Keine Wahl

Über Rassismus

Wer in demselben literarischen Goldfischglas lebt, muss sich nicht lieben, trifft sich aber natürlich öfter mal. Dany Laferrière interessierte an dem jüngeren US-Kollegen Colson Whitehead, dem Autor von Underground Railroad, dabei vor allem, was der über Harriet Tubman wusste: Sie schleuste Sklaven aus dem Süden in den freien Norden, stets mit Kopfgeldjägern und scharfen Hunden im Nacken – 19 Touren insgesamt, und keinen hat sie dabei verloren und war stolz darauf, wie sie ihrem Freund Frederick Douglass erzählte. Der kam wie sie aus Maryland und war bis zu seiner Flucht Haussklave. Wie wichtig lesen lernen war, verstand der bereits als Kind. Nicht von ungefähr versuchten die weißen Herren, das zu verhindern. Denn wer seine Lage begreift, lehnt sich eher auf. Douglass wurde ein wichtiger Abolitionist und schrieb das Buch Mein Leben als amerikanischer Sklave. Das sind nur zwei der vielen Kapitel in Dany Laferrières Abhandlung, storysatte Kurzessays in diesem Fall und episodenhaft, wobei die Stichwortanbindung für sein Buch typisch ist. So zieht er Linien und markiert Themen, während er die Gattungen wechselt und zeitlich vielfach springt. Die Perspektive reicht vom historischen „Underground Railroad“ bis zu den Trump-Jahren mit dem Polizisten-Mord an George Floyd. Der Befund, dass Sklaverei nominell zwar abgeschafft, die Kette indes bloß unsichtbar geworden sei, grundiert die Kleine Abhandlung über Rassismus, den es weltweit gibt.

Wegen dessen Gewicht hält er sich aber ganz an den gegenüber den 48 Millionen Schwarzen in den USA, die sich schließlich als führende Demokratie verstehen. Doch hier gebe es „Keine Wahl!“, schreibt er: „Wie entsetzt war ich, als ich zum ersten Mal hörte,/Weißer Suprematismus sei einfach der Gegenbegriff/zu Antirassismus./Als hätte man die Wahl, ob man Antirassist oder Suprematist sein will./Die Welt als großer Supermarkt./Warum gibt es nicht noch ein drittes zur Auswahl:/Nazi (Suprematist ist eigentlich ein Synonym),/Antirassist oder Antisemit?/Damit will man uns sagen, jemand daran/hindern zu wollen, Rassist zu sein/sei undemokratisch.“

Schlackefreie und analytisch scharfe Gedankenlyrik, die Details aufspießt und deutet und mehrfach in ganzen Blöcken im Buch daherkommt. Sie stützt sich auf Beobachtungen und Erfahrungen, die er in kreisenden Bewegungen mit großer Wahrnehmungstiefe markant zum Sprechen bringt. Der Blick sucht die Nuancen, Plattitüden bleiben so außen vor. Der konsequent literarische Ansatz erlaubt insofern mehr Freiheit als etwa ein soziologischer oder philosophischer. Der belesene und starke Stilist Laferrière nutzt sie weidlich. Die Lektüre profitiert auch davon, dass er sich von dem beklemmenden Thema die gute Laune nicht nehmen lässt. Im nur scheinbar planlosen Wechsel der Aspekte wirft er so Blicke von innen auf den Rassismus, mitunter und höchst entlarvend auch aus Sicht der Täter, etwa des nicht wegen Vorsatzes verurteilten Floyd-Mörders.

Bitter wird er dennoch nicht, sarkastisch dann schon. Um Betroffenheit geht es ihm nie, um Humanität aber immer, deren Negation, das wird deutlich, das Wesen von Rassismus ausmacht. Seine „Kleine Abhandlung“ ist eine große Bereicherung, wer sich davon bestätigt fühlt, hat bei der Lektüre allerdings wohl was falsch gemacht. Laferrière wurde 1953 in Haiti geboren. Er floh vor dem schwarzen Diktator Papa Doc 1976 nach Kanada, lebt jedoch auch in Frankreich, wo er ein literarischer Star ist. Sein Debütroman Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden/Comment faire l‘amour avec un nègre sans se fatiguer (1985; deutsch 2017) deutet schon im Titel an, dass er mit subversivem Humor gesegnet ist.

Seine „Kleine Abhandlung“ hat Haltung und ist frei von plattem Pamphletismus oder „Kann man auch so sehen“-Larifari. Und nebenher macht sie neugierig auf die Romane von Dany Laferrière, der für sich die Schublade „Postkoloniale Literatur“ strikt ablehnt. Er begegnet hier als ein Unnachgiebiger voller Esprit und hart bewahrter Heiterkeit. Das muss einem bei diesem Thema erst mal gelingen.

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