Die letzte Generation?

2022 solidarisierte sich die EKD-Synode mit Klimaaktivisten. Warum?
Klimaaktivistin Aimée van Baalen (links) und die Präsidentin der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, am 8. November 2022 während der EKD-Synode in Magdeburg. Van Baalen hielt vor dem Kirchenparlament in Magdeburg eine Rede.
Foto: epd
Klimaaktivistin Aimée van Baalen (links) und die Präsidentin der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, am 8. November 2022 während der EKD-Synode in Magdeburg. Van Baalen hielt vor dem Kirchenparlament in Magdeburg eine Rede.

Der bei der EKD-Synode ausgebrochene Konflikt, inwieweit die EKD auch radikale Klimaschützer wie „Die letzte Generation“ unterstützen soll, hält an. EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich sorgt unkonventionell für frischen Wind. Aber ist das gut? Der Wiener Professor für Ethik und Systematische Theologie, Ulrich H.J. Körtner, hat da seine Zweifel.

Ein Bild mit Symbolkraft: zwei Vertreterinnen einer letzten Generation. Das Foto zeigt die Klimaaktivistin Aimée van Baalen gemeinsam mit der EKD-Präses, Anna-Nicole Heinrich, auf der EKD-Synode, die vom 6. bis 9. November in Magdeburg stattfand. Ihre Rede, in der Frau van Baalen um die Unterstützung der evangelischen Kirche für die Anliegen ihrer Organisation, der „Letzten Generation“ warb, wurde mit Standing Ovations bedacht.

Der Applaus galt wohl nicht nur aus gesinnungsethischen Motiven – Stichwort „Bewahrung der Schöpfung“ – einer demokratiepolitisch fragwürdigen Gruppierung, die mit Straßen- und Flughafenblockaden sowie Sachbeschädigung von Kunstwerken in Museen die Politik dazu zwingen will, ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Deutschlands Autobahnen und ein Neun-Euro-Ticket für den Bahnverkehr einzuführen. Manche Synodale scheinen in dieser Solidarisierungsaktion auch den Aufbruch ihrer Kirche in eine lichte Zukunft gesehen haben.

Daran erinnerte wenige Tage vor Weihnachten noch einmal das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, der Anna-Nicole Heinrich, der jungen Synodenpräses, einen längeren unterhaltsam-interessanten Bericht widmete (Bezahlschranke). Darin wird unter anderem geschildert, wie Heinrich eine Woche vor der EKD-Synode im November in einem Telefonat mit ihrem Referenten sagt: „I’m a rebel. Wir machen das jetzt so.“ Das sind neue Töne.

Partnerschaften mit NGOs als Zukunftsmodell?

Ein andere Sprache sprechen die steigenden Austrittszahlen bei der evangelischen wie der römisch-katholischen Kirche, die massiven Anzeichen fortschreitender Säkularisierung sowie die zunehmende Distanz des politischen Spitzenpersonals zu den Kirchen und ihren Repräsentanten. Schon vor einigen Jahren hatte der ehemalige theologische Vizepräsident der EKD, Thies Gundlach, im Zuge der Auseinandersetzung um das von der EKD gesponserte Flüchtlingsschiff Sea-Watch 4 und um die Position der EKD in flüchtlings- und migrationspolitischen Fragen die Ansicht vertreten, strategische Partnerschaften mit säkularen NGOs seien die Missionsstrategie der Zukunft.

2019 wurde das Bündnis „United4Rescue“ geschmiedet, am 3. November 2022 – also unmittelbar vor Beginn der EKD-Synode – das Rettungsschiff Sea-Watch 5 in Hamburg getauft. Nun also die umweltpolitische Solidarisierung mit der „Letzten Generation“, die momentan mehr als die Organisation „Extinction Rebellion“ von sich reden macht, die unter anderem von Carola Rackete, die 2019 Kapitänin der Sea-Watch 3 war, unterstützt wird.

