße und Abkehr vom verfehlten und selbst- und weltzerstörerischen Handeln. Im jüdischen Festkalender hat die Buße einen Platz am Versöhnungstag Jom Kippur. Mit Fasten und Gebeten kann Gott an diesem Tag dazu bewegt werden, die gegen ihn gerichteten Verfehlungen zu verzeihen. Der jüdische Philosoph Philo von Alexandria, ein älterer Zeitgenosse des Paulus, drückt dies so aus: „Die Würde des Tages hat einen doppelten Grund: einmal als Festtag und einmal als Tag der Reinigung und Vertreibung der Sünden, für die eine Amnestie erlassen ist durch Gnade des erbarmenden Gott es, der Buße gleich hochschätzt, wie nicht zu sündigen“ (Über die Einzelgesetze 1.187).

Fehlender Bußruf Jesu

Angesichts dieser breitgefächerten jüdischen Bußtheologien überrascht es, dass ausgerechnet von Jesus fast keine Aufforderungen zur Buße überliefert wurden. Zwar beginnt er seine öffentliche Wirksamkeit, wie sein Lehrer Johannes, mit den Worten: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Matthäus 4,17; Markus 1,15). Aber Jesus lässt den Ruf kein zweites Mal erklingen. Allein seiner Enttäuschung über die galiläischen Städte Chorazin und Betsaida begegnet er mit der Feststellung, andere hätten angesichts ihrer Erfahrungen Buße getan (Matthäus 11,20–21/Lukas 10,13).

Warum fehlt der Bußruf in Jesu Botschaft? Ich vermute, weil „die Fülle der Zeit“ (Markus 1,15), die Ankunft des Gottesreichs von der Reichgottesbewegung, um Jesus von Nazareth bereits erlebt und gelebt wurde. Neue Hausgemeinschaften und Familienmodelle waren entstanden (Markus 10,28–45). Dämonen waren auf dem Rückzug (Markus 1,21–28). Gottesnähe war in der Fülle von Brot und Fisch erfahrbar (Markus 6,35–44; 8,1–10). Jesus, so sehen es das Matthäus- und Markus- und Johannesevangelium, fordert nicht zur Buße, sondern Jesus fordert zum Achten auf die Kleinen, die Machtlosen und zum gegenseitigen Dienen auf (Markus 10,42; Matthäus 18,1–9; Johannes 13,12–17).

Das Lukasevangelium sieht dies allerdings anders. Der Auferstandene sagt seinen Aposteln voraus, „dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern“ (24,47). Und dies geschieht dann auch in der Apos-telgeschichte, in der Pfingstpredigt des Petrus (2,38), an der goldenen Pforte (3,19) und vor dem Hohen Rat (5,31), bei der Bekehrung des Kornelius (11,18) und durch Paulus vor den Athener Philosophen, den Ältesten aus Ephesus und vor dem Statthalter Festus, dem jüdischen König Arippa und seiner Frau Berenike (17,30; 20,21; 26,20). Die Apostel nehmen dabei immer weitere Adressat*innenkreise in den Blick, sodass Paulus schließlich in seinem Rechenschaftsbericht sagt, er „habe Juden und Griechen bezeugt die Umkehr zu Gott und den Glauben an unsern Herrn Jesus“ (20,21). Hier meint Metanoia Bekehrung, den punktuellen Akt der Verwandlung von einem nicht-glaubenden in einen gläubigen Menschen.

Himmlische Personifikation

Im Lukasevangelium hat Metanoia noch eine zweite Bedeutung. In den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme vergleicht Jesus die Freude über das unverhoffte Finden mit der Freude der „Engel Gottes über einen Sünder, der Buße tut“ (Lukas 15,10, vergleiche 15,7). Damit spielt der lukanische Jesus auf die Idee an, dass Abkehr von den verkehrten Wegen in dieser Welt in die Gemeinschaft Gottes führt und dass solche Buße von Gott und der himmlischen Personifikation der Metanoia bewirkt wird. Urbild dieser in den Himmel versetzenden Buße ist Henoch (Genesis 5,21–24). Von ihm heißt es bei Jesus Sirach: „Henoch gefiel dem Herrn und wurde hinweggenommen, ein Beispiel der Buße für künftige Geschlechter“ (Sirach 44,16).

