Erfolgreich Scheitern

Eine inspirierende Idee zum Jahreswechsel
Foto: Harald Oppitz

Wer will schon gerne scheitern? Niemand. Aber es passiert. Insofern empfiehlt unsere Online-Kolumnistin Angela Rinn beherztes ritualisiertes Begehen des Scheiterns aller Arten und hat dafür schöne österreichische Bräuche und eine Erfahrung parat.

Anlässlich des Übergangs vom alten zum neuen Jahr empfehle ich ein Motto aus Österreich: Erfolgreich Scheitern. Jedenfalls habe ich gehört, dass der Trend aus Österreich kommt. Für mich würde das aber auch passen. Wo sonst außer in unserem schönen Nachbarland mit dem Hang zum Morbiden sollte so ein Trend erfunden werden. In Österreich gibt es sogar „fuck up nights“, bei denen Unternehmerinnen und Unternehmer von ihrem Scheitern erzählen – unter tosendem Applaus des Publikums. Mein langjähriger geistlicher Begleiter, ein österreichischer Jesuit, hat mir von einem Empfang in seinem Heimatort erzählt, bei dem eine junge Sportlerin eine Urkunde für „Erfolgreiches Scheitern“ überreicht bekam – sie war aus der Nationalmannschaft geflogen.

Wenn man nicht den Fehler macht, den Trend zum erfolgreichen Scheitern zur Selbstoptimierung verkommen zu lassen (Vorsicht, der Grat ist schmal!), kann die Angelegenheit entspannend und entlastend und damit seelsorglich wertvoll sein. Ich hoffe mal, Oliver Bierhoff kennt den Trend.

Wer nicht auf „Fuck up“ steht, könnte mit Wiener Schmäh auf alles zurückblicken, was im letzten Jahr in den Sand gesetzt wurde. Wer es etwas masochistischer mag, könnte sich so richtig gepflegt leidtun oder – noch besser – von freundlichen Mitmenschen bemitleiden lassen. Letzteres nicht mit schlechtem Gewissen (den armen Menschen in Afrika geht es viel schlechter…) sondern genüsslich und ausführlich und ohne falsche Scham. Gerne mit dem ein oder anderen tröstenden Glas Rotwein oder an Silvester mit einer Flasche Champagner als Begleitung. Wenn schon denn schon. Bei dem Empfang für die Sportlerin in Österreich haben sie jedenfalls angestoßen auf ihre Urkunde für „Erfolgreiches Scheitern“.

Anschließend geht es dann in ein neues Jahr, in dem es mit Sicherheit einige Gelegenheiten geben wird, erfolgreiches Scheitern zu zelebrieren. Alle guten Vorsätze, die am 1. Januar gefasst sind, haben das Misslingen schließlich schon eingepreist. Die meisten jedenfalls, wenn die Statistiken nicht lügen. Es wird also wieder nichts mit dem Abnehmen, dem regelmäßigen Sport, das StartUp geht den Bach runter und die Konkurrenz bekommt die Stelle, auf die ich eigentlich scharf war. Und die deutsche Nationalmannschaft schießt wieder keine Tore.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich gönne allen Erfolg, Stelle, schlanke Figur und ein Leben auf der Überholspur. Aber ich fände es auch nicht tragisch, zu der ein oder anderen Fete eingeladen zu werden, bei der Urkunden für „Erfolgreiches Scheitern“ verliehen werden. Vor allem, wenn die Flasche Champagner schon kaltgestellt ist. Ich stoße dann auch auf alles an, was bei mir im Laufe der Jahre schiefgelaufen ist. Manches zu meinem Glück. Man merkt das gelegentlich erst im Rückblick. Ich denke da etwa an meine erste große Liebe, die mich für meine bis dato beste Freundin verlassen und diese dann auch noch geheiratet hat. Ich war damals nahe dran, mich von einem örtlichen Hochhaus zu werfen. Neulich traf ich die beiden zufällig wieder. Im Anschluss habe ich mir selbst gratuliert. Definitiv erfolgreich gescheitert!

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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