Verfolgt man die kirchlichen Reformdebatten, die Umbrüche und Abbrüche, die durch die Corona-Pandemie an Dynamik gewonnen haben, kann man versucht sein, auch hier von einer letzten Generation zu sprechen. Beim Klimaschutz heißt es: „Wir alle sind die letzte Generation, die eine Klimahölle noch verhindern kann.“ Der Generationenbegriff wird also auf die jetzt Lebenden, soweit sie schon oder noch in der Lage sind, eigenständig Verantwortung zu übernehmen, angewandt und nicht etwa nur auf die Kohorte der unter Dreißigjährigen. In den Kirchen – beim katholischen Synodalen Weg wie in der evangelischen Kirche – lautet das Motto sinngemäß: „Wir alle sind die letzte Generation, die den endgültigen Niedergang der Kirche stoppen kann.“ Bezeichnenderweise fühlt sich der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, von den Klimaaktivisten der Letzten Generation an die Urchristen erinnert, die sich als die letzte Generation vor Anbruch der Gottesherrschaft verstanden hätten – und meint seinen theologisch abwegigen Vergleich offenbar ernst.

Unterschiedliche Missionsverständnisse

Oft hört man die Forderung, angesichts der fortschreitenden Entkirchlichung müssten die Kirchen in Deutschland wieder missionarischer werden. Die EKD versteht unter Mission freilich etwas anderes als evangelikale oder charismatische Gruppierungen und Freikirchen. Zum Stichwort Mission liest man in den erwähnten, 2020 von der EKD-Synode verabschiedeten zwölf Leitsätzen, in Anbetracht schrumpfender Ressourcen werde sich kirchliches Engagement in Zukunft nicht nur verstärkt „situativ ausrichten und auf einzelne Problemlagen konzentrieren“. Es werde auch „immer wichtiger, nach geeigneten Partnern aus der Zivilgesellschaft Ausschau zu halten und Themenkoalitionen einzugehen, wie es in den „Zwölf Leitsätzen“ heißt (Seite 19). Das Reformationsjubiläum 2017 habe „gezeigt, wie durch Kooperationen neue Kontaktflächen und Allianzen entstehen. Sie werden lebendig in gemeinsamen Projekten, herausragenden Events und persönlichen Begegnungen. Im Zugehen auf andere wird die evangelische Kirche nicht nur ihrer eigenen Sendung gerecht. Sie findet Gehör und leistet einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft. Zugleich kommen Menschen in Berührung mit Glauben und christlicher Gemeinschaft.“ (ebd.) Das Bündnis United4Rescue und nun auch die Solidarisierung mit dem Klimaschutzorganisation Letzte Generation veranschaulichen, was konkret gemeint ist.

In gewisser Hinsicht verkörpert die 26-jährigen Studentin Anna-Nicole Heinrich an der Spitze der EKD jene „Generation 2017“, von der im Jahr des Reformationsjubiläums der damalige Ratsvorsitzende der EKD, der Bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, schwärmte. Anlässlich eines Jugendtreffens schrieb er: „Die Generation 2017 baut mit an der mutigen Kirche der Zukunft. Die Reformation geht weiter.“ Die Generation 2017 ist das imaginierte evangelische Seitenstück zum Synodalen Weg in der katholischen Kirche.

An Missverständnis nicht ganz unschuldig

Fünf Jahre später ist von einer Generation 2017 freilich wenig zu hören, und statt Aufbruchstimmung herrscht eher Katerstimmung. Der bleierne Schatten sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen, aber auch in der evangelischen Kirche, das systemische Versagen der katholischen Amtskirche bei ihrer Aufarbeitung und mangelnde Reformfähigkeit ziehen die Kirchen insgesamt in Mitleidenschaft.

Dass Papst Franziskus den Synodalen Weg mit dem Hinweis ablehnt, man brauche nicht zwei evangelische Kirchen, es gebe doch schon eine gute, ist allerdings ein vergiftetes Lob. Es zeugt überdies von einem unzureichenden Verständnis des Papstes, was denn das Wesen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche ausmacht.