Andernorts leitet die Buße selbst auf diesen Weg: „Die göttliche Metanoia nimmt die Unwissenheit weg, vertreibt die Finsternis, erleuchtet die Augen, gewährt Erkenntnis und führt den Ratschluss zur Rettung (Testament Gad 5,7). In der frühjüdischen Schrift Joseph und Aseneth trägt die himmlische Metanoia die Attribute ihrer älteren Schwester Frau Weisheit: „Denn die Buße ist in dem Himmel eine schöne und sehr gute Tochter Gottes. Und sie bittet den Höchsten jede Stunde für dich und alle, die büßen im Namen des höchsten Gottes, ihres Vaters… . Und allen, die büßen, hat sie einen Ort der Ruhe bereitet und erneuert die Büßenden und dient ihnen in Ewigkeit“ (Joseph und Aseneth 15,7). Auch Paulus weiß, dass nur gottgemäße Trauer die Buße zur unabänderlichen Rettung bewirkt (2 Korinther 7,10) und dass es „Gottes Güte“ ist, die „zur Buße leitet“ (Römer 2,4).

Neben dem Lukasevangelium gibt es noch eine zweite neutestamentliche Stimme, die Jesus den Bußruf in den Mund legt. Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, erscheint der Auferstandene als himmlischer Menschensohn dem Seher Johannes auf Patmos und diktiert ihm sieben Briefe an Gemeinden in Kleinasien (Offenbarung 1,13–20). Fünf der sieben Gemeinden fordert er zu Buße auf: Ephesus, Sardes und Laodizäa zur Rückkehr zur ersten Liebe, ihren ersten Werken, ihrem früheren Glauben und Eifer (2,4–5, 3,3); Pergamon und Prophetin Isebel in Thyatira zur Abkehr von Menschen, die sich mit dem Kaiserkult versöhnlicher arrangieren, als es Christus in der Stimme des Johannes von Patmos tolerieren kann (2,14–6.21–22). Bei der sechsten Posaune und der vierten Zornschale wird außerdem beklagt, dass weder der Einfall von vernichtenden Heeren noch große Hitze und Dürre die wenigen überlebenden Menschen zur Abkehr von ihren falschen Göttern bewegen können (9,20–21; 16,9–11).

Die Visionsreihen der Offenbarung beschreiben nicht das, was in Zukunft kommt. Sie beschreiben das, was in ihrer Gegenwart ist, am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus: Kriege an der Ostgrenze des römischen Reichs, Naturkatastrophen und Ausbeutung durch einen Weltmarkt in den Händen weniger (Offenbarung Kapitel 17–18). Manche dieser apokalyptischen Bilder wirken wie ein Spiegel heutiger Wirklichkeit. Die Offenbarung beschreibt sie allerdings in Bildern aus der Erzählung von den ägyptischen Plagen (Exodus 6,28–11,10; Psalm 78,43–52). Mit dieser Verknüpfung erinnert sie daran, dass Gott schon einmal sein Volk aus größter Not befreite.

Der Bußruf der Offenbarung klingt aktuell. Doch trotz der scharfen Kritik an Ausbeutung von Menschen und der Natur und den sie legitimierenden religiösen Inszenierungen meint Buße, Umkehr, Umdenken in der Offenbarung keineswegs lediglich Rückkehr in einen unberührten Urzustand. Ganz im Gegenteil: Die einzige echte Zukunftsschau dieses Buches ist die Vision einer die ganze Welt umfassenden Stadt, die sich vom Himmel her auf der Erde ausbreitet und die Paradiesgarten und moderne Stadtkultur, Israel, Kirche und alle Völker zusammenführt und in der Gott und das verletzte Lamm, hinter dem Jesus Christus steht, Zentrum und Bürgermeister aller sind (Offenbarung Kapitel 21–22). Buße heißt in der Offenbarung Rückkehr zu einem sich trotz aller Irrwege durch Gotteserfahrung und Geschichte zum Besseren kulturell weiterentwickelten Anfang. 

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