Dem Synodalen Weg geht es im Kern nicht um eine zweite Reformation, sondern um eine katholische Reform. (vgl. Ulrich Körtner, „Eine katholische Nationalkirche?“ zeitzeichen.net 2021, https://zeitzeichen.net/node/8776) Das evangelische Kirchenverständnis hängt unmittelbar mit dem Herzstück reformatorischer Theologie, der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders bzw. des Gottlosen allein durch den Glauben an Jesus Christus, zusammen. In ihr gründen das evangelische Verständnis christlicher Freiheit wie auch das evangelische Kirchenverständnis und sein Kerngedanke vom Priestertum aller Getauften. Daher gibt es, anders als in der katholischen Kirche, keine kategoriale Unterscheidung zwischen Ordinierten und nicht ordinierten Christenmenschen, die vom Synodalen Weg unangetastet bleibt.

Am päpstlichen Missverständnis sind die evangelischen Kirchen freilich nicht ganz unschuldig, wenn sie klare reformatorische Unterscheidung zwischen Evangelium von der freien Gnade Gottes und dem Gesetz, zwischen dem Zuspruch und dem Anspruch Gottes, verwischen und sich stattdessen in den Fallstricken einer neuen Gesetzlichkeit verheddern, die sich um Tempolimits für kirchliches Personal und Photovoltaik auf Kirchendächern dreht. So wird das Evangelium mit einem neuen Gesetz verwechselt, was für Luther einer der Kardinalfehler der spätmittelalterlichen Kirche war. Nichts gegen wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und zum Energiesparen! Um deren Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einzusehen, braucht es aber gewiss nicht die Kirche.

„Gesetzlichkeit pur“

Die theologische Dürftigkeit der vermeintlich letzten Kirchengeneration lässt sich an manchen Wortmeldungen rund um den Auftritt von Aimée van Baalen auf der letzten EKD-Synode ablesen. Diese hatte in ihrer Rede gemeint, letztlich sei doch auch Jesus „ein Widerständler“ gewesen, „der sich gesellschaftlichen Regeln und Normen entgegensetzte, wenn seine moralische Pflicht es verlangte. Er setzte sich immer für unterprivilegierte Menschen ein, und er riskierte letztendlich dafür den Tod.“

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner moralischen Pflicht Folge leistete. Das ist Gesetzlichkeit pur. Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.

Die Verteidiger von van Baalens Auftritt argumentieren, die Kirche müsse mit der „Letzten Generation“ ins Gespräch kommen. Jesus hätte bestimmt dasselbe gemacht, ist der evangelisch.de-Redakteur Frank Muchlinsky überzeugt und begründet dies mit einer abenteuerlichen Auslegung der Evangelienberichte über Jesu Umgang mit Zöllnern, die als korrupte Kollaborateure der Römer geächtet waren. Die Haltung derer, die sich über die Solidarisierung der EKD mit einer Bewegung empören, die offene Rechtsbrüche begeht, um ihre politischen Ziele zu erzwingen, „sollte für jeden Menschen, der sich ernsthaft in der Nachfolge Jesu Christi sieht, ausgeschlossen sein“.

Für sie ist offenbar in der Kirche der Heiligen der Letzten Generation kein Platz mehr. Wer sich von der neuen Klimareligion distanziert, trennt sich vom Heil, oder mit den Worten Muchlinskys: „Wer sich darüber aufregt, dass die Kirche mit Menschen redet, die ein wichtiges Anliegen haben, hat die christliche Gemeinschaft bereits verlassen. Das bedeutet freilich nicht, dass man nicht zurückkehren könne, aber dazu bräuchte es eben eine offene Haltung.“ Die reuigen Sünder bekommen also noch eine zweite Chance, wenn sie sich am Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32) und an Jesus ein Beispiel nehmen, der eben auch solch eine „offene Haltung“ gegenüber Zöllnern wie Zachäus zeigte, die mit ihm „ins Gespräch kommen“ wollten.

Jesus trat nicht als Moralprediger auf

Welcher Vergleich soll hier zum Auftritt der Letzten Generation auf der EKD-Synode gezogen werden? Von Jesus lesen wir nirgends, dass er mit den Zöllnern, Handlangern der römischen Machthaber, über ihre vermeintlich berechtigen Anliegen ins Gespräch kommen wollte oder für ihre Handlungsweise Sympathien gezeigt hätte. Er tritt allerdings auch nicht als Moralprediger gegen die Zöllner auf, sondern bewegt sie durch sein Auftreten und seine Zuwendung zur Umkehr.

Die Präses der EKD-Synode zeigt sich vor einigen Tagen im Interview mit dem Sonntagsblatt aus Bayern (bzw. epd) hingegen verärgert darüber, dass die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ zu Unrecht diskreditiert und kriminalisiert würden. Diese stellten nicht die demokratische Grundordnung in Frage, sondern richteten lediglich mit allem Nachdruck ihre Anliegen an die politisch Verantwortlichen. Auch das Argument, die Protestformen der „Letzten Generation“ seien kontraproduktiv, will Frau Heinrich unter Verweis auf persönliche Gesprächserfahrungen nicht gelten lassen.

Klimaaktivsten der „Letzte Generation“ bedankten sich für die moralische Unterstützung mit dem Vorhaben, den evangelischen Fernsehgottesdienst zu stören, der am Heiligen Abend in der ARD ausgestrahlt wurde. Die Verantwortlichen bekamen jedoch Wind von der Sache, der Gottesdienst wurde vorab aufgezeichnet und die Aktion damit vereitelt (vergleiche hier). Kirchliche Repräsentantinnen und Repräsentanten, wie der Hannoversche Landesbischof Meister, der noch im November lautstark forderte: "Wir schulden dieser Bewegung die moralische Unterstützung“, geraten nun erst recht in Erklärungsnot.

Wie ihre Präses übernimmt augenscheinlich auch die EKD das Narrativ einer Organisation, die sich selbst als gewaltfreie und demokratische Bürgerrechtsbewegung darstellt, welche den Willen der von der Politik ignorierten Bevölkerungsmehrheit artikuliert und eine historische Parallele zum Kampf um das Frauenwahlrecht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ziehen. Das Frauenwahlrecht wurde allerdings aus anderen Gründen als dem militanten Kampf der in Großbritannien abschätzig als Suffragetten bezeichneten Wahlrechts-Aktivistinnen sukzessive im 20. Jahrhundert eingeführt. Auch sind die Protestformen der Letzten Generation alles andere als gewaltfrei. Sie zeugen keineswegs von einer positiven Grundhaltung gegenüber der parlamentarischen Demokratie und dem modernen Rechtsstaat, sondern von einem elitären Politikverständnis, dass für sich – frei nach Carl Schmitt – die Deutungshoheit über den Ausnahmezustand in Anspruch nimmt (Vgl. dazu den Beitrag des Politikwissenschaftlers Jürgen Plöhn auf zeitzeichen.net)

Weit von 1985-er Denkschrift entfernt

Wenn sich die EKD mit Bewegungen wie der Letzten Generation solidarisiert, zeigt das, wie weit sie sich inzwischen von den theologischen Grundüberzeugungen ihrer Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ aus dem Jahr 1985 entfernt hat, die man als Fortschreibung der klassischen lutherischen Zwei-Regimenten-Lehre, aber auch der fünften These der Barmer Theologischen Erklärung aus dem Jahr 1934 verstehen kann.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Demokratiedenkschrift erschütterten heftige politische Konflikte um die Atomenergie und den NATO-Doppelbeschluss, die auch auf Kirchentagen und Synoden ausgetragen wurden, die „alte“ Bundesrepublik. Schon damals wurde über zivilen Ungehorsam und das Verlangen nach politischer Parteinahme der Kirchen gestritten. In dieser Lage erklärte die EKD in ihrer Demokratie-Denkschrift von 1985 (Seite 45): „Politische Überzeugung und christlicher Glaube sind nicht identisch. Damit Leben und Handeln in der menschlichen Freiheit bleiben, auf welche die Demokratie gründet, muß die Kirche über diesen befreienden Unterschied wachen.“ Auch die folgenden Sätze verdienen in Erinnerung gerufen zu werden: „Die Kirche soll in den großen Entscheidungsfragen der Gesellschaft nach Möglichkeit klare und eindeutige Orientierungspunkte angeben. Wo es jedoch nur um geeignete Wege geht, sollte die Autorität des geistlichen Amtes nicht zum Instrument eines politischen Willens gemacht werden. Die Gemeinsamkeit im Glauben ist nicht identisch mit politischem Konsens. […] Insbesondere kann und darf die Zugehörigkeit zur Kirche durch unterschiedliche Gewissensurteile in konkreten Fragen der politischen Existenz nicht gegenseitig abgesprochen werden.“ (Seite 46)

Neigung zu gesinnungsethischen Positionen

Die EKD von heute neigt hingegen bei den großen politischen Themen – von der Friedens- und Sicherheitspolitik über Migrations- und Flüchtlingspolitik bis hin zum Klimaschutz – zu gesinnungsethischen Positionen, welche die Tendenz zu einem sektenhaften Reinheits- und Heiligkeitsideal zeigen (vgl. Ulrich Körtner, „Auf dem Weg zur Sekte“, zeitzeichen.net, 2019), das dem Erbe des „linken Flügels“ der Reformation entspricht, nicht aber dem Kirchenverständnis und dem damit einhergehenden Politik- und Staatsverständnis der lutherischen und der reformierten Tradition. Darüber scheinen sich diejenigen, die strategische Partnerschaften mit Bewegungen wie der Letzten Generation für die kirchliche Missionsform der Zukunft halten, nur unzureichend Gedanken zu machen.

Nun mag man pessimistischen Ansichten zur Lage und Zukunft der Kirchen den Satz aus dem 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses (Confessio Augustana) von 1530 entgegenhalten, „dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss“, die auch eine vermeintlich letzte Generation überdauern wird. Martin Luther hat das Evangelium allerdings mit einem fahrenden Platzregen verglichen, der irgendwann weiterziehen könne. Die Zuversicht, dass im säkularen Europa allezeit eine christliche Kirche bestehen bleibt, ist ein Glaubenssatz, keine religionsgeschichtliche Garantieerklärung. Dass das Christentum in anderen Erdteilen wächst – vor allem in seiner charismatisch-pentekostalen Ausprägung –, ändert nichts am Niedergang der ehedem großen Volkskirchen in Europa, den offenbar weder evangelikale noch kulturprotestantisch-liberale Konzepte aufzuhalten vermögen.

Die Kirche, von der die Confessio Augustana überzeugt ist, dass sie bis ans Ende der Zeiten bestehen wird, ist „die Versammlung aller Gläubigen“, „bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“ (CA 7). Wer wagt heute noch so in der Kirche und auf Synoden zu sprechen, wo der religiöse Pluralismus zum Prinzip reformatorischer Freiheit erklärt und die Reinheit des Evangeliums mit dem Lob von Diversität und postkolonialen Identitätspolitiken verwechselt wird? Wer wagt es noch, im Kernbereich des christlichen Glaubens die Wahrheitsfrage zu stellen, die in identitären Diskursen zur Machtfrage mutiert? Hier liegt die eigentliche Herausforderung, der sich die gegenwärtige Generation in Kirche und Theologie zu stellen hat, ganz gleich, ob sie nun die vermeintlich letzte Generation ist oder nicht.

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